06.12.2019

Journalismus&Netz 11/19: Zensur-Vorwürfe gegen TikTok, Facebook-Alternativen, KI im Journalismus

Was von den Zensur-Vorwürfen gegen TikTok zu halten ist, warum auch die Grünen eine europäische Facebook-Alternative fordern und wie die Zukunft der Künstlichen Intelligenz im Journalismus aussehen könnte: Das und mehr gibt es im Journalismus&Netz-Rückblick für November.

Erlauben die Moderationsregeln von TikTok Zensur?

Seit Monaten lese ich in meiner Timeline, dass die chinesische Kurzvideo-App TikTok bei der Generation U20 gerade voll in ist. Und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch Journalistïnnen dort aktiv werden. Ihr wisst ja: Geht dahin, wo die Nutzerïnnen sind… Nun hat tatsächlich die Tagesschau einen TikTok-Account eröffnet. Dort postet sie mal unterhaltende, mal selbstironische Inhalte. Aber eben auch Videos, in denen sie Nachrichten für die TikTok-Zielgruppe transportiert: mit kurzen Sätzen und vielen Animationen. Die Tagesschau greift dabei auch heiße politische Eisen an, wie die Demonstrationen in Hongkong oder die ChinaCables, in denen es um die Unterdrückung von Muslimen in China geht.

Dieses Thema hatte Mitte November auch Feroza Azis, eine Teenagerin aus den USA, in einem als Schmink-Tutorial getarntem Video aufgegriffen. Nach einigen Sekunden schwenkt sie in die Politik und wirft China vor, Muslime in Konzentrationslager zu stecken. Kurz darauf verschwand das Video von der Plattform, der Vorwurf der Zensur steht im Raum.

Für Aufsehen sorgten die auf Netzpolitik.org geleakten Moderationsregeln von TikTok. „TikTok betreibt ein ausgeklügeltes System um Inhalte zu identifizieren, zu kontrollieren, zu unterdrücken und zu lenken. Die Plattform kann nach ihren Regeln Videos von Protesten und Demonstrationen drosseln“, schreiben Markus Reuter und Chris Köver. TikTok widerspricht dem in seinem deutschen Blog: „TikTok moderiert keine Inhalte basierend auf politischen Angelegenheiten oder Sensivitäten.“

Clickbait-Vorwurf: Facebook drosselt jetzt.de-Seite

Ums Drosseln von Reichweite geht es auch bei der Facebook-Seite von jetzt.de. Nur dass es in diesem Fall keinen Zweifel daran gibt. Facebook wirft jetzt.de vor, zwei Beiträge geteilt zu haben, die Clickbait sind, also Inhalte, die nicht halten, was die Überschrift verspricht. In einem der Posts geht es um LGBTQ-Proteste, im anderen um das neue Logo von Facebook. Die jetzt.de-Redaktion kann daran nichts „Clickbaitiges“ erkennen und hat Facebook gefragt, nach welchen Kriterien es einen Inhalt als Clickbait einstuft oder nicht. Die Redaktion erhielt nur eine ausweichende Antwort und muss deshalb mutmaßen, warum es zu der Drosselung gekommen ist.

Matthias Eberl, Multimedia-Journalist und Datenschutz-Experte, hat diesen Fall zum Anlass für einen Kommentar genommen, in dem er den Journalismus dazu aufruft, sich von Facebook zu trennen. Er fordert von Verlagen und öffentlich-rechtlichen Sendern ein „Gesamtkonzept, wie man Alternativen neben Facebook gezielt aufbaut und Nutzer dahin umsiedelt.“ Eberls Traum wäre eine gemeinsame alternative Journalismus-Plattform.

Auch die Grünen fordern eine europäische Medienplattform

Überlegungen in diese Richtung gibt es bereits. BR-Intendant Ulrich Wilhelm spricht schon seit 2018 von einer europäischen Inhalte-Plattform. Nun haben auch die Grünen-Politiker Robert Habeck und Malte Spitz die Idee aufgegriffen: In einem Gastbeitrag für T-Online plädieren sie für eine europäische Medienplattform, auf der Filme, Dokumentationen, Serien, Nachrichten von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wie ARD, ZDF aber auch der britische BBC, der italienische RAI oder von Danmarks Radio zu sehen sind.

