02.03.2015

Öffentlich-Rechtliches YouTube

Lange haben öffentlich rechtliche Medien dem Exodus jugendlicher Zielgruppen ins Internet nur zugeschaut. Seit einem Monat wird zurückgevloggt. Das Youtubeformat WDR #3sechzich soll die U25 im Netz abholen. Mit bislang durchwachsenem Ergebnis.
Ein Zwischenfazit.

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Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet eben auf den Berg klettern: Diese Weisheit hat sich der WDR zu Herzen genommen und am 19. Januar #Neuland betreten. Mit dem Newsformat WDR#3sechzich will der Sender jugendliche Zuschauer da abholen, wo sie mittlerweile eben sind: auf Youtube. Allerhöchste Zeit, könnte man sagen, kann der durchschnittliche Zuschauer des WDR doch auf 61 Lenze zurückschauen. Und konsequent obendrein. Verliefen die Versuche, lineares Fernsehen mit dem Internet rückzukoppeln, bislang doch mäßig erfolgreich. Das interaktive Talkformat log in von ZDFinfo etwa wurde im September letzten Jahres heruntergefahren – wegen mangelnder Resonanz in der Zielgruppe.

„(Fast) tägliche News mit Haltung“ sollten es werden. Produziert von einer  jungen, aus der aktuellen Stunde abgekoppelten Redaktion. Finanziert durch einen von Intendant Tom Buhrow initiierten Sondereatat. Und gestützt auf das geballte Know-How des öffentlich rechtlichen Medienriesen. Die ersten Videos wirkten allerdings wie ein solide produzierter Schnellschuss der Kategorie Nachahmungstäter: Hektische Schnittfrequenz, Jumpcuts, überdrehte Moderatoren, die mit ausholenden Armbewegungen „Hey Leute“ Atmosphäre ins Publikum zu schaufeln versuchen und am Schluss jedes Videos gestenreich um Likes- und Follower betteln: Würde Markus Lanz die Urlaubsvertretung von Youtubestar Le Floid übernehmen, das Ergebnis böte vermutlich nur unwesentlich mehr Potential zur Fremdscham.

Belanglos geht schon gut

Jörg Schöneborn hatte im Channel-Trailer noch durchaus selbstironisch „dieses Youtube“ für sich entdeckt. Und gleichzeitig vollmundig angekündigt, dass man es so belanglos nun nicht machen könne. Letzteres gelang allerdings erstaunlich gut. Ein ironisch gemeinter Abendlandcheck vor einer Pegida-Demonstration in Düsseldorf erschöpfte sich im Wesentlichen darin, dass Presenterin Melek Balgün in einem türkischen Schnellimbiss eine echte deutsche Folienkartoffel erwarb. Der infantile Humor mit dem etwa das „Toastergate“ im Bundestag aufgearbeitet wurde, hätte sich mit dem Grundsound des deutschen Youtube eventuell vertragen können. Aber nicht nur das weiße WDR-Logo auf der schwarzen, dann doch irgendwie seriösen Studiowand, vor der die Presenterin herumzappelte, sorgt für unvermeidliche Sollbruchstellen. Zu Christian Lindners „Wutrede“ fällt den Machern vor allem auf, dass er da ständig mit nacktem Finger auf angezogene Menschen zeigt. Und dann auch noch ganze 27 Mal, wie Moderatorin Dani gezählt hat.

Eindrucksvoll demonstriert der krampfige Versuch, auf authentisch zu machen, das fundamentale Unverständnis für das andere Medium. Denn diese Authentizität lässt sich eben nicht mal einfach mit ein paar ausgeborgten Schlüsselgesten, einer zappeligen Schnittfrequenz und einer bestimmten Art, die Augenbrauen hochzureißen, nachbauen. Und nur weil junge Mitarbeiter zufälligerweise unter 25 Jahre alt sind, macht sie das weder automatisch zu Experten ihrer Zielgruppe noch zu talentierten Moderatoren. Dass deren unbeholfenes Agieren allerdings zumindest teilweise dem überanstrengten Konzept geschuldet ist, zeigt ein Vorher-Nachher Vergleich mit 1Live-Moderatorin Freddy Schürheck. Die hatte an anderer Stelle schon einmal gezeigt, dass sie die Tonlage der Haul-Videos auf Youtube treffend zu parodieren versteht. Von solcherlei ironisch-performativer Medienkompetenz ist hier allerdings nichts mehr zu merken.

