05.07.2013

„Wahr“ oder „Pants on fire“?

Wahlkampf-Zeit ist leider oft auch Lügen-Zeit. Factchecking-Seiten helfen, übertreibende oder irreführende Politiker-Statements zu entlarven. Pionier ist die Site www.politifact.com, die wir hier vorstellen.

In Australien geht es gerade drunter und drüber: In einem parteiinternen Putsch hat Labour-Politiker Kevin Rudd seine Rivalin Julia Gillard als Parteivorsitzende und somit auch als Ministerpräsidentin gestürzt. Dabei hatte er immer wieder betont, dass er Gillard nicht herausfordern würde. Mit dieser Kehrtwende hat sich der neue Premier den ersten „Full Flop“ der Fact-Checking-Seite „Politifact Australia“ eingefangen: eine Drehung um 180 Grad. Das Portal ist im Mai an den Start gegangen – aus Anlass der australischen Wahlen im September. „Politifact Australia“ ist der erste ausländische Ableger von politifact.com, die in den USA seit ihrer Gründung mehr als 7000 Aussagen von Politikern auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft hat. Für diesen Einsatz für Transparenz hat das Portal der Zeitung Tampa Bay Times aus Florida sogar den Pulitzer-Preis erhalten.

Das Prinzip

Politifact versetzt sich in die Lage einer fiktiven Hausfrau namens Mable, die von einer steilen Politikerthese Wind bekommt und sich fragt: „Stimmt das wirklich?“ Manche Hinweise kommen auch von Lesern. Dann legt die Redaktion los: Zuerst kontaktiert sie den Politiker, ob er das wirklich so gesagt hat und fragt nach Quelle und Belegen. Oft beziehen sich Politiker ja auf Studien. Die Redakteure schauen sich diese Quellen an, recherchieren online und offline, führen Interviews, um den Sachverhalt differenziert einschätzen zu können. „Es kommt auf die genaue Wortwahl und den Zusammenhang an. Oft werden eben Halbwahrheiten verbreitet“, sagte Bill Adair, Gründer von politifact.com, als er seine Plattform vor kurzem beim Netzwerk Recherche präsentierte. Der Rechercheur präsentiert seine Ergebnisse zwei weiteren Kollegen und das Trio fällt dann gemeinsam das Urteil, in welche Kategorie beim „Truth-o-meter“ das Zitat eingereiht wird: „Wahr“, „überwiegend wahr“,  „halb wahr“, „überwiegend falsch“, „falsch“ und „total daneben“ – im Original heißt das „Pants on fire“.

obama file bei www.politifact.com

Barack Obamas Aussagen sind überwiegend wahr, es gibt aber auch haarsträubende Ausnahmen

Auch US-Präsident Barack Obama hat sich schon diese Lügner-Wertung einfangen, zuletzt mit dem Zitat: „The Foreign Intelligence Surveillance Court is transparent.“ Dabei ging es um das US-Gericht, das die Arbeit der Geheimdienste überwacht. Seine Tätigkeit war im Zuge des Spionageprogramms „Prism“ hinterfragt worden. Politifact kommt zu dem Schluss, dass das Gericht höchst geheim arbeitet. Zu jedem Zitat gibt es einen ausführlichen Artikel, der die Aussage von verschiedenen Seiten beleuchtet und gegen Ende das Urteil der Politifact-Redaktion begründet. Dazu gibt es eine eigene Quellenspalte, in der Datum, Urheber und Thema des Zitats genannt werden sowie die online zugänglichen Quellen aufgelistet sind, die der Autor des Artikels für die Recherche verwendet hat.

Für jeden Politiker gibt es eine eigene Seite, auf der ein Balkendiagramm veranschaulicht, wie oft welche Note vergeben wurde. Natürlich lässt sich jede Kategorie anklicken – so geht Transparenz. Im Falle von US-Präsident Barack Obama gibt es sogar einen Obameter, der zeigt, welche Wahlversprechen Obama (teilweise) gehalten hat, gebrochen hat oder noch daran arbeitet.

Die Wirkung

Für die US-Politiker ist Politifact tendenziell unangenehm: Sowohl Republikaner als auch Demokraten haben sich schon beschwert, dass ihre Partei benachteiligt werde. Bill Adair sagt dazu: „Wir sind die Schiedsrichter und als solche unparteiisch.“ Er glaubt, dass auf Politifact aufgedeckte „Lügen nicht mehr wiederholt werden.“

Die Resonanz ist in jedem Fall enorm: Politifact-Ergebnisse sind oft Gegenstand in US-Fernsehsendungen, auch andere Medien greifen sie auf. In der Redaktion der Tampa Bay Tribune trudeln pro Woche etwa 100 Leserbriefe zu Politifact ein, die Hälfte Kommentare, die andere Hälfte Vorschläge für weitere Checks. „Die Leser sind Augen und Ohren für uns“, sagt Adair. Es hat im Laufe der Jahre mehr als ein Dutzend Preise gehagelt, der renommierteste war der Pulitzer-Preis für die Wahlberichterstattung 2008. Von Politifact inspirieren lassen haben sich Seiten in Norwegen, Schweden, Frankreich und Ägypten.

