„Die Medienhäuser bleiben durch Spinner wie mich in Bewegung“
„One-man-Army“ Richard Gutjahr über die Frage, wie man sich am besten durch das Spannungsfeld zwischen klassischen und digitalen Medien bewegt.
Bild: Richard Gutjahr beim Kongress „Netzpolitik 2.0“ im Dezember 2013
torial: Herr Gutjahr, Ihr Name war, ohne jetzt fies sein zu wollen, bis vor ein paar Jahren vor allem Zuschauern des bayerischen Regionalfernsehens bekannt – und Lesern Ihrer wirtschaftsjournalistischen Texte. Dann kam 2010 und Ihre Idee, vor dem Apple Store in der New Yorker Fifth Avenue erster Käufer des damals brandneuen iPads zu werden, was Sie dann in Ihrem Blog zelebriert haben. Wie kam es damals dazu?
Richard Gutjahr: Dass ich als iPad-Besitzer der ersten Stunde meine „15 minutes of fame“ hatte, habe ich einer Reihe von Zufällen zu verdanken. Apple hatte damals, zum ersten Mal überhaupt bei einem Produktlaunch, die Möglichkeit eingeräumt, sich für den Kauf vorab zu registrieren. Da ich einer der Wenigen war, die das gemacht hatten, wurde ich innerhalb der Schlange plötzlich ganz nach vorne gebeten – und das, obwohl einige Leute vor mir schon tagelang anstanden. Eigentlich wollte ich ja eine Reportage über die Schlange machen. Da ich nun aber plötzlich selbst die Nummer 1 war, musste ich umdisponieren und habe eben über das „Erster-Sein“ gebloggt. Das WiFi-Netz am Rande des Apple Stores übrigens war ganz wunderbar.
torial: Nach dem iPad-Coup haben Sie zunehmend Ihr Blog als journalistisches Medium genutzt, um Leser direkt anzusprechen. Hat sich das einfach ergeben oder steckte da Strategie dahinter?
Gutjahr: Das hat sich so ergeben. Durch die iPad-Nummer habe ich auf einmal verstanden, dass ich nicht mehr zwingend auf einen großen Sender oder einen großen Verlag angewiesen bin, wenn ich etwas Spannendes zu berichten habe. Damit will ich nicht sagen, dass die Großen ausgedient haben – ganz im Gegenteil. Ich profitiere unheimlich von der Professionalität und dem Know-how jener Sender und Verlage, für die ich arbeite. Umgekehrt bleiben die Medienhäuser durch Spinner wie mich in Bewegung, sind flexibler und näher am Publikum. Ich denke, eine Kombination aus beidem ist der Königsweg.
torial: Manche netzaffinen Kollegen fragen sich, warum viele Print- und TV-Kollegen nicht schon viel früher den direkten Draht zum Nutzer gesucht haben, schließlich stehen all diese Werkzeuge ja schon Jahre lang zur Verfügung. Fehlt der Unternehmergeist oder der Mut?
Gutjahr: Der Grund liegt, denke ich, an ihrem Erfolg. Es ist ja nicht so, als würde es den Sendern oder Verlagen schlecht gehen. Da wird auch heute noch unfassbar viel Geld verdient. Deshalb tun sich viele Kollegen noch schwer, lieb gewonnene Abläufe infrage zu stellen. Wozu sich ändern, wenn im Grunde genommen doch alles läuft?
torial: Oder ist das Problem, dass man sich am liebsten auf den reinen Journalismus konzentriert und die Verlage und Sender als Dienstleister helfen?
Gutjahr: Ich bin kein Freund der Idee, dass ein Journalist zugleich auch Unternehmer sein muss. Für manche mag das funktionieren, aber eigentlich ist es als Journalist doch mein Job, meine Zeit in die Recherche zu stecken, gute Geschichten zu schreiben, nicht in Logistik und Verkauf. Der Entschluss, mich mit meinem Blog selbst zu vermarkten, war alles andere als freiwillig. Ich habe gemerkt, dass es ja sonst keiner für mich macht und dass die traditionellen Medienhäuser keine Antworten haben auf die Fragen und Wünsche eines sich verändernden, weil digitalisierten Publikums.
torial: Sie haben mit Ihrem Blog auch schon manchen Hype-Zyklus durchgemacht, einige Shitstorms auch. Muss man die Leute immer wieder „anfixen“? Oder ist das sowieso eine rein journalistische Tugend, nicht zu langweilen?
Gutjahr: Da halte ich es mit Erich Kästner: Tue Gutes und rede darüber. Es hat noch nie gereicht, allein gute Geschichten zu schreiben. Klappern gehörte schon immer mit zum journalistischen Geschäft. Denken Sie an die Zeitungsjungen in den Straßen von New York oder Chicago mit ihrem „Extra! Extra!“. Entscheidend ist, dass man nicht nur das Maul aufreißt, sondern zuvor auch tatsächlich etwas leistet. Viele vergessen gerne diesen ersten Punkt.
torial: Hat sich Ihr Verhältnis zu Ihrem Job im Fernsehen und anderen Medien geändert, seit Ihr Blog ein Erfolg ist? Sind Sie auf irgendeine Art relaxter geworden, weil es ein Rückzugsfeld ist, sollte die Medienkrise zuschlagen?
Gutjahr: Nein, ich bin alles andere als entspannt. Ich arbeite heute mehr und unstetiger denn je. Es gibt keinen Anfang und kein Ende mehr – Blog, Zeitung, Fernsehen, Twitter, Facebook, YouTube; die Grenzen verschwimmen, alles wird eins. Ein Job bedingt den anderen und irgendwo dazwischen bin ich.
torial: Bringen Ihnen Ihre Blog- und Social-Media-Aktivitäten bereits Geld ein? Oder dienen sie wirtschaftlich vor allem als Aushängeschild, mit dem man sich dann weitere Aufträge an Land holen kann?
Gutjahr: Meine Blog- und Social-Media-Aktivitäten sind Schaufenster, Vertriebs- und Rückkanal in einem. Sie definieren ein Stück weit, wer ich bin, was ich kann und für was ich stehe. Geld verdiene ich dadurch noch nicht. Aber ich bleibe sichtbar und biete potenziellen Auftraggebern die Chance, mich zu finden und gegebenenfalls zu buchen.
torial: Sie gehören zu den wenigen journalistischen „Internet-Marken“ in Deutschland. Wie lange hat es gedauert, sich das aufzubauen?
Gutjahr: Einspruch. Es gibt mittlerweile viele Kolleginnen und Kollegen, die sich im Netz einen Namen gemacht haben. Was uns alle eint, ist ein gewisses Durchhaltevermögen und der Mut, Dinge auszuprobieren, dabei in Kauf zu nehmen, hin und wieder auch mal übers Ziel hinauszuschießen.
Es dauert mindestens ein Jahr, bevor man mit einer neu gestarteten Seite oder mit einem Twitter-Konto ein gewisses Stammpublikum erreicht. Die ersten 1.000 Follower sind die schwersten.
torial: Was muss man denn tun, um „Marke“ zu werden? Und vor allem zu bleiben?
Gutjahr: Eine gute Online-Präsenz ist ein bisschen wie Sport: Du musst bereit sein, ein- bis zweimal in der Woche zu trainieren, sonst brauchst du erst gar nicht damit anzufangen. Der Weg ist das Ziel. Und das Web ist ein Marathon.