„Die Verlage sollten mal einen Medien-Start-up-Inkubator gründen“
Georg Dahm hat lange bei großen Verlagen gearbeitet. Seit Frühjahr baut er zusammen mit Denis Dilba ein neuartiges digitales Wissensmagazin auf – mit eigener Firma und Geld aus dem Netz. torial sprach mit Dahm über die Knochenmühle Crowdfunding.
torial: Herr Dahm, Ihr vielbeachtetes Crowdfunding-Projekt zum digitalen Wissenschaftsmagazin „Substanz“ wurde Ende März erfolgreich abgeschlossen. 37.000 Euro haben Sie zusammenbekommen. Was ist seither geschehen?
Georg Dahm: Das könnte jetzt abendfüllend werden. Aber ich gebe Ihnen die Kurzfassung. Wir stecken knietief in den ersten Geschichten, da entwickeln wir mit den Autoren und unserer Art-Direktorin Storylines und Optik-Ideen. Wir sprechen viel mit neuen Autoren – und ja, das ist eine Einladung, sich bei uns zu melden.
Unsere Grafiker sind am Zeichnen und Animieren, da entstehen gerade sehr coole Sachen. Die App-Entwicklung läuft, das ist nochmal ein Kapitel für sich. Wir haben unser Team erweitert um ein paar Köpfe, die wir im laufenden Betrieb brauchen werden, und testen den wöchentlichen Redaktions-Workflow. Und dann halt eine Menge geschäftlich-juristischer Kram, Lizenzverhandlungen mit ausländischen Partnern und was den Tag noch so alles verschönert.
torial: Als Sie in das Crowdfunding-Projekt gegangen sind, wie hoch haben Sie damals die Erfolgschancen eingeschätzt? Gab es im Team eine gewisse Überraschung, dass es dann doch so souverän geklappt hat?
Dahm: „Überraschung“ ist das falsche Wort. Dass am Finalwochenende, als wir das Minimalziel von 30.000 Euro schon erreicht hatten, nochmal so ein Schwung reinkam, das hat uns natürlich geflasht. Aber da hatten wir ja schon sechs Wochen lang wie blöde geackert, um diese Unterstützung einzuwerben, den ganzen Vorlauf und den Filmdreh nicht mal mitgerechnet.
Diesen ganzen Aufriss hätten wir nie gestartet, wenn wir nicht von Anfang an geglaubt hätten, dass die Kampagne klappt. Wir haben uns gesagt: Es gibt einen Markt für Substanz – dann gibt es auch Leute, die wir schon jetzt dafür begeistern können. So. Wie viele sind das, was geben die wohl aus, wie kommen wir an die ran? Und wie es beim Crowdfunding eben ist, haut man da auch mal daneben, dann musst du gegensteuern, und darum sind diese Kampagnen ja auch solche Knochenmühlen. Da ist jeder Euro hart verdient.
torial: Sie selbst hatten mit dem Aus der „FTD“ und dem schnellen Ende des deutschen „New Scientist“ gleich zwei Pleiten hintereinander erlebt. Wollen Sie jemals nochmals für einen klassischen Verlag arbeiten?
Dahm: Puh. Das müsste schon ein sehr sehr experimentierfreudiger Verlag sein, der mich machen und freidrehen lässt. Ein Verlag mit einer geschützten Start-up-Enklave sozusagen. Und ich müsste die Garantie haben, dass uns nicht irgendwelche Bedenkenträger und Verhinderer vorzeitig den Saft abdrehen. Ich finde ja, dass sich mal ein paar Verlage zusammentun und einen Medien-Start-up-Inkubator gründen sollten, gerne auch mit öffentlicher Förderung. Da wäre ich dabei.
torial: „Substanz“ soll wöchentlich erscheinen. Das ist für eine kleine Redaktion eine ganz schöne Aufgabe.
Dahm: Das geht auch nur, weil wir nicht nachrichtengetrieben sind. Wir können und wollen nicht in Konkurrenz treten zu Deutschlandfunk, Zeit, Spiegel Online, Wissenschaft.de oder Spektrum – Die Woche. Wir machen nur wenige, große, zeitlose Beiträge, die man so anderswo nicht bekommt. Und die können wir mit Vorlauf produzieren.
torial: Wie wird die Produktion ablaufen? Gibt es pro Ausgabe einen jeweils zu erreichenden Umfang? Wie zeitschriftenartig wird das Ganze?
Dahm: Keine Zeitschrift in dem Sinne, dass man viele Rubriken und einen Mix aus Lang- und Kurzformaten hat. So eine Struktur brauchst du im Print, damit sich das Produkt gut anfassen und durchblättern lässt und jeder Leser irgendwas findet, woran er hängen bleibt – und der Rest geht ungelesen in die Tonne.
