25.07.2017

Fakten gegen Fakes: fünf Verifizierungs-Initiativen made in Germany

Mit Falschbehauptungen, Lügen und Desinformation kann man Wahlkämpfe beeinflussen, wie man in Großbritannien und den USA gesehen hat. Damit das nicht auch bei der Bundestagswahl passiert, haben viele Redaktionen Verifizierungs-Initiativen gestartet. Wir stellen fünf besonders interessante vor.

Klar, Falschinformationen gab es schon immer. Aber noch nie in einem solchen Ausmaß wie heute. 2016 mit den polarisierenden Wahlkämpfen in Großbritannien und den USA war ein Wendepunkt: Noch nie gab es so wenig Hemmungen, teilweise oder ganz falsche Informationen zu posten, oft aus niederen Beweggründen heraus. Für die Bundestagswahl 2017 steht ähnliches zu befürchten. Deswegen haben viele Redaktionen Fact-Checking-Einheiten aufgebaut, denen es darum geht, Behauptungen zu überprüfen und in einen Kontext einzuordnen. Auf diese Weise wollen sie emotionale Debatten – auch in den sozialen Netzwerken – versachlichen. Wir stellen die fünf innovativsten Fact-Checking-Initiativen aus Deutschland vor – inklusive ihrer Eigenheiten.

 

1. Faktenfinder der Tagesschau: Der ganz große Aufschlag 

faktenfinder video

Die ARD-aktuell-Redaktion arbeitet auch mit animierten Videos, die helfen sollen, Fake News zu erkennen. Hier geht es um manipulierte Visualisierungen von Statistiken.

Das größte Portal in Sachen Fact-Checking kommt von der ARD: Der Faktenfinder, der auf der Tagesschau-Website gehostet wird. ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke erklärt den Ansatz des im April 2017 gestarteten Projekts im Tagesschau-Blog so: „Wir erheben definitiv nicht den Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein. Wir möchten der Aufgeregtheit großer Teile der digitalen Kommunikation und so mancher Verschwörungstheorie die Ergebnisse sorgfältiger Recherche entgegenstellen, von denen wir glauben, dass sie für Ihre Meinungsbildung hilfreich sein könnten.“ Die Artikel, die auf der Startseite des Faktenfinders stehen, folgen keiner einheitlichen Überprüfungs-Systematik mit anschließender Bewertung. Sie sind eher Produkte klassischer journalistischer Recherche. Neben dem Alltagsgeschäft gibt es aber noch zwei weitere Rubriken: „Hintergrund“ sammelt Artikel, die bestimmte Phänomene grundsätzlich erklären, oft auch die Vorgeschichte erwähnen. „Tutorials“ ist der Service-Part des Faktenfinders: Hier geben die ARD-Mitarbeiter praktische Tipps, wie man man Fake News, manipulierte Statistiken oder social bots erkennt – oft auch in leicht verständlichen Videos, die mit Animationen arbeiten.

 

2. BR Verifikation: Fakten auf Knopfdruck 

Beim Bayerischen Rundfunk gibt es seit Mai das Team „Social Listening und Verifikation“. Teamleiter Stefan Primbs und seine Kollegen beobachten Debatten in sozialen Netzwerken und spiegeln den hausinternen Redaktionen, welche Themen die Leute interessieren, warnen aber auch vor Fake-News und Gerüchten. Darüber hinaus korrigiert BR-Verifikation selbst Falschmeldungen – in einem Stil, der zur jeweiligen Plattform passt. Ziel dabei: Die Facebook-Nutzer sollen die BR-Korrektur teilen. Drittes Tätigkeitsfeld sind so genannte Medienkompetenzbeiträge: Stücke über Manipulationstechniken im Netz wie social bots, manipulierte Votings oder Sockenpuppen – Claqueure, die sich als Menschen ausgeben, aber Maschinen sind. „Oft arbeiten wir zu oder liefern eine Expertenstimme bzw. Expertise zu einem Thema. Insofern verstehen wir uns auch als Dienstleister für die Redaktionen“, sagt Primbs. Viel Arbeit für ein momentan nur zweiköpfiges Team, das deswegen u.a. eng mit dem Faktenfinder-Team von ARD-aktuell zusammenarbeitet, in das der BR auch eine Kollegin entsandt hat.

