11.08.2015

Interview: „Als Europäer sollten wir überlegen, ob wir nicht selbst investieren wollen.“

Diskutieren wir in Europa wirklich miteinander oder immer noch übereinander? Und was können die hiesigen Medien den Giganten aus dem Silicon Valley entgegensetzen? Andre Wilkens fordert Geld von der EU für den Aufbau einer europäischen Öffentlichkeit.

Vor einigen Tagen haben sich der Publizist Andre Wilkens und der Kommunikationsprofessor Markus Rhomberg in einer Berliner Tageszeitung mit einer klaren Forderung zu Wort gemeldet: ein EU-Fonds soll Medienkonzerne und kleine Initiativen fit für Europa machen. Was erwarten sie sich davon?

Der Publizist Andre Wilkens fordert zusammen mit dem Kommunikationsprofessor Markus Rhomberg einen europäischen Medienfonds

Eine eigenständige europäische Öffentlichkeit wünscht sich Publizist Andre Wilkens.  (Bild: Gerlind Klemens)

Herr Wilkens, was ist das Problem?
Wir haben seit 10 Jahren eine Identitätskrise. Europa weiß nicht genau, was mit Europa los ist. War es ein Erfolg mit der Erweiterung, wieso ist die EU-Verfassung in Frankreich und Holland gescheitert, was ist mit Griechenland los? Wir kommen bei den wichtigen Fragen einfach schlecht voran.

Woran könnte das liegen?
Ein Grund ist, dass bei allen Problemen nur nationale Öffentlichkeiten aufeinander treffen. Beim Thema Griechenland gab es eine sehr deutsche Diskussion in Deutschland. In Griechenland und Italien und Frankreich sah es ähnlich aus. Hinter verschlossenen Türen diskutieren natürlich deutsche, griechische und italienische Politiker miteinander. Aber eine wirkliche „Öffentlichkeit“, wie es Habermas definieren würde, haben wir in Europa nicht. Deswegen finden wir auch so schwer gemeinsame Lösungen. Die Krise ist da, sie ist viel mehr als nur ökonomisch, und eben deshalb können wir die Debatte zu Europa nicht nur den Politikern überlassen.

Wie könnten Sie sich eine europäische Öffentlichkeit vorstellen?
Ein erster guter Schritt wäre, dass man die nationalen Filterblasen aufbricht und Plattformen schafft, auf der man verschiedene Medien konsumieren kann, und zwar auch solche aus Spanien, Italien oder Griechenland. Bei der Auswahl wäre dann nur die journalistische Qualität entscheidend. Anfangs würde das nur mit Sprachen funktionieren, die man als Leser selbst versteht. Aber in wenigen Jahren wird die Online-Übersetzung so gut sein, dass wir dann auch spanische und griechische Texte problemlos in deutsch lesen können. Technologisch wird so viel passieren, dass wir auch die Sprachbarriere überspringen können.

Trauen Sie den nationalen privatwirtschaftlichen Medien eigentlich zu, das Thema europäische Öffentlichkeit anzugehen?
Sie könnten es angehen, sie haben es bisher aber nicht getan. Bisher gibt es nur sehr wenig Medien, die ich als wirklich europäisch bezeichnen würde. Ich zähle die Financial Times dazu, den Economist, vielleicht auch den Guardian. Und dann gibt es noch noch verschiedene kleine Newsportale wie EurActiv oder EUOberserver, die aber von sehr spezifischen Gruppen gelesen werden, von einer kleinen Gruppe an Euro-Nerds.

Wie wirkt sich die Geschäftsmodell-Krise der Medien auf deren Fähigkeit aus, publizistische Probleme zu lösen?
Es gibt bisher noch kein wirklich funktionierendes Modell, das digitale Medien in einem ähnlichen Umfang profitabel macht, wie es sich vorher in der nicht-digitalen Welt eingespielt hatte. Ich glaube, dass die Medien auf einem guten Weg sind, durch Paywalls und neue Modelle der Werbung. Zur Zeit sind es allerdings eher die großen Digital-Anbieter wie Facebook, Google und Apple, die ein Geschäftsmodell aus dem Herstellen von Öffentlichkeit machen. Wir haben Facebook Instant Articles, das geplante Apple News und die Digital News Initiative, bei der Google 150 Millionen Euro für Projekte europäischer Medien bereitstellt.

Was halten Sie davon?
Das ist spannend. Die Netz-Giganten bieten sich als Plattform für Anbieter journalistischer Inhalte an. Wie das in Zukunft funktionieren wird, weiß noch keiner. Ich glaube aber, dass diese Plattformen ein immer mächtiger Bestandteil des Medienverhaltens von Menschen werden. Man wird eine Art Spotify-for-News-Modell haben. Das ist alles gerade im Umbruch, und man kann da natürlich optimistisch sein oder auch kritisch.

