11.08.2014

„Machen statt Quatschen“

Christian Bollert, Chef von „detektor.fm“, erzählt im torial-Interview, wie eine Gruppe freier Radiojournalisten ein unabhängiges Internet-Radio für Deutschland hochgezogen hat.

torial: Herr Bollert, für alle, die „detektor.fm“ noch nicht kennen – was genau macht Ihr Internet-Radio und wie lange ist es schon auf Sendung? Welche Zielgruppe haben Sie?

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Quelle: detektor.fm

Christian Bollert: detektor.fm ist ein deutschlandweites Onlineradio, das moderne Popmusik aus dem Netz mit aktuellen Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur kombiniert. Wir machen ein Magazin-Radio für eine digitale Zielgruppe, die sich für nationale und internationale Themen interessiert. Die Hörer sind zwischen 20 und 45 Jahren alt und wohnen in deutschen Groß- und Universitätsstädten.

Uns geht es bei unserem Programm nicht um Schnelligkeit oder Wetter und Verkehr, sondern um Hintergründe, Analysen und Standpunkte. Wir nehmen uns für die Themen Zeit und wollen mehr liefern als kleine Nachrichtenhäppchen. Dabei entscheiden wir uns bewusst für unsere Themen und erheben keinen Vollständigkeitsanspruch.

Auch bei der Musik haben wir einen journalistischen Ansatz. Wir präsentieren unseren Hörern neue Musik, die gerade im Netz diskutiert wird. Unsere Musikredaktion wählt und empfiehlt neue Interpreten und Titel. Die Hoheit über unsere Playlist hat nicht die Marktforschungsabteilung, die wir nicht haben, sondern unser Musikchef. Dabei sind alle unsere Inhalte jederzeit und dauerhaft im Netz nachhörbar. Wir löschen keine Beiträge. Dadurch entsteht seit vier Jahren ganz nebenbei ein riesiges Audioarchiv.

torial: Wie ist der Sender entstanden? Wie groß ist die Mannschaft heute?

Bollert: Wir haben vor der Gründung als freie Journalisten für öffentlich-rechtliche Radiosender gearbeitet. Unser Antrieb war es, der deutschen Radiolandschaft ein hochwertiges Radio für die digitale Welt zu geben. Denn in unserem eigenen Umfeld ist uns aufgefallen, dass es ein solches Format von den öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern bisher nicht gibt. Wir wollten einfach nicht weiter über diesen Umstand meckern und haben dann nach unserem inoffiziellen Motto „Machen statt Quatschen“ detektor.fm gegründet.

Wir haben mit der Planung für detektor.fm 2008 angefangen und dann fast ein Jahr lang geplant und vorbereitet. Im Dezember 2009 sind wir schließlich auf Sendung gegangen. Heute arbeiten vier Leute jeden Tag bei detektor.fm. Daneben gibt es aber noch freie Mitarbeiter wie Redakteure und Moderatoren, die tageweise zum Programm beitragen. Das sind circa 15 bis 20 Menschen. Daneben arbeiten aber auch noch vier freie Journalistinnen in einem Journalistenbüro mit uns zusammen. Am Mittagstisch können sich an manchen Tagen also schon 15 Leute drängeln.

torial: Wovon lebt detektor.fm? Angeblich tragen sich unabhängige Medien im Netz ja nicht.

Bollert: Wir haben vier verschiedene Einnahmequellen. Die erste und wichtigste Einnahmequelle ist die Werbung. Wir verzichten auf klassische Werbeblöcke mit mehreren Spots, aber Unternehmen erhalten bei uns die Möglichkeit, bestimmte Themen als Partner zu präsentieren. Sie werden dann als Werbepartner vorher und nachher im Stream und im Podcast genannt sowie im Online-Artikel verlinkt. Die Inhalte werden dabei aber von detektor.fm-Redakteuren erstellt. Wir handeln bei der Vermarktung nach einem strengen Redaktionskodex, der auch für jeden auf unserer Seite nachlesbar ist. Bei der Audio-Vermarktung werden wir vom Vermarkter der ARD, von der AS&S unterstützt. Die Bannerwerbung auf der Webseite wird von netpoint media vermarktet.

Die zweite Einnahmequelle ist die Audioproduktion. Das heißt, wir produzieren Audioinhalte für andere. So vertonen wir beispielsweise täglich das „Streiflicht“ der Süddeutschen Zeitung für die Digitalausgaben der SZ.

Die dritte Einnahmequellen ist die Wissensvermittlung. Wir sind häufig als Dozenten im Auftrag von Journalistenschulen, Landesmedienanstalten oder Universitäten unterwegs.

