18.05.2019

Re:publica-Rückblick (2): Reporterfabrik, Storytelling auf Instagram, Sensorjournalismus

Im zweiten Teil unseres journalistischen re:publica-Rückblicks geht es um handwerkliche Fragen: Was kann man in der Reporterfabrik lernen, wie funktioniert Storytelling auf Instagram und was braucht man für Sensorjournalismus.

Ich bin viel als Journalisten-Trainer unterwegs und gebe immer wieder auch Webinare. Insofern war ich sehr gespannt, auf der re:publica endlich mal direkt mit der Reporterfabrik, die sich als „Webakademie des Journalismus“ bezeichnet, in Kontakt zu kommen. Nach langer Vorlaufzeit ist die Reporterfabrik im Januar an den Start gegangen und will bis zum nächsten Jahr insgesamt mehr als 100 Workshops anbieten. Momentan sind 31 Workshops online (Stand 17.5.). Jeder Workshop besteht aus mehreren Videos, Arbeitsmaterialien, Übungsaufgaben und einem Diskussionsforum. Die Dozenten zählen zu den absoluten Größen der Branche: Günther Jauch (Wer wird Journalist?), Claus Kleber (Wie objektiv sind Journalisten?), Wolf Schneider (Schreibregeln für gutes Deutsch), Giovanni di Lorenzo (Masterclass Chefredakteur) oder Sandra Maischberger (Masterclass Talkshow). Es gibt aber auch – gerade bei digitalen Themen – jüngere Kollegen: Tania Röttger (Fake News entdecken), Jens Radü (Multimedia-Reportage), Ingrid Brodnig (Wie gegen Hass im Netz wehren) oder Sascha Lobo (Masterclass Neuland). Das Lehrangebot auf reporterfabrik.org gliedert sich in vier Stufen:

1. Was ist Journalismus?
2. Was ein Journalist können muss
3. Was ein Journalist können sollte
4. Was gute Journalisten können

Diese Stufen bauen aufeinander auf: Die Einsteigerstufen sind für jedermann gedacht, hier will die „Journalistenschule für jeden“ vor allem Medienkompetenz vermitteln. „Die Masterclasses (damit ist die 4. Stufe gemeint) richten sich an Profis“, wie Gründer und Leiter Cordt Schnibben, langjähriger Spiegel-Reporter, in Berlin sagte. Die Reporterfabrik will „das Wissen und das Know How der Vierten Gewalt zu den Akteuren der Fünften Gewalt“ transportieren. Schnibben findet, dass die Trennung zwischen professionellen Journalisten (4. Gewalt) und publizierenden Bürgern (5. Gewalt) immer schwerer fällt und die 5. Gewalt die 4. Gewalt früher oder später überholen wird.

Die Reporterfabrik greift mit ihrem sehr günstigen Angebot – die Kurse kosten zwischen 0 und 25 Euro – die Idee der redaktionellen Gesellschaft auf, die der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in einer Rede auf der re:publica vorstellte.

Storytelling auf Instagram: Make it Snackable!

In 60-sekündigen Videos erklärt die Quarks-Redaktion wissenschaftliche Themen, z.B. die Vorteile des Impfens.

In 60-sekündigen Videos erklärt die Quarks-Redaktion wissenschaftliche Themen, z.B. die Vorteile des Impfens.

Gleich mehrere Workshops widmeten sich dem Thema Storytelling im Hochkant-Format, was momentan fast gleichbedeutend mit Instagram ist, wo sehr viele Redaktionen aktiv sind. Zum Beispiel Quarks, die Wissens-Sendung des WDR. Im sehr unterhaltsamen Workshop „Sind das Fakten oder kann das weg? So geht Wissenschaft in 59 Sekunden“ erklärten vier Mitglieder der Quarks-Redaktion, wie es Ihnen gelingt, Wissenschafts-Recherchen in 59-sekündige Instagram-Videos zu verpacken (eine Sekunde für den Abspann muss sein…). Nämlich mit dem Champignon-Prinzip:

1. Das Mycel (Geflecht als Pilzfäden) wächst: Am Anfang steht eine grundlegende Recherche (relevante Studien, gute Expertenmeinungen)
2. Der Fruchtkörper wächst: Die Redaktion entscheidet, welche Fakten für die Essenz wichtig sind und baut ein Storyboard für das Video, in dem Bild und zugehöriger Text festgelegt werden.
3. Pilze sammeln: Die Redaktion sichtet das Nutzerfeedback zur Story
4. Verdauung: Das Quarks-Community-Management legt offen, was die Redaktion vorher recherchiert hat. Sie beantwortet Nutzer-Kommentare, die auch schon mal nach der Methodik fragen.

