08.10.2012

California Watch – Zusammenarbeit als journalistisches Prinzip

Kollaboration ist eines der großen Schlagwörter der Gegenwart. Zumindest in digitalen Kontexten. User vereinen ihre Kräfte und stellen die größte Enzyklopädie der Welt auf die Beine, überführen Minister der Hochstapelei oder entdecken Goldadern auf einem alten Minengelände. Dass auch unterschiedliche Medien erfolgreich zusammenarbeiten können, beweist die Netzseite California Watch.

Im zweiten Teil unserer Serie über US-amerikanische Netzmagazine nimmt die in Seattle lebende Publizistin Ulrike Langer vom Blog MediaDigital für uns das Portal aus Berkley in den Blick. Weitere Ausgaben unserer Serie „Netzmagazine in den USA“ folgen in Kürze.

California Watch – Zusammenarbeit als journalistisches Prinzip

Im April 2011 veröffentlichten zehn kalifornische Lokalzeitungen, der öffentlich-rechtliche Rundfunksender KQED in San Francisco und 130 lokale Ausgaben der Online-Website Patch eine gemeinsame Serie von Beiträgen zur Erdbebensicherheit in Kalifornien. Die Reportagen und Berichte unter dem Motto „On Shaky Ground“ (deutsch: „Auf wackeligem Boden“) waren zuvor in 19 Monaten intensiver Recherche unter der Leitung zweier Reporter der Non-Profit-Website California Watch (www.californiawatch.org) entstanden. Die mehrteilige Geschichte lief über mehrere Tage und erreichte zusammen mit nationalen und fremdsprachigen Medien, die Beiträge übernahmen, insgesamt rund sieben Millionen Nutzer. Hintergrund der konzertierten Aktion war das zuvor bekanntgewordene Versagen der Aufsichtsbehörden beim Bau kalifornischer Schulen.

Das mehrfach preisgekrönte Erdbebensicherheitsprojekt wurde zum Paradebeispiel dafür, was Journalismus erreichen kann, wenn Medien, die normalerweise miteinander konkurrieren, zum Wohle eines gesellschaftlich wichtigen Ziels an einem Strang ziehen. Dass dies nicht nur einmal funktionierte, sondern bei den Medien rund um die Bucht von San Francisco inzwischen regelmäßig geschieht, ist vor allem dem Center for Investigative Reportage (CIR) unter der Leitung Robert Rosenthals und seinem Vorzeigeprojekt California Watch zu verdanken. Rosenthal war zuvor Redaktionsleiter der namhaften Lokalzeitung „The San Francisco Chronicle“.

Das CIR-Flaggschiffprojekt California Watch wurde von Rosenthal 2008 in Berkeley gegründet – und somit auf dem Höhepunkt der US-Medienkrise, die vor allem in Kalifornien zu erheblichen Sparrunden bei den örtlichen Zeitungen führte. 1.000 Journalisten verloren seit 2007 beim Chronicle und kleineren Medien in der Region ihre Arbeitsplätze. Im Gegenzug entstanden mitten in der Zeitungskrise in der San Francisco Bay mehrere nicht-kommerzielle journalistische Projekte, von denen die von Stiftungsgeldern finanzierte Website California Watch die größte publizistische Bedeutung hat. Politik, Behörden und Lobbyisten in Kalifornien sind die Themen dieser Publikation, die als Nachrichtenagentur für hochwertigen regionalen Journalismus eine wichtige Rolle spielen. Im Frühjahr 2012 fusionierten CIR und die Non-Profit-Webzeitung Bay Citizen, die unter anderem zweimal wöchentlich Beiträge für die Bay-Area-Regionalausgabe der „New York Times“ herausgab. Insgesamt arbeiten seit dem Zusammenschluss mehr als 50 erfahrene Journalisten für CIR und California Watch, was der Organisation ermöglicht, kritische und unabhängige Berichterstattung für ganz Kalifornien bieten zu können.

Die Stiftungsfinanzierung ist für CIR und California Watch allerdings kein Selbstläufer, denn Mäzene und institutionelle Förderer in den USA ziehen ihre Unterstützung in der Regel nach wenigen Jahren zurück und widmen sich neuen Projekten. Bis dahin müssen Non-Profit-Projekte nachhaltige Geschäftmodelle entwickeln oder sie sind in ihrer Existenz bedroht. Im Fall von California Watch hat sich die Lizensierung von Beiträgen als bedeutsame Erlösquelle erwiesen. Das öffentliche Interesse an Themen wie Erdbebensicherheit, die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs oder erneuerbare Energien in der Region sind so groß, dass kommerzielle kalifornische Medien nicht zögern, als zahlende Kooperationspartner schon in der Projektphase an gemeinsamen Beiträgen zu arbeiten oder aber fertige Beiträge zu kaufen.

Im Fall von „Shaky Ground“ allerdings kam der endgültig durchschlagende Erfolg nicht mit einer kommerziellen Weiterverwertung. Einer Redakteurin bei California Watch war aufgefallen, das trotz des enormen Medieninteresses eine wichtige Zielgruppe unbeachtet blieb: Vorschul- und Grundschulkinder. Sie arbeitete eng mit dem Amerikanischen Roten Kreuz und Grundschullehrern zusammen, um ein Malbuch als nützlichen Leitfaden zu entwickeln, wie man sich bei einem Erdbeben verhalten soll. 40.000 Malbücher wurden kostenlos an kalifornischen Schulen verteilt und im Unterricht eingesetzt. Auch das ist ein innovativer Weg, wie Qualitätsjournalismus neue Zielgruppen erreichen kann.

 

Ulrike Langer

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