So sieht ein Ergebnis der Factfox-Datenbank aus.

So sieht ein Ergebnis der Factfox-Datenbank aus.

Fact-Checking spielt auch in der Arbeit der Nachrichtenredaktion des BR eine große Rolle. BR24 testet gerade eine Browser-Erweiterung namens „Factfox“, die mit einer Fakten-Datenbank verknüpft ist. Dazu markiert man eine Behauptung und ruft per rechtem Mausklick den Factfox auf, der faktenbasierte Einträge zum Thema ausspuckt, sofern welche vorhanden sind. Diese Einträge kann der Redakteur dann als Basis für seine persönlich formulierte Antwort nehmen, in der er auf die Frage bzw. den Kommentar des Nutzers eingeht und den Ton der Plattform trifft. Diese Beiträge bekommen alle das Hashtag #factfox. „Die Datenbank soll wachsen und auch von außen einsehbar sein, so ähnlich wie Wikipedia. Man soll die Einträge kommentieren können, wir stellen uns dem Dialog mit den Menschen“, sagt Gudrun Riedl, die stellvertretende BR24-Redaktionsleiterin.

Factfox wurde im November 2016 auf einem dpa-Hackathon von einem Team aus BR, Mainpost und Leipziger Volkszeitung entwickelt und soll auch anderen Redaktionen zur Verfügung gestellt werden.

 

3. Truly Media: Verifikation als Teamarbeit

Ebenfalls auf die Verifikation von User Generated Content spezialisiert hat sich Truly Media, eine Plattform, die die Innovationsabteilung der Deutschen Welle zusammen mit dem griechischen ATC Innovation Lab entwickelt hat. Die Verifikation läuft in drei Stufen. In der ersten Stufe sichtet man ein Thema bzw. verfolgt, was dazu auf verschiedenen Netzwerken wie z.B. Facebook, Twitter, YouTube, Instagram, Slack oder VKontakte geschrieben wird. Für jedes Netzwerk legt man eine eigene, „Stream“ genannte Spalte an, für die wiederum verschiedene Filtermöglichkeiten zur Verfügung stehen. Im zweiten Schritt zieht man fragwürdige per Drag&Drop in eine „Collection“. Dort findet dann im dritten Schritt die eigentliche Verifizierung statt. Im Backend kann man Angaben zur Quelle sammeln sowie Ort und Datum einer Aufnahme überprüfen. Besonders praktisch: Die dafür nötigen Tools wie Google Maps, Wetterdaten von WolframAlpha, die Domain-Registrationsstelle WhoIs oder Tools zur umgekehrten Bildersuche wie Tin Eye oder Google reverse image Search sind direkt ins Backend integriert. Auch Stefan Primbs arbeitet mit Truly und findet das Tool praktisch: „Es macht die Standardisierung und Qualitätssicherung bei der redaktionellen Prüfung von Augenzeugenmaterial einfacher – außerdem sind die Vorgänge dann in dem Programm dokumentiert.“

Dass die Google-Tools verwendet werden, hängt damit zusammen, dass Truly Media auch von Googles Digital News Initiative finanziert wird. Die Verifikations-Arbeit kann man sich auch in Teams teilen, das ist auch das Motto von Truly-Media: „Let’s verify together!“

Noch ist Truly Media im Beta-Stadium, zu den Testern gehören die Redaktionen von BR, DW, dpa, Tagesschau, WDR, MDR und Correctiv.
So sieht die Verifizierungs-Seite im Backend von Truly Media aus: Klicken Sie auf die Kreissymbole, um mehr über die einzelnen Funktionen zu erfahren.

