„Man kann darüber streiten, ob sich jede Geschichte in Katzengifs erzählen lässt“
Franziska Bluhm, Chefredakteurin von wiwo.de, spricht im torial-Interview über Wirtschaftsjournalismus im Social-Media-Zeitalter und die Frage, was man von Buzzfeed & Co. lernen kann.
torial: Frau Bluhm, kann man in Deutschland Wirtschaftsjournalismus im Internet machen, der sich trägt?
Franziska Bluhm: Davon bin ich überzeugt.
torial: Wie steht wiwo.de aktuell da?
Bluhm: WirtschaftsWoche Online hat sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Wir haben an Relevanz gewonnen, ein tolles Team aufgebaut und arbeiten mit der gesamten Redaktion daran, jeden Tag aufs Neue eine spannende Webseite mit analytischen, hintergründigen Geschichten aus Politik, Wirtschaft und Finanzen zu gestalten. Das Schöne: Das wird nicht nur von den Lesern goutiert.
torial: Lohnen sich tiefgehende Geschichten in einem Online-Medium, redaktionell wie finanziell?
Bluhm: Ja! Unsere Leser schätzen es, dass wir eben nicht darauf setzen, News am laufenden Band zu produzieren, sondern aus der Flut der Nachrichten die Geschichten erzählen, die uns wichtig sind. Es gibt genügend Newsportale im Netz, auch mit dem Schwerpunkt Wirtschaft – aber Hintergründe, Analysen und tiefergehende Interviews liefern eben nur wenige.
torial: Wie hat man sich bei Ihnen die Zusammenarbeit mit den Print-Kollegen vorzustellen?
Bluhm: Eine echte Trennung zwischen Print und Online gibt es bei uns nicht. Allerdings haben wir ein kleines Team, das fast ausschließlich für den Onlineauftritt arbeitet, das bedeutet aber nicht, dass der eine oder andere Kollege nicht auch mal was fürs Heft schreibt. Andererseits profitieren wir bei Online auch von der Expertise der Kollegen, die sich seit Jahren mit ihrem Thema / ihrer Branche beschäftigen. Deshalb schreibt beispielsweise der Luftfahrtexperte für alle Kanäle – Print, Digital und Online. Die Zusammenarbeit ist sehr kollegial.
torial: Gibt es noch Differenzen zwischen den Printlern und den Onlinern, wie es sie in vielen Redaktionen weiterhin zu geben scheint?
Bluhm: Wir arbeiten sehr gut zusammen. Aber natürlich gibt es in jeder Redaktion auch Differenzen – übrigens zu allen möglichen Themen. Diese Diskurse bringen uns ja auch weiter. Ich fände es schade, wenn es nicht so wäre.
torial: Wie wichtig sind soziale Netzwerke als Trafficbringer? Werden sie kurzfristig Google ablösen?
Bluhm: Soziale Netzwerke werden immer wichtiger, insbesondere durch die mobile Nutzung. Die mobile Facebook-Version bringt uns an vielen Tagen deutlich mehr Traffic als die stationäre. Ich glaube schon, dass diese Trafficquelle mittelfristig Suchmaschinen Konkurrenz machen wird.
torial: Neuartige Online-Medien wie Buzzfeed oder Upworthy setzen zum Sprung nach Europa an. Wie beurteilen Sie diesen Trend?
Bluhm: Ich finde diese Portale extrem spannend, weil sie uns neue Erzählweisen bringen. Und da diese bei den Lesern gut anzukommen scheinen, haben sie natürlich auch eine Existenzberechtigung. Ich glaube, dass sich in den nächsten Jahren noch ganz andere Erzählweisen entwickeln werden, über die der eine oder andere sicherlich auch die Stirn runzeln wird. Und klar, kann man darüber streiten, ob sich jede Geschichte in Katzengifs erzählen lässt. Aber es ist ja erstaunlich, wie oft das doch auch funktioniert.
torial: Wie viel hat das mit Journalismus zu tun?
Bluhm: Sehr viel. Man könnte es ja auch so formulieren: Buzzfeed praktiziert durch den Ansatz, dass sich ihre Themen am besten viral verbreiten sollen, eine Art Schreiben für den Leser in Extremform. Die Frage „Würde ich diesen Text, den ich gerade geschrieben habe, bei Facebook meinen Freunden empfehlen?“, sollten sich alle Journalisten ruhig öfter stellen.
torial: Werden solche Angebote auch bei uns den Online-Journalismus verändern? Und wenn ja, wie?
Bluhm: Letztendlich stehen wir ja noch am Anfang. Derzeit sehen wir endlich immer mehr Geschichten – Stichwort: Snowfall etc. – die endlich die ganze Bandbreite der Möglichkeiten des Internets nutzen. Die Möglichkeiten haben wir schon eine ganze Weile, aber nun scheinen Redaktionen diese auch verstärkt nutzen zu wollen und zu können. Gleichzeitig wird der Journalismus sicherlich noch dialogischer werden. Wir leben in einer sehr spannenden Zeit!
torial: In den USA ist eine neue Gründerzeit unter Journalisten angebrochen – mit neuen Sites wie Vox.com, FiveThirtyEight oder First Look Media. Spürt man davon in Deutschland Ihrer Meinung nach schon etwas?
Bluhm: Interessante Gründungen hat es ja schon immer gegeben und vor allem durch das Aus der FTD gab es da das eine oder andere Projekt. Wir haben zwar den kleinen Standortnachteil, dass der deutschsprachige Raum ein wenig begrenzter ist als der englischsprachige, aber durchaus noch groß genug für sich tragende Ansätze. Das ist ja das Schöne am Internet: Die Einstiegshürde ist nicht ganz so hoch. Man kann viel schneller einfach mal machen und ausprobieren.