12.07.2016

Realsatire.de und der „Humorjournalismus“

Satire boomt. Beim Publikum und bei internationalen Regierungsvertretern. Zwei Berliner Journalisten glauben, dass zwischen „Postillion“ und „extra3“ noch Platz ist für ein weiteres Satireformat. Dabei setzen sie nicht auf Persiflage und Überspitzung. Mit ihrem Portal „Realsatire“ wollen die Gründer Jochen Markett und Andi Weiland vielmehr beweisen, dass die Wirklichkeit die besten Satiren schreibt.

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„Warum gelten Satiriker heute als die Journalisten mit Haltung und Tiefgang?“ fragte im Mai eine Diskussionsrunde im Demokratie-Forum des Hambacher Schlosses. Der Publikumserfolg von satirischen Formaten war für die Diskutanten um Andreas Langer, Redaktionsleiter von extra3, Monitor-Chef Georg Restle und Ex-Grimme-Chef Bernd Gäbler allerdings keine Frage. So hat etwa die Heute-Show schon 2012 die Einschaltquoten des Heute-Magazins hinter sich gelassen und zählt mit bis zu 4 Millionen Zuschauern zu den beliebtesten und jüngsten Formaten des ansonsten traditionell eher reifen Senders. Gerade die Mischung aus einfach zu verstehenden Scherzen und kritischen Kommentaren zu gesellschaftlichen Themen, begründet für den Medienwissenschaftler Benedikt Porzelt den Erfolg bei einem breiten Publikum. Und dieser Mix aus leichter Kost und pointierter Kritik biete darüber hinaus die Möglichkeit, eine seit den 1990er Jahren anwachsende Zielgruppe unterhaltungsorientierter Nutzer „wieder mit politischen Inhalten zu erreichen und ein Interesse daran zu wecken“. Dabei könne Satire vom Glaubwürdigkeitsverlust der Medien profitieren, „da sie auch kritisch auf die Arbeit der Medien eingeht. Sie kann dadurch gegebenenfalls als Gegenentwurf zum vermeintlichen „Mainstream“ erscheinen“, so Porzelt. Ersetzen könne Satire Journalismus allerdings nicht, befand auch der frühere Grimme Chef Bernd Gäbler. Vielmehr sei sie meist eine „Verarbeitung von journalistischem Wissen“  das nicht zuletzt den Wissenshorizont des Publikums bildet, den die Pointen der Satiriker voraussetzen.

Recherchieren statt kommentieren

Einen dezidiert journalistischen Ansatz verfolgen zwei junge Berliner Journalisten mit ihrem im Mai gestarteten Portal Realsatire. Statt Donald Trump oder Frauke Petry durch möglichst pointierte Kommentare aufzuspießen, wollen Jochen Markett und Andi Weiland beweisen, dass die Realität die besten Satiren schreibt. „Das ist wirklich der humorjournalistische Ansatz, zu sagen, wir machen nicht den Weiterdreh, den jeder schon hat, wir machen nicht den nächsten Gauland-Boateng-Gag, sondern wir finden dazu eine abseitige Information, die vielleicht diese Nachricht ergänzt“, erläutert Markett. „Das Journalistische ist rauszugehen und die Sachen zu finden, die passieren und auch korrekt zu recherchieren. D.h., wenn wir Bilder verbreiten, müssen wir verifizieren, dass sie nicht gefaked sind. Wenn wir schreiben, dass Wolfgang Schäuble in seinem Abgeordnetenbüro keinen behindertengerechten Zugang hat, müssen wir das überprüfen, sonst haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem.“ Auch bei den geplanten Videoreportagen verfolgen sie einen journalistischen Ansatz.  „Lutz van der Horst kann zu Hause sitzen und sich überlegen, welche lustigen Fragen stelle ich heute auf dem Afd-Parteitag. Wir würden eher hinfahren, einfach beobachten und zeigen oh guck hier hat die Afd rumänische Modells eingesetzt für eine Plakataktion und nicht gemerkt, dass es Rumänen sind.“

Humor vs Populismus

Dabei setzten sie auf thematische Breite und auf eine Doppelstrategie aus lustigen Bildern mit Like-Potential und längeren, recherchierten Stücken. „Das ist sicherlich Chance wie Risiko zugleich, denn einfacher wäre es, wenn man ein ganz klares Themenfeld hat, mit dem man uns identifiziert. Aber wir wollen sagen, wir sollten uns alle nicht mehr so ernst nehmen und das reicht eben vom mächtigen Spitzenpolitiker bis zum kleinen Briefkasten vor der Arztpraxis“, so Markett. Die Idee: (Selbst-)Ironie gegen Populismus und seinen irrationalen Nährboden. „Nach unserem Eindruck nehmen sich viele Menschen zu ernst und haben vor allem zu viele Sorgen und Ängste. Wir wollen nicht nur für den kleinen Schmunzler sorgen, sondern den Menschen sagen: sei nicht so verbissen, sieh doch mal, wie absurd dein eigenes Leben sein kann und damit auch zu einer entspannteren Gesellschaft beitragen.“