Das Geschäftsmodell

Natürlich gibt es auf Politifact.com wie fast überall im Netz Anzeigen. Die TV-Sender zahlen Adair zufolge Geld, wenn sie über Politifact-Ergebnisse berichten (das wäre in Deutschland undenkbar). Außerdem gibt es eine App, die zwei Dollar kostet und Stiftungssponsoren. Besonders signifikant sind die vielen Lizenznehmer: In den USA gibt es neun Medien, die ihr eigenes Politifact aufgezogen haben. In solchen Fällen reist Bill Adair an, um die Redaktion zu schulen. Dafür hat er eigens das Anleitung „Truth o meter owners manual“ geschrieben. Und mit Politifact Australia ist nun der erste ausländische Ableger gestartet.

Fact-Checking bietet sich natürlich besonders im Vorfeld von Wahlen an. Zur Bundestagswahl im September haben auch ZDF und die Zeit Fact-Checking-Portale gestartet, die wir demnächst in eigenen Blogposts vorstellen werden.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, NEU
  • Über Bernd Oswald

    Bernd Oswald, Jahrgang 1974, ist Autor und Trainer für digitalen Journalismus. Mich fasziniert es, wie die Digitalisierung (nicht nur) den Journalismus verändert: mehr Quellen, mehr Transparenz, mehr Interaktion, ganz neue Möglichkeiten des Geschichtenerzählens, vor allem visuell und mit Daten. Über diese Phänomene schreibe, blogge, twittere und lehre ich seit 2009.

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0 Kommentare zu diesem Artikel


  1. Leider ist politifact.com deutlich Repulikanerfreundlich gesinnt, was sich darin niederschlägt, dass dann bei Demokraten im Text gerne etwas im Sinn von „das Gesagte ist zwar im Großen und Ganzen vollkommen richtig, aber wegen dieser und dieser theoretischen Kleinigkeit bewerten wir es als falsch“ steht. Ganz krass in der Medicare-Debatte.

  2. lustigerweise hatt Bill Adair auf der Netzwerk-Recherche-Tagung genau das Gegenteil gesagt: Politifact wird unterstellt, tendenziell die Demokraten zu bevorzugen. Die Republikaner haben mehr „Lügen“-Bewertungen. Wer Fact-Checking betreibt, wird sich aber immer mit solchen Vorwürfen auseinander setzen müssen, denn eine 100% objektive Wahrheit gibt es nunmal nicht. Immerhin bemüht sich Politifact, eine Aussage mit Hintergründen zu versehen und das ganze Bild zu beleuchten.

  3. Brauchen wir so etwas? Glaubt die Deutsche Bevölkerung noch ihren Politikern? Diejenigen denen solches fact checking gut täte, lesen kaum, schauen höchstens den RTL Nachhechelnden ö.r. Sender mit dem Restauge und sind sonst auch eher lernresistent. Nicht alles was aus den US of A kommt ist toll, nicht überall wo es dunkel ist laufen tolle Filme.

    • ja, nicht alles, was aus den USA kommt, ist toll. Politifact schon. Es geht hier ja auch nur um die Idee, ZDF und Zeit haben da jeweils ihre eigenen Ansätze.

      • > Es geht hier ja auch nur um die Idee
        Hiermit liegen Sie eindeutig falsch. Eine neue Idee ist das [berhaupt nicht, denn in den USA gibt es schon lange etablierte und durchaus bekannte „fact checking“ Seiten, z.B. factcheck.org
        Während des letzten Präsidentenwahlkampfes wurden diese besonders populär und schon da haben sich die Massenmedien gefragt, ob das gesund sei.

        Meiner Meinung nach ist es genau wie vieles andere im kleinen Umfang eine wunderbare Dienstleistung. Doch wie auch immer sich diese Organisationen oder einfache Gruppen darstellen, sie machen journalistische Arbeit. Je beliebter diese Faktenprüfer werden, also den elitären Status verlieren, desto mehr gelten die Probleme der restlichen Medien auch für sie. Wie z.B. im amerikanischen Wahl, wo die Ergebnisse gerne von der Opposition politisch eingesetzt wird, was die Arbeit solche Grund wiederum direkt oder indirekt beeinflusst.

        Deswegen sollen normale Journalisten gefährlichst ihren eigenen Job tätigen, wozu halt die aufwendige Prüfung von Behauptungen und Quellenangaben dazugehört. Damit ist der Faktencheck gestreut, so dass politischer Druck schwerer ausgeübt werden kann.

        • Ah, tut mir Leid, ich las, es gehe um eine neue Idee.
          Ich hätte dann allerdings nur anders eingeleitet. Mein Betrag passt trotzdem.

        • Journalisten haben halt berufshalber mehr Erfahrung als im Fact-Checking, deswegen sind da tendenziell die besseren Resultate zu erwarten als wenn das Bürger machen. Journalisten und Bürger können sich aber auch befruchten, wenn sie sich beim Fact-Checking zusammentun (sie bekommen so mehr mit, finden mehr Quellen). Die Zeit und Wikipedia haben ja genau das vor. Ob ein Medium Factchecking anbieten kann oder will, sollte ihm glaube ich selbst überlassen bleiben.

  4. Ich würde da für eine positivere Denkart plädieren – fact-checking wird vielleicht originär nicht massenhaft wahrgenommen werden, aber eben Daten und Schlagzeilen produzieren, die auch die RTL Nachrichten bringen und die insofern massenwirksam sind und bei schlechten Werten für die Betreffenden unbequem.

  5. Hallo Herr Oswald
    damit das funktionieren kann, müssen die Journalisten glaubhafter sein als die Politiker.


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  1. torial Blog | Structured Journalism: Journalisten als Bibliothekare 12 05 14