18.03.2015

„Ist das Zukunft oder ist das Quatsch?“ – Wie viel journalistisches Potenzial steckt in Meerkat?

Es war noch nie so einfach, Livestreams per Smartphone um die Welt zu schicken: Die App Meerkat erobert aktuell die Herzen von Hunderttausenden Twitter-Nutzern, Journalisten und Selbstdarstellern. Tobias Gillen über das journalistische Potenzial der Erdmännchen-App.

Als Comedian Jan Böhmermann am Montagnachmittag über seinen Twitter-Account zum „spontanen Livestream-Meerkat-Q&A aus dem Büro“ einlädt, schalten binnen fünf Minuten über 250 Menschen ein. „Das ist ja mehr, als jemals bei ZDFneo eingeschaltet haben“, witzelt er. Und: „Ich glaube, das ist die Zukunft.“

Ganz so sicher war er sich wenige Minuten vorher da noch nicht. Denn zu Beginn seines Meerkat-Streams fragt er in die Runde: „Man umgeht sämtliche Publikationswege und streamt das einfach ins Netz. Ist das jetzt das, was später Fernsehen wird?“ Zugegeben, das war noch weit weg von dem, was Meerkat ist und irgendwann mal sein kann. Sein zweiter Versuch – „eine Art Video-Konferenz, nur dass keiner antworten kann“ – ist da schon näher dran.

Meerkat ist aktuell in aller Munde, zumindest in der twitterschen Filter-Bubble. Aber genau darauf hat es die App, die mobile Livestreams ermöglicht, ja auch abgesehen. Wer die App herunterlädt, wird zur Anmeldung über seinen Twitter-Account aufgefordert. Ist die erfolgt, sieht man die aktuellen Streams der abonnierten Personen, die bislang synchron zu den abonnierten Twitter-Nutzern gehalten wurde. Eine Funktion, die Twitter wegen seiner „internen Richtlinien“ inzwischen unterbunden hat. Es ist mehr als eine Randbemerkung wert, dass Twitter gleichzeitig Meerkat-Mitbewerber Periscope gekauft hat.

Interaktion am unteren Bildschirmrand

Aber zurück zu Meerkat: Ein ausgewählter Livestream – der eigentlich gar nicht so live ist, da er eine Verzögerung von 10 bis 30 Sekunden hat – lässt sich nun nicht nur favorisieren oder teilen, was analog dazu bisher auch selbige Funktionen bei Twitter auslöste, sondern auch kommentieren. Am unteren Bildschirmrand sehen dann sowohl der Sender als auch seine Zuschauer die einlaufenden Interaktionen.

Wer genügend Akku-Leistung und Datenvolumen hat, kann nun sowohl Streams anschauen, als auch selbst einen starten. So wie Daniel Fiene, Radiomoderator und Podcaster, der einen Vortrag auf dem „South by Southwest“-Festival (SXSW) in Austin gestreamt hat. Knapp über 60 Nutzer waren dabei, haben sich die leicht verwackelten Bilder seiner iPhone-Kamera und ab und zu, wenn er das Gerät ein bisschen geneigt hat, auch ihn angeschaut.

Damit bietet Fiene ein Beispiel für eine neue Abwandlung des mobile Reporting. Denn bislang war es nicht so simpel, einen interaktiven Livestream anzubieten, der es relativ einfach hatte, sich über soziale Netzwerke zu verbreiten und entsprechend auch viele Zuschauer zu bekommen. Durch die Anbindung an ein Netzwerk, das ohnehin für Schnelligkeit und Einfachheit steht, lässt sich Meerkat also ausgezeichnet für Reporter nutzen, die ihre Abonnenten mitnehmen wollen zu ihrer Recherche vor Ort.

Meerkat: Das nächste große Ding?

Ein Meerkat-Stream lässt sich dabei aber nur live in der App verfolgen. Wer möchte, kann das entstandene Video anschließend bei YouTube hochladen und so den Interessierten auch anschließend noch zur Verfügung stellen. Ansonsten bleibt es ein einmaliger Stream, der an die Idee von Snapchat erinnert, wo man Bilder und Videos verschicken kann, die sich anschließend wieder löschen.

Zweifelsfrei hat Meerkat einen Bilderbuchstart hingelegt: Innerhalb von 14 Tagen sind die Nutzerzahlen in den sechsstelligen Bereich geschossen, die Technik- und Medien-Berichterstattung ist überfüllt von Berichten, die in der App entweder das nächste große Ding sehen oder die nächste große Blase, die bald schon wieder zu platzen droht.

In jedem Fall aber bietet Meerkat für Journalisten vielfältige Möglichkeiten zur Recherche, etwa über die Suche von Twitter, oder um selbst als Reporter Eindrücke zu vermitteln und weiterzugeben. Es ist noch zu früh für eine Prognose, wie es mit Meerkat weitergeht. Fest steht aber: Schaffen es die Entwickler, Meerkat mit einer großen Nutzerbasis zu etablieren, sollten Journalisten ihr Potential nicht unterschätzen.

Oder wie Jan Böhmermann sagen würde: „Ist das Zukunft oder ist das Quatsch?“

  • Über Tobias Gillen

    Tobias Gillen ist Medienjournalist, Tech-Blogger und Autor der Bücher "Verschlüsselt!", "Spurlos!" und "Spurlos & Verschlüsselt!". Er bloggt auf tobiasgillen.de, auf Twitter erreicht man ihn unter @tobiasgillen.

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