03.09.2014

Crowdfunding-Plattform deepr: Paid Content statt Gratistexte

Armin Eichhorn ist kein Journalist. Er hat Wirtschaftswissenschaften studiert, weil er lernen wollte, wie sich eine Idee ökonomisch tragfähig umsetzen lässt. Auch sein Projekt „deepr“ will das Verhältnis zwischen Lesern und Journalisten neu definieren.

Armin und seine Kollegen von deepr, alles Nicht-Journalisten, haben viel vor. So soll es am Ende laufen: Journalisten stellen ein Exposé ihres Themas auf godeepr.com und geben ein Finanzierungsziel an. Die potenziellen Leser finanzieren ihn, bevor er geschrieben ist, in der Regel mit jeweils einem Euro. Ist der angepeilte Betrag erreicht, erhält der Autor den Auftrag und legt los. Designer bei deepr bereiten den Text dann multimedial auf: der Text wird mit Bildern, Videos, Audiodateien und Infografiken verzahnt. Die Geschichten erscheinen zweisprachig, auf deutsch und auf englisch. Lesen können die Stories am Ende nur die, die dafür bezahlt haben oder die ihn nach Veröffentlichung kaufen.

Nur wer zahlt, darf lesen

Paid Content also, nichts mit Gratiskultur. „Wer nicht mit finanziert, kann nicht lesen.“ meint Armin. „Das ist der Hebel, den wir in den Köpfen umlegen. Guter Journalismus kostet, das müssen wir den Lesern klar machen.“ Das Verständnis dafür sei aber auf grundlegendem Level da. Der erste Artikel hatte ein Finanzierungsziel von 100 Euro. Das sei natürlich viel zu wenig. Auf den eher niedrigen Betrag hatten er sich mit der Autorin für das erste Modellprojekt geeinigt.

In der nächsten Entwicklungsstufe des Projekts wird sich ein durchschnittliches Finanzierungsziel von um die 500 Euro einpendeln, glaubt er. Große Sprünge kann man damit nicht machen, zumindest müsste es damit aber machbar sein, zweimal zu Recherchezwecken die Bahn zu nutzen. Es soll aber auf Dauer auch noch möglich sein, so dass jemand in seinen Pitch schreiben kann: „,Ich wohne in Deutschland, möchte aber aus Nigaragua berichten, der Beitrag würde insgesamt 5.000 Euro kosten.’“

Die Leser zahlen standardmäßig einen Euro, können aber auch freiwillig mehr ausgeben. Wieso sie überhaupt für Artikel zahlen sollten, wo das ganze Netz doch mit kostenlosen Inhalten voll ist? Armin glaubt, dass vor allem die Aufbereitung zieht. Die Texte sollen im Stile des multimedialen Storytellings erzählt werden: alles fließt nahtlos ineinander, nach 15 Zeilen Text kommt ein zwei-minütiges Video, dann wieder Text, dann eine interaktive Grafik. Auch die Artikel von deepr sollen ein ähnlich Sog-artiges Leseerlebnis vermitteln, darum geht es.

Armin Eichhorn - deepr

Armin Eichhorn – Gründer von deepr. Foto Stefan Mey

Ein Medien-Startup ohne Journalisten?

Schaut man sich das Team an, fällt auf: kein einziger Journalist ist mit an Bord. Armin hat Wirtschaftswissenschaften studiert, von ihm stammt die Idee, und er managt das Organisatorische, Philip ist Jurist und kümmert sich ums Marketing. Sascha, Stephan und Steffi programmieren. Und dann arbeiten etwas freier noch ein Grafiker und ein weiterer Programmierer mit. Dieser scheinbare Makel bei einem Medien-Startup ist auch eine Stärke, meint Armin. „Wir haben ausschließlich die Leser-Perspektive. Für uns zählt nur das Erlebnis, das die Artikel schaffen.“

Er selbst bezeichnet sich als „Entrepreneur“, der vor allem Ideen liebt. Die schreibt er alle in ein großes, weißes Buch, dort hatte auch Deepr seinen Ursprung. Nach dem Studium hat er drei Jahre in der Logistik-Abteilung einer Firma gearbeitet und ist dann ausgestiegen, um etwas eigenes aufzubauen. Auf einer Berliner Entrepreneurship-Konferenz im Winter 2013 lernte er den Juristen Philip kennen. Im Januar 2014 stellten die beiden ihre Idee auf dem Startup-Weekend in Köln vor, einem der vielen Vernetzungstreffen für junge Gründer in deutschen Großstädten. Zwei Programmierer, die heute mit zum Team gehören, saßen im Publikum. In einer spontan zusammen gefunden Gruppe bastelten sie an der Seite, beauftragten einen Journalisten einen Text zu schreiben, und finanzierten ihn im Publikum. 57 Euro kamen für den ersten inoffiziellen deepr-Prototypen zusammen.

Der Proof of Concept steht

In den folgenden Monaten haben sie am Geschäftsmodell getüftelt, programmiert und Journalisten angeschrieben. Im Juni standen die ersten zwei Artikelideen online. Einer ist im Fundingzeitzaum gescheitert. Statt den angepeilten 300€ kamen nur 49€ zusammen. Der andere hat mit 127€ das weniger ambitionierte Ziel von 100€ überschritten. Er ist mittlerweile fertig und wird bald als erstes offizielles „deep“ veröffentlicht. Die Journalistin Ingrid Hägerle wird darin über das Geschäftsmodell mit bettelnden Kindern im afrikanischen Senegal berichten.

Der „Proof of Concept“, wie es in der Startup-Sprache heißt, ist mit dem ersten finanzierten Artikel also gelungen, auch wenn die Fundinghöhe noch bescheiden war. Das Konzept könnte funktionieren, jetzt geht es an die weitere Ausarbeitung. In den nächsten Wochen wird die Seite und die dahinter arbeitende Technik überarbeitet, so dass mehr als nur zwei Pitches und Geschichten möglich werden. Für die nächste Phase peilt Armin etwa 15 Artikelvorschläge an, von denen vielleicht zehn ihr jeweiliges Fundingziel erreichen.

Und dann, irgendwann, muss auch geklärt werden, wie sich die Gründer selbst über deepr finanzieren. Momentan sollen nach Abzug von Umsatzsteuer und PayPal-Kosten alle Einnahmen an die Autoren weitergeleitet werden. Noch gibt es kein deepr-Büro, und alle arbeiten noch unbezahlt. Zum jetzigen Stand behalten sie einen Cent pro umgesetzten Euro ein. Bald muss nicht nur ein wirklich tragfähiges Erlöskonzept für Autoren etabliert werden, auch das eigene Geschäftsmodell muss auf Dauer funktionieren. Werbung werde es nicht geben, nur die Leser entscheiden über die Inhalte.

Und auch wenn die Festlegung auf das eigene Geschäftsmodell zur Zeit noch Zukunftsmusik sei, werde sich nichts daran ändern, dass möglichst viel des Fundings an die Autoren weitergeleitet wird. Das verspricht der Nicht-Journalist Armin und freut sich auf die Mails von Autoren, die schauen wollen, ob sich mit deepr das Verhältnis zwischen Lesern und Journalisten nicht doch endlich neu definieren lässt.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, NEU, Neue Formate

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