Erste Konferenz zum Journalismus der Dinge

Schon jetzt ist das Internet der Dinge Realität, die Zahl der vernetzten (Alltags-)Geräte wird weiter zunehmen. Darin steckt auch eine Menge Potenzial für den Journalismus, finden Jan-Georg Plavec (Stuttgarter Nachrichten), Hendrik Lehmann (Tagesspiegel) und Jakob Vicari (freier Journalist). Die drei haben am 5. November zur ersten „Journalism of Things“-Konferenz nach Stuttgart eingeladen. Helena Wittlich war dabei und berichtet auf tagesspiegel.de darüber, wie Journalisten das IoT schon genutzt haben, zum Beispiel für eine Geschichte über Fitnesstracker, die die Bewegungsdaten ihrer Nutzer ungefragt ins Netz stellen. Wer tiefer ins Thema einsteigen will, kann sich auf der Website der Jot-Con alle Präsentationen herunterladen.

Vicari und seine WDR-Kollegïnnen haben mit ihrem IoT-Projekt #bienenlive gerade den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie Multimedia gewonnen. Bienenlive berichtete mit Hilfe von Sensoren über das Leben in drei Bienenstöcken.

Studie untersucht, wie Künstliche Intelligenz den Journalismus ergänzt

Ein weiterer Trend im Journalismus ist der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Die London School of Economics (LSE) und die Google News Initiative haben 71 Nachrichtenorganisationen in 32 Ländern befragt, wie sie Künstliche Intelligenz einsetzen und welches Potenzial sie darin sehen. Die gute Nachricht: Keiner der Befragten glaubt, dass KI Journalisten überflüssig machen wird. KI wird vielmehr als ergänzende Technik verstanden, die Journalistïnnen Routinetätigkeiten abnimmt und ihnen mehr Freiraum für Recherche ermöglicht. Der 111-seitige Bericht„New powers, new responsibilites. A global survey of journalism and artificial intelligence“ ist aber keine reine Lobeshymne auf die Künstliche Intelligenz, sondern befasst sich in Kapitel 3 auch mit ethischen Fragen wie der Voreingenommenheit von Algorithmen oder der Gefahr von Filterblasen. Auf den Seiten 6-12 des Berichts steht eine 28 Punkte umfassende Zusammenfassung.

Meinungsvielfalt: Buzzard will als App neu starten

Dario Nassal und Felix Friedrich halten hingegen wenig von künstlicher Intelligenz, zumindest in Form von Algorithmen, die Nutzerïnnen immer mit Inhalten füttern, die ihrer Meinung entsprechen. Deswegen haben sie 2017 The Buzzard gegründet, eine Plattform, die zu ausgewählten politischen Themen verschiedene Sichtweisen präsentiert. Das hat ihnen viel Anerkennung, aber zu wenig Umsatz eingetragen. Deswegen wollen sie Buzzard als App neu starten, die den Nutzerïnnen dabei hilft, „jeden Tag mit Positionen von Andersdenkenden in Berührung zu kommen“, wie sie dem Journalist-Magazin gesagt haben. Um die Entwicklungskosten hereinzuholen und die Redakteurïnnen besser bezahlen zu können, hat das Buzzard-Team am 5. November eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Ziel ist es 125.000 Euro einzusammeln: Die Mitglieder sollen ein Jahr lang mindestens fünf Euro im Monat für die händische Auswahl verschiedener Perspektiven zu einem Thema bezahlen.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, NEU
  • Über Bernd Oswald

    Bernd Oswald, Jahrgang 1974, ist Autor und Trainer für digitalen Journalismus. Mich fasziniert es, wie die Digitalisierung (nicht nur) den Journalismus verändert: mehr Quellen, mehr Transparenz, mehr Interaktion, ganz neue Möglichkeiten des Geschichtenerzählens, vor allem visuell und mit Daten. Über diese Phänomene schreibe, blogge, twittere und lehre ich seit 2009.

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