12.03.2012

Riot Grrrls 2.0 – Frauen im Netz

Kreativ, schlau, unterrepräsentiert. Journalistisch tätige Frauen sind immer noch in der Unterzahl – auch online. Von Lydia Meyer, Kooperative Berlin.

Da der Anteil von Menschen mit weiblichem und männlichem Geschlecht ungefähr bei 50/50 liegt, sollte also auch ein Projekt wie Wikipedia von männlichen wie weiblichen Schlauköpfen gleichermaßen beschrieben werden. Wird es aber nicht. Der schreibende Frauenanteil – sowohl in der deutschsprachigen als auch in der englischsprachigen Wikipedia – wird auf gerade einmal 10 bis 15 Prozent geschätzt.

Ähnliches zeigt sich beim Blick in Online-Redaktionen, Kommentarspalten, Netz-Diskurse. Der Anteil mitdiskutierender Frauen geht auch im Netz gen null. Frauen scheinen sich auch online eher zurückhaltend zu verhalten.

Und dennoch – es gibt sie wirklich, die Frauen im Netz. Sie sind gut verbunden, twittern, bloggen, podcasten meist zu politischen und kulturellen Themen. Es wird sich vernetzt – auch im echten Leben. Und so gibt es das netzfeministische Biertrinken, Girl Geek Dinners, netzfeministische Chats und ein jährlich stattfindendes GenderCamp – ein „Barcamp für Feminismus in der digitalen Gesellschaft“. Feminismus und Internet gehen gut zusammen. Schließlich darf da jede und jeder schreiben, was sie oder ihn interessiert. Ellbogen und Krakeelen nicht nötig – Internet halt. Eine recht große Gruppe schreibender oder andersartig umtriebiger Frauen mit Gleichberechtigungsdrang hat das erkannt und nutzt es.

In diversen Blogs und einer Facebook-Gruppe machen sie sich auf Neuigkeiten, Ausschreibungen und eigene Texte zu (netz-)feministischen Themen aufmerksam. Sie teilen Jobangebote, Blogbeiträge, Auskotzereien und erinnern sich gegenseitig an Grimme Online Award, re:publica und Co. Missstände prangern sie an – meist auf einem ziemlich hohen Niveau und nicht ohne Humor.

Gerade erst hat die Mädchenmannschaft – ein Zusammenschluss schreibender Frauen – mit Julia Probst und ihrem Blog meinaugenschmaus.blogspot.com die Bloggerin des Jahres gewählt. In der WWW-Girl-Reihe der Mädchenmannschaft wird im 10-Tages-Rhythmus eine Bloggerin portraitiert. Zusätzlich erscheint dort eine Blogschau. Dann gibt es zum Beispiel NRRRDZ, einen queer-feministischen Podcast über Netz- und Nerdthemen – gemacht von Frauen. Behandelt werden dort Themen wie Netzfeminismus, Passivbloggen und immer wieder Hackerbrause. Ein bunter Strauß aus Themen also, fernab vom Einheitsbrei, den Print und Online sonst so zu bieten haben. Oft werden Themen in diesen Blogs schon angeschnitten, Monate, bevor im Netz ein Hype um sie entsteht.

Vielleicht passen diese Vorzeige-Beispiele genau deshalb nicht ins Netz. Sie sind zu wenig Mainstream, werden eher von Nerds und Gekessen entdeckt als von Zwischendurch-Surferinnen und Surfern. Dabei sind die Projekte innerhalb wie außerhalb des Internets spannend, witzig, unverbraucht.

Mit der Bezugsgruppe Beckham hat sich zum Beispiel eine kleine Netzbewegung gebildet, die sich gegen Sexismen wehrt, die uns alltäglich in der Werbung begegnen. Es geht los mit der derzeitigen AXE-Kampagne. Penetrant schmettern die AXE-Werber Großstädterinnen und Großstädtern zur Zeit sexistische Sprüche entgegen. Ähnlich aufdringlich verhielt es sich vor Kurzem mit einer David-Beckham-Kampagne einer großen schwedischen Modekette. Die Bezugsgruppe Beckham verbindet nun beides und plakatiert AXE-Plakate um, indem sie die Slogans verändert. Im Netz fordert sie zum Mitmachen auf.

Das ist nur ein Beispiel von vielen, die nur selten große Kreise schlagen. Dabei sind die Themen, über die an all diesen virtuellen Orten gebloggt, getwittert, gepodcastet und diskutiert wird viel weniger Nischenthemen als es auf den ersten Blick scheint. Häufig geht es um die Diskriminierung von Minderheiten im Alltag – die im Netz auf verschiedenste Art und Weise eine Plattform zum Berichten und Vernetzen finden.

So schreibt zum Beispiel Kübra Gümüsay in einfremdwörterbuch über ihr Leben als verheiratete Muslima, Feministin, und Studentin in Oxford, während Julia Probst in ihrem Blog meinaugenschmaus unter anderem vom Leben als gehörlose Frau berichtet. Politische Themen finden – sowohl im privaten, alltäglichen als auch im übergreifenden Zusammenhang häufig Anklang. Christiane Link bloggt auf Behindertenparkplatz nicht nur über das Leben als Rollstuhlfahrerin.

Die Liste weiblich besetzter, politischer und gesellschaftskritischer Blogs könnte hier noch eine ganze Weile fortgeführt werden. Was all diese Frauen im Netz auszeichnet und verbindet ist der Spaß an der Sache, ihre Neugier und Unverbrauchtheit. Es wird aufeinander hingewiesen und verlinkt. Mitmachen, vernetzen, unterstützen, aufzeigen, anprangern, treffen – das sind Worte, die diese weiblich sozialisierte Netzgemeinschaft ganz gut repräsentieren und dennoch scheinen all diese kreativen Journalistinnen, Autorinnen, Bloggerinnen, Wissenschaftlerinnen sich in einer recht abgeschlossenen Blase zu befinden. Die gegenseitige Befruchtung scheint gut zu funktionieren, aber das Netz ist groß.

Bleibt also festzuhalten: In der Mitte dieses hochgelobten Internets ist die schreibende Frau und die Themen, die sie bewegen, noch längst nicht angekommen. Sind sie zu schlau, zu ironisch, zu unangepasst? Das war mit den riot grrrls schleißlich auch schon so.

Text: Lydia Meyer | Bild: flickr/Todd Ehlers

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: Dynamik am Markt, JOURNALISMUS & NETZ
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0 Kommentare zu diesem Artikel


  1. Top!
    Sehr feiner post…prima Lektüre! aber was ist Hackerbrause?