Die vierte Säule ist dann der ganze „Rest“. Unsere Hörer überweisen uns Geld direkt auf unser Konto, sie können uns über den Mikrobezahldienst Flattr unterstützen oder per Paypal Geld zukommen lassen. Außerdem verkaufen wir T-Shirts über unseren Shop auf der Webseite. Schließlich bekommen wir Provisionen beim Verkauf von Songs oder Büchern bei Amazon oder iTunes.

torial: Neben dem Anhören einzelner Beiträge oder dem Herunterladen von Podcasts sind zwei Streams ihr Hauptangebot. Warum ist ein lineares Angebot trotz On-Demand-Möglichkeiten sinnvoll?

Bollert: detektor.fm wird seit dem Sendestart eben auch als Livemedium genutzt. Viele unserer Hörer lieben die beiden Streams und wünschen sich entweder nur Musik oder eben eine Kombination aus spannenden, hintergründigen Beiträgen und neuen Songs aus dem Netz. Mehr als zwei Drittel aller Nutzer hören uns über das lineare Angebot. Im Übrigen ist das ja eine Stärke von Radio, ein journalistisch zusammengestelltes Angebot, welches wie Wasser aus dem Hahn – in unserem Fall aus dem WLAN-Radio – kommt.

torial: Was ist der Unterschied zwischen dem Wort- und dem Musik-Stream?

Bollert: Beide Streams laufen 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Im Wortstream senden wir allerdings täglich unsere Hauptsendung „Der Tag“ (16 bis 19 Uhr, Wiederholung 11 bis 14 Uhr) mit Analysen, Kommentaren und Hintergründen. Tagsüber sind im Wortstream außerdem zeitlose Inhalte zu hören, die noch immer relevant sind. Zum Beispiel eine Erklärung der Konfliktparteien des Syrien-Krieges oder Stücke zur Energiewende. Abends und am Wochenende laufen im Wortstream Spezialsendungen zu verschiedenen Themen wie HipHop, britischer Musik, elektronischer Musik oder Hörbücher.

Der Musikstream ist ein Kind unserer eigenen Webradionutzung. Denn bei bestimmten Arbeiten kann ich persönlich beispielsweise kein zehnminütiges Interview mit Heribert Prantl zu TTIP hören. Für diese Nutzungsszenarien gibt es den Musikstream. Dieser läuft übrigens auch erfreulich häufig in Cafés und Kneipen überall in Deutschland.

torial: Die öffentlich-rechtlichen Sender haben mit Angeboten wie DRadio Wissen mittlerweile ebenfalls Sender, die primär ins Netz senden. Ist das auf Dauer die Zukunft? Schließlich kriegt man mittlerweile per Smartphone auch solche Kanäle aufs Autoradio.

Bollert: Wir gehen davon aus, dass das Internet der Übertragungsweg der Zukunft ist. Deshalb ist detektor.fm auch von Anfang an ein konsequentes Online-Angebot. Die DAB+-Fans sprechen ja mittlerweile selbst schon nur noch von „Brückentechnologie“. UKW hingegen wird noch viele Jahre bleiben. Die etablierten Anbieter werden sich ihre Marktmacht nicht selbst zertrümmern.

Mit der wachsenden Verbreitung von mobilem Internet, vor allem eben auch im Auto, wird das Netz der Übertragungsstandard für Radio werden. Wenn man sich anschaut, wie viele Videodaten schon heute im Internet übertragen werden, dann muss man kein technikgläubiger Mensch sein, um zu erkennen, dass Audio künftig noch viel stärker als heute über das Internet übertragen wird – und wir sind eben schon da.

torial: Sie haben selbst für die ARD gearbeitet. Denken Sie manchmal wehmütig an das terrestrische Analogprogramm zurück?

Bollert: Ehrlich gesagt nein, die Arbeit für detektor.fm und an der Zukunft des Radios ist momentan so spannend, dass ich da nicht wehmütig werde. Aktuell beenden wir gerade die Arbeit an einer App für internetfähige Fernseher, Smart-TVs, und wir sind sehr gespannt, ob man unser Programm nicht auch in die Unterhaltungszentralen im Wohnzimmer bringen kann. Unsere Entwicklungsschübe der letzten Jahre wären in dieser Form in einem öffentlich-rechtlichen Sender wenn nicht vollkommen undenkbar, dann doch sehr schwierig gewesen.

torial: Könnte detektor.fm eines Tages unter das Dach der Öffentlich-Rechtlichen schlüpfen?

Bollert: Wir werden mit unserem Anspruch in der Tat von vielen Beobachtern häufig als öffentlich-rechtlich wahrgenommen und ja auch von der AS&S vermarktet. Es ist aber nicht unser erklärtes Ziel, eines Tages ein öffentlich-rechtlicher Sender zu werden. Wir schielen übrigens auch nicht auf einen Verkauf an eine Privatradiokette.

Unsere Vision ist es, einer der relevantesten Online-Radiosender in Deutschland zu werden, das Programm weiterhin auszubauen und weiterhin von unserer Arbeit leben zu können. Wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe, dann, dass man nicht seriös sagen kann, was in einigen Jahren passiert. Das ist ja das Spannende an der aktuellen Phase im Journalismus.

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