Wie sehen Sie das?
In puncto transnationale und europäische Öffentlichkeit bin ich optimistisch, denn diese Plattformen sind nicht an nationale Filterblasen gebunden. Wenn ich als User Apple News sagen kann, dass ich Neuigkeiten aus ganz Europa auf englisch, deutsch und vielleicht auch italienisch haben will, und Apple kann mir das zusammenstellen, dann klappt das halt.

Was ist dann das Problem?
Ich bin da schon Europäer, der sagt: schön und gut, wenn Apple und Google das machen. Aber können wir bei einer so sensiblen Sache wie mediale Öffentlichkeit nicht selbst aktiv werden? Warum warten wir auf die großen Giganten mit ihren Geschäftsinteressen? Als Europäer sollten wir aus verschiedenen Gründen überlegen, ob wir nicht selbst investieren wollen. Zum einen kommen wir beim Voranschreiten mit Europa immer mehr an eine Grenze, wenn wir das Thema europäische Öffentlichkeit nicht langsam in den Griff bekommen. Zum anderen sind Medien und Kommunikations-Plattformen auch ein Gebiet für europäische Industriepolitik. Keiner der großen Giganten sitzt in Europa, die sitzen in den USA oder in China. Da könnten wir selbst etwas entwickeln.

Sie schlagen einen europäischen Medienfonds vor. Wie könnte der aussehen?
Da bin ich sehr pragmatisch. Ich würde mich an der Digital News Initiative von Google orientieren. Die investieren einen Betrag von 150 Millionen Euro. Für Google und auch für EU-Verhältnisse sind das Peanuts. Trotzdem stehen die Medienhäuser Schlange. Wenn man auf die Art die großen Verlage für europäische Projekte interessieren kann, würde ich sagen: lasst uns einen ähnlichen, aber gleich viel größeren Fonds starten. Der sollte ähnlich flexibel sein, relativ schnelle Entscheidungen treffen und schnell Startup-Kapital vergeben. Für neue Initiativen, die es noch nicht gibt. Aber auch für Medienhäuser, die sich zu einem europäischen Medium entwickeln wollen. Nehmen wir an, eine deutsche Zeitung, die hierzulande gut aufgestellt ist, tut sich mit europäischen Partnern zusammen, um ein neues, europäisches Medium zu schaffen. Man könnte dann irgendwann vielleicht die FAZ abonnieren und als Addon gleich noch eine ganze europäische Edition im Internet dazukaufen. Für solche Entwicklungen könnte der Fonds Geld bereitstellen.

Und das Geld würde von der Kommission kommen?
Ja. Wir haben ein Haufen Geld in der EU. Und damit muss man nicht nur Schulden begleichen, sondern man könnte es auch in zukunftsweisende Industriepolitik stecken. Das macht Europa sowieso immer wieder. Ich erinnere an Airbus. Vor einigen Jahrzehnten hatte man beschlossen, dass man das Bauen von Flugzeugen nicht nur den Amerikanern überlassen sollte. Man hat einfach eigene Kapazität aufgebaut. Und das hat funktioniert. Beim Thema Medien und Öffentlichkeit muss man schon smarter denken und kann das nicht mit den gleichen Methoden machen. Aber so ein Airbus-Moment würde der europäischen Öffentlichkeit gut tun.

Für wie aussichtsreich halten Sie Ihren Vorschlag eigentlich?
Tja. Am Anfang steht immer erstmal ein Vorschlag. Wir hoffen, dass er aufgegriffen wird. Markus Rhomberg, mit dem zusammen ich die Idee entwickelt habe, und ich haben schon einige positive Kommentare bekommen. Jetzt ist die Politik erst einmal in der Sommerpause. Aber hoffentlich setzen sich die zuständigen Leute in der europäischen Kommission und im Parlament gleich an die Idee, wenn sie zurück sind.

Der Publizist Andre Wilkens hat Politikwissenschaft studiert und bisher für Institutionen wie die EU und die UNO sowie für verschiedene Stiftungen gearbeitet. Zuletzt hat er sich in dem Buch Analog ist das neue Bio über ein Leben jenseits des digitalen Geschwindigkeits-Wahns Gedanken gemacht.

Markus Rhomberg ist Professor für Politische Kommunikation an der privaten, Baden-Württembergischen Zeppelin Universität. Rhomberg forscht zu Online- wie Offline-Debatten und ihre Auswirkungen auf die Politik.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: Dynamik am Markt

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