Redaktion im Aufbau

Bislang ist die Updatefrequenz sowie die Zahl längerer Stücke noch recht übersichtlich. Doch das soll sich ändern. In den kommenden Wochen wollen die Realsatiriker verstärkt den Aufbau der Redaktion vorantreiben. „Ziel ist in möglichst naher Zukunft ein längeres, gut recherchiertes Stück pro Tag zu haben und dazu eine nicht-definierte Zahl von kürzeren Geschichten, Fotos, Links, die wir dann auch weiter verbreiten“, so Markett. Bei der Rekrutierung geeigneter Autoren stützen sie sich einerseits auf ihre Kontakte zu Kollegen der Jugendpresse, andererseits haben sie Journalisten angefragt, deren Texte beim Henry Nonsens Preis für ihr Gespür für die Absurditäten des Alltags ausgezeichnet wurden.

Dabei geht es nicht zuletzt darum, Autoren für potentielle Fundstellen von Realsatire zu sensibilisieren. So sollen diese etwa Gesetzesentwürfe, Verschwörungstheorien, Lobbyregister, Klein-Anzeigen oder deutsche Traditionen auf ihr realsatirisches Potential und die Berichte des Bundesrechnungshofs auf Steuerverschwendungen abklopfen.

Wie Satire mit investigativem Anspruch aussehen kann, hat Böhmermann unlängst mit #Verafake angedeutet. In den USA nimmt John Oliver seit 2014 Themen wie Trump, Todesstrafe, Nuklearwaffen, die FIFA oder Miss-Wahlen ins Visier. Gut recherchiert, oft mit investigativer Sprengkraft, höchst unterhaltsam und enorm erfolgreich. Der Youtubekanal seiner Show „Last Week Tonight“ bringt es auf über 720 Millionen Gesamtaufrufe, vom Times Magazine wurde Oliver auf die Liste der einflussreichsten Personen 2015 gesetzt. Für Jochen Markett methodisch durchaus ein Vorbild – von dessen redaktionellen Mitteln er allerdings bislang nur träumen kann: „Das ist dann die ganz große Kunst in einem Finanzsystem oder in umfangreichen Gesetzen Absurditäten aufzudecken. Das können wir jetzt ganz vereinzelt mit ein paar Paragraphen machen, aber noch lange nicht in dem Umfang.“ Ihren Lebensunterhalt müssen die Realsatiriker bislang noch über ihre klassische journalistische Arbeit sichern. Die 12.000 Euro Startbudget, die sie über eine Crowdfunding-Kampagne eingesammelt haben, fließen in die Autoren. Startup-Förderungen oder Medienkooperationen sollen mittelfristig eine Finanzierung gewährleisten. Aber auch eine Querfinanzierung über Veranstaltungen, wie sie zum Geschäftsmodell von YouTubern und Bloggern gehören, haben die Realsatiriker angedacht. Dafür müssen sie sich natürlich zunächst einmal die entsprechende Reichweite in den sozialen Medien erarbeiten. Das ist auch inhaltlich relevant: Schließlich soll die Community die Redaktion verstärkt mit absurden Fundstücken, Fotos und Themenideen beliefern.

Auf der Suche nach Ton und Reichweite

Auch qualitativ und thematisch ist Realsatire noch Work in Progress. Headlines wie Indian Zwiebel Love Story klingen zwar verdächtig nach flauen Witzchen unterhalb der eigenen Aufmerksamkeitsschwelle, bieten aber durchaus Informationswert zur kulinarischen und ökonomischen Bedeutung des Lauchgewächses für die indische Gesellschaft. Ein glossiges Stück zu Hundebier bleibt nicht nur stilistisch etwas dünn, während ein Text zu den Richtlinien der Stadt Fulda „über Sondernutzungen an öffentlichen Straßen“ und deren Konsequenzen für lokale Cafébetreiber das realsatirisches Potential bundesrepublikanischer Verordnungsfreude überzeugend realisiert. Realsatiren von (bundes-)politischer Relevanz mag man bislang noch vermissen. Aber das junge Portal ist ja noch in der Aufbauphase. Und es braucht eben Zeit, um Realsatiren mit Reichweite zu finden und einen Ton zu entwickeln, um diese journalistisch aufzubereiten.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, Neue Formate

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