Und weil ein Bild mehr als 1000 Worte sagt, bette ich hier den Tweet von Franziska Schwarz ein, die die Session – auch nach Meinung von Mustafa Benali, Leiter der WDR Quarks-Digital-Redaktion, sehr gut zusammenfasst:

Auch die ARD-Auslandskorrespondenten sind mit ihrer Marke Weltspiegel auf Instagram aktiv, nutzen dort aber vor allem die Storys-Funktion. Dass der Account irgendetwas richtig zu machen scheint, belegen die rasant steigenden Follower-Zahlen. Innerhalb eines halben Jahres hat sich die Follower-Zahl auf 44.000 Abonnenten verdreifacht. Laura Goudkamp und Nils Kopp vom Bayerischen Rundfunk erläuterten im RBB-Talk-Lab, was eine gute Instagram-Weltspiegel-Story ausmacht:

– richtiger Themenmix: „Emotionale Themen, Geschichten, die nah am Menschen sind, oder Porträts eignen sich besonders gut“, so Goudkamp.
– bei politisch schweren Themen wie der Wahl in der Ukraine: Konzentration auf die drei wichtigsten Fakten
– Interaktion einbauen: Nutzer zu Fragen aufrufen, die Korrespondenten beantworten sie in der Story
– mehr Authentizität und Nähe, indem das offizielle ARD-Mikro öfter mal weg bleibt und die Korrespondenten statt dessen direkt ins Smartphone sprechen
– Kürze: 10 bis maximal 15 Snaps, mehr schreckt die Leute von vornherein ab oder sie steigen früh aus

Kreative Sensorjournalismus-Anwendungen

In einer noch deutlich kleineren Nische findet sich der Sensorjournalismus. Jacob Vicari zählt hier zu den Pionieren in Deutschland, was er auch auf der re:publica wieder bewies. Er hatte eine Lampe aus vielen kleinen Lämpchen gebastelt. Der Gag daran: per Tweet konnten das Publikum im Saal kundtun, ob es den Vortrag von Vicari und dem Tagesspiegel-Duo Hendrik Lehmann und Helena Wittlich interessant findet. #bravo-Tweets an den Account @jot_labs ließen die Lampen grün leuchten, bei #boring wäre es rot gewesen. Grün dominierte natürlich…

Das Trio spricht selbst vom Journalismus der Dinge und stellte zu Beginn sieben gute Beispiele vor, manche sind durchaus unterhaltsam, andere lassen es einem kalt den Rücken hinunterlaufen:

1. Das Mapping-Ding: In Project Polar demonstrierte die Redaktion von de Correspondent, dass die Fitness-App von Polar es erlaubt, die Träger der zugehörigen Uhren zu identifizieren und zu orten, selbst wenn es sich um so sensible Berufe wie Soldaten oder Geheimagenten handelt.
2. Das Gesichts-Ding: Auf dem Dach eines New Yorker Restaurants sind drei Überwachungskameras angebracht, deren Aufnahmen online gestreamt werden. Der New York Times gelang es mit einer kleinen Modifikation daraus eine Gesichtserkennungs-Software zu machen.
3. Das Kuh-Ding hat Jacob Vicari selbst gemacht: Er führte drei Kühen einen Sensor in den Pansen ein, die Aufschluss darüber gaben, wie es den Kühen ging: Ob sie Milch geben, wie viel Kraftfutter sie gefressen hatten, wie viel sie gelaufen waren etc. Nachzulesen bei den WDR-Superkühen.
4. Das Feinstaub-Ding ist eine Kooperation der Stuttgarter Zeitung und dem Open Knowledge Lab Stuttgart. Gemeinsam entwickelte man Feinstaub-Sensoren zum Selberbauen. Inzwischen sind 750 Sensoren in Stuttgart verteilt und messen in Echtzeit die Feinstaubbelastung. Aus diesen Daten werden automatisierte Artikel generiert.
5. Das Sprengstoff-Ding: National Geographic hat Hydrophone im Meer vor der Küste Tansanias angebracht, um der verbotenen Sprengstofffischerei auf die Spur kommen. Immer wenn eine Detonation erfasst wird, fliegt eine Drohne dorthin und filmt live. Das führte dazu, dass die Sprengstofffischerei dramatisch abgenommen hat.
6. Das Fahrrad-Ding war mein persönlicher Favorit, da ich es für das relevanteste der gezeigten Beispiele halte. Ein Team vom Berliner Tagesspiegel hat Ultraschallsensoren entwickelt und an den Fahrrädern von 2500 Freiwilligen angebracht. Die Sensoren messen den Abstand, mit dem ein Fahrrad von Autos bzw. Lkws überholt wird. Das Resultat: Bei 56 Prozent der Überholvorgänge beträgt der Abstand weniger als die empfohlenen 1,5 Meter. Die Befunde des Radmessers haben bereits Eingang in die Berliner Lokalpolitik gefunden.
7. Das Bienen-Ding ist das aktuelle Projekt von Jacob Vicari. Er hat verschiedene Sensoren gebaut, die messen, wie warm es im Bienenstock ist, wie viele Bienen gerade da sind oder welche Menge Honig gerade vorhanden ist. 360-Grad-Infrarot-Kameras erlauben einen Blick in das Innere des Bienenstocks. Besonders interessieren sich Vicari und das WDR-Team für die Daten der Bienen-Königinnen, die über WhatsApp und einen Newsletter berichten werden, was sie über ihr Bienenvolk denken.

Vicari, Lehmann und Wittlich sind zusammen mit drei weiteren Kollegen so vom Journalismus der Dinge und der Zukunft, die er hat, überzeugt, dass sie auf der re:publica ihr 10 Punkte umfassendes Manifest für einen Journalismus der Dinge vorgestellt haben. Dort heißt es zum Beispiel:

Wir teilen die Überzeugung, dass diese Entwicklung [Anm: die rapide Zunahme vernetzter Geräte] langfristige Folgen für Gesellschaft, Umwelt und die Verteilung von Macht haben wird. Um diese Entwicklungen sowohl kritisch begleiten als auch kreativ nutzen zu können, braucht es einen neuen Journalismus. Den Journalismus der Dinge.

Das Manifest stellen sie auf Github zur Diskussion. Lorenz Matzat, einer der führenden Datenjournalisten Deutschlands, hat als Erster ein Feedback geliefert: Er kritisiert in seinem Blog vor allem den Begriff „Journalismus der Dinge“:

„Genauso wie niemand vom »Journalismus der Kamera«, »Journalismus der Stifte« oder »Journalismus der Lautsprecher« spricht, ist auch bei Dingen der Genitiv fehl am Platz — Journalismus wird nicht von Dingen gemacht. Er wird von Menschen gemacht, die dafür Dinge verwenden, um zum Beispiel über Dinge zu berichten.“

Und es geht ihm im Manifest zu sehr durcheinander, Matzat macht darin Versatzstücke aus anderen Konzepten und Methoden wie Daten- und Sensorjournalismus, Algorithmic Accountability Reporting und Citizen Journalism aus.

Ich bin gespannt, wie sich das Manifest bis zur für den 5. 11. geplanten Sensorjournalismus-Konferenz in Stuttgart weiterentwickeln wird.

Im ersten Teil meines Re:Publica-Rückblicks ging es um die Frage, warum sich Empörungswellen, Populismus und Fake News so schnell im Netz verbreiten und was Journalisten im Umgang damit besser machen können.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, NEU
  • Über Bernd Oswald

    Bernd Oswald, Jahrgang 1974, ist Autor und Trainer für digitalen Journalismus. Mich fasziniert es, wie die Digitalisierung (nicht nur) den Journalismus verändert: mehr Quellen, mehr Transparenz, mehr Interaktion, ganz neue Möglichkeiten des Geschichtenerzählens, vor allem visuell und mit Daten. Über diese Phänomene schreibe, blogge, twittere und lehre ich seit 2009.

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