4. ZDFcheck17: Erklären und Bewerten

#zdfcheck17-Artikel arbeiten mit Logos für wahr oder falsch

#zdfcheck17-Artikel arbeiten mit Logos für wahr oder falsch

Das ZDF hat schon vor der Bundestagswahl 2013 und der Europawahl 2014 Fact-Checking-Projekte umgesetzt, bei letzterem ging es um kollektives Faktenüberprüfen, unter anderem mit Hilfe von Wikipedia-Autoren. Im Februar hat das ZDF das crossmediale Format #zdfcheck17 ins Leben gerufen. Ein Recherche-Team überprüft den Wahrheitsgehalt von Meldungen, die sich über soziale Netzwerke verbreiten, nimmt aber auch Politikeraussagen unter die Lupe. Das Hashtag #zdfcheck17 wird plattformübergreifend verwendet. Die ZDF-Check-Artikel arbeiten zum Teil mit grünem Haken oder rotem Kreuz, um das Fazit der Redaktion zu illustrieren. Zum Angebot zählen auch animierte Erklärvideos wie hier zum Asylrecht.

 

5. Correctiv Echtjetzt: Pinocchio lässt grüßen

Screenshot: Je schlechter die Bewertung der „Echtjetzt“-Redaktion ausfällt, um so länger wird die Nase des stilisierten Pinocchio.

Screenshot: Je schlechter die Bewertung der „Echtjetzt“-Redaktion ausfällt, um so länger wird die Nase des stilisierten Pinocchio.

Im Januar stand Correctiv in den Medien-Schlagzeilen, weil Facebook das stiftungsfinanzierte Recherche-Büro ausgewählt hatte, Falschbehauptungen, die sich auf den deutschen Facebook-Seiten verbreiten, richtig zu stellen. Es dauerte mehrere Monate, bis Correctiv sein Team dafür zusammengestellt hatte. Im Juni nahm das vierköpfige Team unter dem Label „Echtjetzt“ seine Faktencheck-Arbeit auf. „Echtjetzt“ checkt nicht nur fragwürdige Facebook-Posts: Auf der Startseite des Projekts gibt es auch einen Kasten, in dem man eine URL zu einer zweifelhaften Geschichte eintragen kann. Die Redaktion macht ihre Arbeit sehr transparent, vor allem, was die Überprüfungsmethode betrifft. Die Bewertung von überprüften Artikeln erfolgt anhand einer siebenstufigen Skala, die von „richtig“ bis „völlig falsch“ reicht. Das erinnert ein wenig an die US-Seite „Politifact“, die als Ur-Vater der Fakt-Checking-Seiten angesehen werden kann.

Jedes dieser Projekte hat seinen eigenen Schwerpunkt: Allen gemein ist, dass sie auch Inhalte, die Menschen in den sozialen Netzwerken posten, in ihre Arbeit einbeziehen. Das zeigt, dass in den Redaktionen ein Bewusstseinswandel stattgefunden hat. Welche große Rolle Journalisten einem professionellen Fact-Checking beimessen, zeigt sich auch an den zwei großen internationalen Netzwerken: Der First Draft Coalition (bei dem unter anderem ARD, ZDF, die Deutsche Welle, dpa, das Deutschlandradio und ZEIT Online beteiligt sind) und des International Fact-Checking-Networks (zu dem Correctiv gehört). Gerade die First Draft Coalition legt sehr viel Wert auf Weiterbildung im Bereich der Verifizierung.

  • Über Bernd Oswald

    Bernd Oswald, Jahrgang 1974, ist Autor und Trainer für digitalen Journalismus. Mich fasziniert es, wie die Digitalisierung (nicht nur) den Journalismus verändert: mehr Quellen, mehr Transparenz, mehr Interaktion, ganz neue Möglichkeiten des Geschichtenerzählens, vor allem visuell und mit Daten. Über diese Phänomene schreibe, blogge, twittere und lehre ich seit 2009.

    Alle Beiträge von

0 Kommentare zu diesem Artikel



1 Trackbacks/Pingbacks

  1. Fakten gegen Fakes: fünf Verifizierungs-Initiativen made in Germany | Journalisten-Training Bernd Oswald 23 11 17