Netzwelt-Rückblick September: 20 Jahre Google, Facebook-Hack, Chemnitz-Videos
Im Netzwelt-Rückblick September geht’s nicht nur um die Netzgiganten Google und Facebook, sondern auch um die Frage, ob Europa dazu in der Lage ist, eine starke Inhalteplattform auf die Beine zu stellen. Ein ausländerfeindliches Video aus Chemnitz ist zum Politikum geworden – ebenso wie ein Satire-Video über die Vorfälle in Chemnitz.
Wie Google die Verlage an sich bindet
Am 4. September ist Google 20 Jahre alt geworden: Was einst als Suchmaschine begann, ist mittlerweile ein Medien-Imperium geworden, das eine kaum zu überblickende Anzahl an Diensten anbietet: YouTube, Maps, Gmail, Drive, Fotos, Books, Earth, um nur ein paar bekannte zu nennen. Es ist schwer, in seinem Netzleben ganz ohne Google auszukommen. Philipp Bolognesi blickt bei Basic Thinking auf die wichtigsten Etappen der Google-Geschichte zurück und wagt gleichzeitig einen Blick nach vorn.
Auch im Journalismus spielt Google eine wichtige Rolle. Verlage aus der ganzen Welt reißen sich um die Millionen, die Google mit seiner Digital News Initiative für die Erforschung von Medieninnovationen zur Verfügung stellt. Netzpolitik hat sich genau angeschaut, welche internationalen Medien und welche deutschen Medien wie von Google profitieren.
EU-Parlament für Leistungsschutzrecht und Upload-Filter
Das ist um so interessanter, da ja viele (deutsche) Verlage in Sachen Leistungsschutzrecht mit Google über Kreuz liegen. Genau jenes Leistungsschutzrecht war am 12. September auch Teil der mit Spannung erwarteten Abstimmung des EU-Parlaments zur Urheberrechtsreform. Das Europäische Parlament stimmte nach monatelanger Debatte für die Einführung eines EU-weiten Leistungsschutzrechts. Das Leistungsschutzrecht sieht vor, dass Verlage für die „digitale Nutzung“ ihrer Produkte von Informationsdiensten im Netz, „fair und angemessen“ vergütet werden. Ausgenommen sind reine Verlinkungen. Streng genommen müssten Suchmaschinen, die ein Snippet aus Überschrift, Kurzbeschreibung und URL anzeigen, dafür also Geld an die Verlage zahlen. In Deutschland ist das Leistungsschutzrecht für Presseverleger 2013 eingeführt worden, jedoch haben die meisten Großverlage Google eine kostenlose Lizenz gewährt, damit sie nicht aus der Google-News-Suche verbannt werden. Seitdem gilt das Leistungsschutzrecht als „Zombie-Gesetz“, um so erstaunlicher ist es, dass es nun auf EU-Ebene wiederbelebt werden soll.
Zweiter Knackpunkt in der EU-Urheberrechtsreform ist Artikel 13 des Vorschlags, demzufolge die großen Betreiber von Internetplattformenn jedes von Nutzern hochgeladene Bild, jede Tonaufnahme und jedes Video auf Urheberrechtsverletzungen prüfen sollen. Da dies manuell so gut wie unmöglich ist, würden YouTube, Facebook und Co. das wohl mit Algorithmen lösen, für die sich der Begriff Upload-Filter eingebürgert hat. Solche Upload-Filter treffen zwangsläufig Entscheidungen, die für große Diskussionen sorgen oder dem Zensur-Verdacht Vorschub leisten. Beide Aspekte werden in diesem Golem-Artikel zur EU-Urheberrechtsreform gut erklärt.
Noch ist all das aber nicht Gesetz. Das EP hat seine Position für die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission abgesteckt. Bis die endgültige Richtlinie beschlossen ist, dauert es noch ein paar Monate. Christian Erxleben kommt deswegen auf Basic Thinking zu dem Schluss, dass Panikmache fehl am Platz ist.
BR-Intendant will europäisches YouTube-Facebook-Google
Noch ein spannendes medienpolitisches Thema, das noch nicht so recht an die Öffentlichkeit gedrungen ist ist die Idee einer europäischen Inhalteplattform. BR-Intendant Ulrich Wilhelm schwebt eine Art europäisches YouTube mit Elementen von Facebook und einer guten Suchfunktion vor, mit entsprechenden Standards auch bei Privatsphäre und Datenschutz. Wilhelm ist angetrieben von der Überzeugung, den öffentlichen digitalen Raum nicht Privatbesitz aus den USA überlassen zu dürfen. In einem Interview mit dem Handelsblatt erläutert Wilhelm die ambitionierte Plattform-Idee und macht auch Vorschläge, wer daran mitwirken soll und wie das Ganze finanziert werden könnte.