Wir wollen nicht für die Tonne arbeiten, wir machen gerade so viele Beiträge, dass die in die Mußestunden unserer Leser passen. Und diese Geschichten müssen dann richtig gut produziert sein, damit sich die Leser darauf freuen und auch auf Themen einlassen, die sie sonst vielleicht nicht lesen würden: „Boah, diese Woche nur Neurowissenschaften und Gentechnik, ich will aber Raumfahrt.“
torial: Wann wird die erste Ausgabe erscheinen und was ist für diese geplant?
Dahm: Ein Feuerwerk der guten Laune, die Enthüllung der Weltformel in 3D, ein Gastkommentar des Messias und in allen Beiträgen die Neuerfindung des Wissenschaftsjournalismus. Entweder das oder eine Auswahl von Geschichten, die beispielhaft für das stehen, wohin bei Substanz die Reise gehen kann.
Das ist ja das Schöne an diesem Projekt: Wir können völlig frei ausprobieren, wie man Wissenschaftsgeschichten fürs Tablet machen kann, und das mit jeder Ausgabe. Da laufen jetzt sozusagen die ersten Experimente, und die wollen wir noch in der ersten Jahreshälfte abschließen und an den Start gehen – vorausgesetzt, die Qualität stimmt und die Technik läuft sauber. Das haben wir ja von vornherein gesagt: Wenn es in der App hakt, hängen wir lieber noch ein paar Wochen dran, anstatt halbgaren Kram auszuliefern. Das wollen wir nicht und dann wären wir auch sofort weg vom Fenster.
torial: Das erfolgreiche Crowdfunding zum Start des Projekts ist das eine, ein dauerhafter Abonnentenstamm das andere. Wie wollen Sie den erreichen?
Dahm: Durch die Crowdfunding-Kampagne haben wir unsere ersten 600 Leser, das ist schonmal ein guter Wachstumskern. Und was jetzt den weiteren Weg zur Weltherrschaft angeht: Auf unserem Server liegt ein Ordner mit der Bezeichnung „Abo- und Anzeigenstrategie“, und auch darin verschwindet viel von unserer Arbeitszeit.
Das ist wie bei jedem anderen Medium auch: Was sind meine Zielgruppen, wie komme ich an die ran, mit Social Media, Probeabos, Kooperationspartnern, Gastauftritten bei „Verbotene Liebe“ oder Flashmobs bei der Nobelpreisträgertagung in Lindau. Das Übliche halt.
torial: Glauben Sie, dass andere Journalisten ähnlich wie Sie bei „Substanz“ vorgehen sollten? Oder klappt das nur in bestimmten Nischen?
Dahm: Das kann ich so pauschal nicht beantworten. Klar, diese Kombination aus digitalem Publizieren und Crowdfunding, da steckt echt viel Potenzial drin, ich sage nur: „De Correspondent“. Aber ich würde jetzt aus dem, was wir bisher gemacht haben, noch kein Rezept ableiten. Erstens hätte man einiges ja auch ganz anders machen können. Und zweitens ist das alles noch work-in-progress, wir müssen ja erstmal beweisen, dass das Ding auch fliegt.
torial: Sind die technischen Hürden für kleine Teams zu stemmen?
Dahm: Im Prinzip ja. Wenn man zum Beispiel sagt, es reicht uns, auf dem iPad zu erscheinen, dann gibt es da schon fertige Lösungen wie Creatavist oder Periodical.
Wir haben uns für Substanz ein bisschen mehr vorgenommen, was die Funktionen und das Erscheinungsbild angeht, und dafür arbeiten wir dann eben mit mehreren externen Partnern zusammen. Das geht gut, aber wir müssen auch einiges an Projektmanagement betreiben, damit das Räderwerk sauber dreht.
torial: Was würden Sie dem journalistischen Nachwuchs mit auf den Weg geben? Was eigenes oder doch zum Verlag?
Dahm: Das kommt immer auf auf das Projekt und auf den Menschen an – in welchem Lebensabschnitt stehst du, was hast du drauf, brauchst du vielleicht noch ein paar Lehr- und Wanderjahre, bist du überhaupt der Gründertyp? Dir muss klar sein, dass du auf einmal unter einem ganz anderen Druck stehst, dass du viel exponierter bist, und dass du viel Zeit mit Sachen verbringst, für die du nicht Journalist geworden bist.
Muss man sich überlegen, ob man sich das sofort ans Bein binden will. Start-up ist nicht immer toll und Verlag ist nicht immer scheiße, da gibt es ja auch gute Projekte und Leute, die was bewegen. Und einem Arbeit abnehmen.