30.11.2011

Unterwegs im Googleversum I

Freud knapp vor Beethoven, Nietzsche nur Dritter, Beckenbauer abgeschlagen

Diskurscharts mit Google Trends

Ein Leben ohne Google ist zwar denkbar, aber mühsam. Google ist bekanntlich mehr als nur der Anbieter eines Suchalgorithmus. Deshalb soll es heute um ein Tool gehen, das zwar anders als Googles Mutterschiff, – die weltberühmte Suchmaschine, dieses Orakel der Neuzeit – nicht so bekannt ist, aber trotzdem nützlich sein kann: das kleine, aber feine Analysewerkzeug Google Trends.

Google Trends ist darauf spezialisiert, die Verbreitung eines Wortes darzustellen. Das kann ein Denker, ein Schlagwort, ein Ort oder ein Prominenter sein. Ob Marx, Vogelgrippe, Fukushima oder Obama – Google Trends legt Häufigkeit und Orte von Suchanfragen offen und stellt sie in einem Graphen mit Zeitverlauf auf der x-Achse und Häufigkeit auf der y-Achse dar. Verfügbar gemacht werden weltweite Daten, seit 2004 mit regionaler Eingrenzbarkeit. Das erlaubt keine echten Langzeitanalysen, aber es ist doch schon besser als ein Kurzzeitgedächtnis.

Mit Google Trends kann man zunächst erkennen, dass die Wellen unserer synchronisierten Gehirne gemeinsam ausschlagen. Und dass das Sommerloch selbst solche Diskursmarathonläufer wie Marx, Freud oder Nietzsche trifft: Nahezu jedes Suchwort hat statistisch gesehen einen signifikanten Knick im Juli und August – einfach weil weniger User online sind. Das erlaubt dann natürlich auch die gezielte Erfassung typischer Sommerlochphantasien. Tatsächlich wird in Sommermonaten eher nach Badehosen als nach Wintermänteln gesucht. Anfang Juli 2010 muss es demnach einige heiße Tage gegeben haben, denn da erreichte die Badehose ihr 7-Jahreshoch. Selbst Börsenwerte sollen zu GoogleTrends korrelieren.

Natürlich werden auch Medienhypes überdeutlich sichtbar. Der ehemalige Verteidigungsminister Guttenberg erreichte, wie nicht anders zu erwarten, einen eklatanten Popularitätshöhepunkt während seiner Plagiatsaffäre – und in der Googletrendansicht war er vor seiner Ernennung zum Minister unbedeutender noch als die schon erwähnte Badehose. Seine „Doktorarbeit“ machte ihn dann aber auch außerhalb von Deutschland berühmt. Einen ähnlichen Karriereverlauf verzeichnen Vogelgrippe, Ehec oder Fukushima.

Interessanter als diese erwartbaren Erregungskurven sind die Diskursdauerbrenner wie Marx, Freud, Beethoven, Nietzsche oder Beckenbauer. Marx zum Beispiel erlebt zwar einen kleinen Höhepunkt während der Lehman-Pleite, aber auf ein gewachsenes Interesse an Marx seit den letzten Finanzkrisen deutet wenig hin. Vielmehr hält er sich seit 2004 stabil auf einem hohen Niveau – weltweit noch vor Freud und Beethoven. Dann erst folgt Nietzsche mit gehörigem Abstand. Der Kaiser kann die in ihn gesteckten Erwartungen nicht erfüllen. Beckenbauer landet in dieser kleinen Top Five abgeschlagen auf dem letzten Rang. Überboten wird Marx nur von Hitler. Hitler wiederum nur von Jesus, und Jesus wird nur noch von „God“ ausgebootet. Und wie könnte es anders sein? Selbst „God“ wird nach diesen vorläufigen Trends seit 2004 dauerhaft noch von einem anderen Suchwort übertroffen: natürlich von Google.

Text: Jochen Thermann

Bild: flickr/Thiophene_Guy

Unterwegs im Googleversum I

 

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