Mega-Hack bei Facebook
Facebook ist zum ersten Mal gehackt worden, dafür aber gleich ordentlich. Bis zu 50 Millionen Konten waren betroffen. Konkret geht es um die Funktion „View As“, bei der man sein eigenes Facebook-Profil aus der Perspektive eines anderen Nutzers betrachtet. Durch eine Kombination mehrerer Schwachstellen gelang es Hackern, so genannte Tokens zu stehlen: eine Art Langzeitschlüssel, der auf einem Gerät gespeichert wird und der den Zugriff auf ein Profil ermöglicht, ohne dass man jedes Mal ein Passwort eingeben muss. Futurezone erklärt, wie es dazu kommen konnte und wie sich die Panne auf Facebooks Aktien-Kurs auswirkte.
Chemnitz: Zwei umstrittene Videos
Nach dem gewaltsamen Tod von Daniel H. kam es Ende August, Anfang September zu zahlreichen Kundgebungen in Chemnitz: Teils offen ausländerfeindlich, teils mit einem Plädoyer für Solidarität und Toleranz. Dabei zirkulierten auch viele Manipulationen und Fälschungen im Netz. Besonderes Aufsehen erregte die Debatte, ob ein Video, das zeigte, wie Deutsche Menschen mit Migrationshintergrund beschimpfen und ihnen hinterherlaufen, echt ist oder nicht. Sogar der Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, schaltete sich in diese Debatte ein: Er zweifelte die Authentizität des Videos an und widersprach der Ansicht, dass es eine Hetzjagd zeige. Im Endeffekt kosteten ihn diese Einlassungen sein Amt. Inzwischen gilt als gesichert, dass das Video echt ist. Die dpa erklärt in ihrem Blog, wie sie das Video verifizierte. Wer noch viel tiefer in das Thema Verifikation einsteigen will, für den empfiehlt sich die Lektüre des UNESCO-Handbuchs „Journalism, Fake News & Desinformation“.
Die Grenze zwischen Fake und Satire ist manchmal schmal und nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Die Ereignisse von Chemnitz inspirierten den Comedy-Autor Schlecky Silberstein und sein Team vom „Bohemian Browser Ballett“ zum Parodie-Video „Volksfest in Sachsen“.
Darin kommt auch ein AfD-Infostand in Berlin vor, bei dem ein vermeintlicher AfD-Mann Mitgliedsanträge verteilt, unter anderem an einen Skinhead. Als die AfD davon Wind bekam, schlachtete sie den Vorfall im Netz breitflächig aus und stellte sich einmal mehr als Opfer dar. Das mag noch – aus AfD-Sicht – nachvollziehbar sein, der Spaß hört allerdings dann auf, wenn die AfD aufruft, die Privatadressen der Produzenten zu recherchieren und dann mit laufender Kamera dort auftaucht. Diese Grenzüberschreitung prangert Schlecky Silberstein in seinem Blog an und warnt davor, was uns alles blühen könnte, wenn autokratische Parteien wie die AfD auch in Deutschland an die Macht kommen sollten.
Fall Drachenlord: Wenn Mobbing aus dem Netz in die Realität hinüberschwappt
Ich schließe meinen Netzwelt-Rückblick mit einer lesenswerten Reportage aus der Zeit, in der es um einen skurrilen Fall aus dem Bereich Netzkultur geht. Genauer gesagt muss man eher von Unkultur sprechen. Rainer Winkler aus dem mittelfränkischen Altschauerberg ist ein berühmter YouTuber. Unter dem Account „Drachenlord“ postet er reihenweise Videos: Anfangs solche, in denen er zu Metal-Songs headbangt, dann Filme, die ihn beim Computerspielen zeigen. Manchmal erzählt Winkler vor laufender Kamera einfach aus seinem Alltag. So weit, so unspektakulär. Allerdings hat der Drachenlord im Lauf der Jahre immer mehr polarisiert, neben seinen Fans gibt es auch eine große Zahl an Hatern. Das geht so weit, dass die Hater vor seinem Haus aufkreuzen, im Sommer so zahlreich, dass die Polizei eingreifen musste. Jakob von Lindern schildert in seiner Zeit-Reportage diesen traurigen Fall. Als einem von wenigen Journalisten ist ihm gelungen, sowohl mit dem Drachenlord als auch mit seinen Hatern zu sprechen.
Das war’s für den September, bis zur nächsten Ausgabe des Torial-Netzwelt-Rückblicks!