23.02.2016

Perspektiven statt Panik – Perspective Daily und der Konstruktive Journalismus

Über Themen zu berichten und sie zu analysieren ist nicht genug: Der konstruktive Journalismus will Lösungsansätze finden. Erfolgreiche Vorläufer wie „Fixes“ der New York Times oder der niederländische De Correspondent haben bewiesen, dass das geht, ohne dabei in blinden Aktivismus zu verfallen. Mit Perspective Daily wagt nun die erste deutsche Plattform den Versuch, lösungsorienterten Journalismus zu anzubieten.

Tagesschau gucken macht depressiv. Zu diesem Befund kann man durchaus im sonntäglichen Selbstversuch kommen, er scheint aber auch durch eine Studie von Medienwissenschaftlern der Universität Southampton untermauert zu werden. Der zufolge führe ein Übergewicht an negativen Nachrichten zu Gefühlen der Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit oder Stress. Und je mehr ein emotionaler Grundtenor im Sinne von:„Alles wird immer schlechter und ich kann eh nichts dran ändern“, überhand nimmt, desto weniger sind Menschen bereit zu spenden, sich umweltfreundlich zu verhalten oder sich mit anderen über ihre Ansichten auszutauschen.

Hier versucht der konstruktive Journalismus anzusetzen. Statt über Konflikte, Krisen, Klimawandel nur zu berichten oder sie zu analysieren, wollen dessen Vertreter vielmehr Lösungsansätze herausarbeiten. Der konstruktive Journalismus wirft dabei ebenso die Frage auf, wieweit die gängige Berichterstattung ein ausgewogenes und differenziertes Bild liefert, oder vielmehr negative Entwicklungen einseitig betont, wie etwa eine Studie der Universitäten Köln und Leuven zu belegen scheint.

Internationale Vorreiter eines solchen lösungsorientierten Journalismus sind die New York Times mit ihrem Blog Fixes, die  britischen Positive News oder der niederländische De Correspondent, der mit diesem Ansatz fast 50.000 zahlende Abonnenten gewinnen konnte. Jetzt steckt mit Perspective Daily die erste deutsche Plattform in der Gründungs- und Crowdfundingphase. 12.000 Mitglieder sollen mit einem Jahresbeitrag von 42€ den Betrieb ermöglichen.

Konstruktive Kritik statt gute Nachricht des Tages

Die Vertreter dieses Ansatzes verstehen sich dabei nicht als Lilalaunejournalisten, die ihren Lesern mit Geschichten über gerettete Hundewelpen die Augen befeuchten. Vielmehr gehe es um konstruktive Kritik: Was ist gut gelaufen, was ist schlecht gelaufen, wie kann man es besser machen? Statt also etwa den Bildungsnotstand nur zu beklagen und Verantwortliche anzuprangern, gelte es herauszuarbeiten, wo vergleichbare Herausforderungen wie gelöst wurden.

Skeptiker befürchten einen Abschied vom journalistischen Anspruch auf Objektivität und Unparteilichkeit. Das von Hanns Joachim Friedrich geprägte Diktum, man möge sich als Journalist auch mit einer guten Sache nicht gemein machen, werde solcherart abgewickelt. Diesem Vorwurf undifferenzierter Parteilichkeit widerspricht Perspective Daily Mitgründerin Maren Urner vehement: Eine Haltung sei Voraussetzung um Dinge einzuordnen, was ja auch Friedrich vertreten und praktiziert habe. Es gehe vielmehr darum, implizite Haltungen transparent zu machen und auf die eigene Position reflektierend gerade auch Lösungsansätze in den Blick zu nehmen und zu diskutieren, die der eigener Position nicht prinzipiell naheliegen.

Grenzen zwischen Konstruktiv und Kampagne

Statt blauäugige Visionen in die Welt zu setzten, sollen auf Basis von empirischen Studien, gründlicher Recherche und gestützt auf das Fachwissen der Autoren , die bei Perspective Daily meist einen wissenschaftlichen wie journalistischen Hintergrund haben, unterschiedliche Lösungsansätze differenziert diskutiert werden. Wieweit in der Praxis dabei immer wieder die Grenzen zwischen einem solchen lösungsorientierten Ansatz und Kampagnen-Journalismus für die „gute Sache“ verschwimmen können, wird verschiedentlich diskutiert. So problematisierte z. B. Julius Endert den multimedialen Einsatz des Correspondent-Autors Rutger Bregmans für das bedingungslose Grundeinkommen.

Für Maren Urner unterscheidet sich Lösungsorientierter Journalismus dagegen grundsätzlich von Aktivismus oder Petitions-Plattformen wie Change.org: „Der Unterschied ist riesig, weil es nicht darum geht eine bestimmte vorgefertigte Agenda zu pushen, was ja bei NGOs oder solchen Plattformen der Fall ist, sondern ein realistisches, vollständigeres und hoffnungsvolleres Bild zu zeichnen – wenn es Grund zur Hoffnung gibt.“

Erweiterung des journalistischen Werkzeugkastens statt kopernikanischer Wende

Muss nun zukünftig jede Nachricht auf ihr konstruktives Potential abgeklopft werden? Das erscheint weder sinnvoll noch praktikabel. Schließlich erfüllen unterschiedliche journalistische Formen verschiedene Funktionen. Und jedem Bericht über die Tagung des örtlichen Imkervereins eine lösungsorientierte Perspektive zu unterzulegen, dürfte am Thema und Informationsinteresse vorbeisteuern. Auch für Maren Urner geht das am eigentlichen Ziel vorbei. Für sie ist dieser Ansatz kein Ersatz für den gegenwärtigen Journalismus, sondern eine Ergänzung, eine Erweiterung des journalistischen Werkzeugkastens um weitere Tools, die bislang zu wenig genutzt wurden. So ist Perspective Daily auch nicht als vollumfängliches Nachrichtenportal geplant, sondern will sich mit einem tiefrecherchierten Beitrag pro Tag als feste Anlaufstelle für eine konstruktive Hintergrundperspektive empfehlen.

Wie dieser ambitionierte Ansatz in der Praxis aussehen und umgesetzt werden kann, wollen die Perspektive-Daily Macher demonstrieren, wenn ihre Crowdfundingkampagne erfolgreich verläuft. Impulse für lösungsorientiertere Perspektiven und eine Sensibilisierung für Dramatisierungsmechanismen in der Berichterstattung sind schon jetzt und in jedem Fall produktiv.

 

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  1. torial Blog | Jenseits von Kriegen, Krisen und Klischees – wie die Plattform JournAfrica das Afrikabild deutscher Medien verändern will 21 06 16