Meinung eher nicht

Wirklich ärgerlich wurde es aber ausgerechnet dann, wenn das Tal der Belanglosigkeit verlassen wurde und #3sechzich die angekündigte Haltung auf den Rücken schnallte, um die Höhen politischer Meinungsäußerung zu erklimmen: Dann drohte wiederholt der Absturz in Stammtischparolen. Den ersten Tiefpunkt bildete die Replik auf den Plan des EZB-Präsidenten Mario Draghi, in großem Stil Staatsanleihen zu kaufen. Eine wirre Argumentationsfolge, warum das jetzt irgendwie eine richtig doofe Idee sei, kulminiert in einem Vorurteilsgekröse, das auch den ein oder andern Pegida-Läufer auf die Straße treiben dürfte: Dort die rotweinschlürfenden Südländer, die ihre Hängematten nur verlassen um die maroden Mauern ihrer Wirtschaft mit neuer Farbe zu überpinseln. Hier wir fleißigen Deutschen, die als Einzige an einer Kernsanierung werkeln und sich dafür auch noch als Sparspießer beschimpfen lassen müssen. Für diesen Ausflug auf Stammtischniveau wurden die öffentlich-rechtlichen Youtuber zurecht von Stefan Niggemeier verrissen. Redakteur Jonas Wixforth  hielt auf Facebook dagegen, dass da wohl verblüffenderweise unübersehbare Ironie nicht verstanden wurde. Um seinerseits zu übersehen, dass eine Aneinanderreihung plattester Ressentiments nicht automatisch Satire erzeugt.

Tatsächlich blieben die 3sechzich-Macher erst einmal ihrer Politik treu, und griffen mit ihrer Reaktion auf die Griechenlandwahl gleich noch mal tiefer in den Urschlamm der Reflexionslosigkeit: Erst wird die voll krasse Wirtschaftslage des Landes beschworen. Dann übergangslos über die Naivität abgehämt, mit der die Griechen Tsipras Wahlversprechen hinterherlaufen. Und abschließend Korruption bekämpfen, Zähne zusammenbeißen und weitersparen gefordert. An argumentativer Grobmotorik, politischer Fühllosigkeit und naivem Zynismus war das kaum mehr zu unterbieten. Wohlwollender beurteilt vielleicht in erster Linie ein Ausdruck von Überforderung: Junge Journalisten mit dem Auftrag: macht mal Meinung – machen in Ermangelung einer eigenen einfach mal irgendeine, die sie irgendwie für Konsens halten. Eben: Tsipras doof, Sparen toll.

 Viel Luft nach oben

Dieses Mal hinterließ der Gegenwind aus den Kommentarbereichen (und möglicherweise auch aus der Chef-Etage) dann doch einen bleibenden Eindruck. Auf lautstarke Meinungsäußerung wird seither weitestgehend verzichtet. Beiträge über die Situation von Kosovo-Flüchtlingen dürfen wohl als Versuch der tätigen Reue über den selbstverschuldeten Verdacht des Populismus gewertet werden. Auch inhaltlich ist ein gewisser Aufwärtstrend festzustellen: Ein Beitrag zu Sicherheitslücken bei WhatsApp hat Informationswert. Der Versuch, den OECD-Bericht zur Jugendarbeitslosigkeit auf die Lebenswelt der User herunterzubrechen, ist redlich bemüht und kommt dem Bildungsauftrag ebenfalls etwas näher. Daneben gibt es flaues Gefrotzel gegen die FDP, das man schon erheblich origineller, intelligenter und eigentlich immer witziger gesehen hat. Auch optisch sind dezente Veränderungen zu vermelden: Die Schnittfrequenz ist deutlich heruntergeschraubt und auf Likebetteleien wird meistenteils verzichtet. Alles ein wenig gesetzter, alles ein wenig braver. Aber wie die knisternde Tonspur der Experteninterviews via Skype immer noch nicht viel mehr als eine Übergangslösung: Ein Profil, eine Haltung, ein Fokus sind nach wie vor nicht wirklich in Sicht.

„Wir gehen dort rein, um zu lernen“, warb der Programmleiter Aktuelles, Stefan Brandenburg, um Geduld. Letztere wird von den aktuelleren Beiträgen der Youtube-Vorhut tatsächlich weniger strapaziert. Einen echten Grund, einzuschalten, bieten sie allerdings immer noch nicht. Das sieht offenbar auch das Publikum so, das den Videos nur ausnahmsweise mehr als dreistellige Klickzahlen beschert.

Lernen könnten die #3sechzich-Macher beispielsweise von ihren Kollegen. Denn dass sich Youtube-taugliche Entspanntheit und journalistischer Anspruch nicht ausschließen zeigt der ebenfalls noch recht frische Kanal des jungen Journalisten Tim Schreder. Sachlich fundiert und ziemlich relaxt, erklärt er Börse oder Pegida. Und erntet im Unterschied zu WDR #3sechzich dafür fast ausnahmslos positives Feedback. Ein lebender Beweis, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk durchaus als Talentschmiede für künftige Vlogger-Generationen eignen kann. Denn wie man komplexere Themen verständlich aufbereitet, konnte Schreder schließlich seit 2011 als Moderator von Logo! ausgiebig üben.

Sein Logo!-Kollege Mirko Drotschmann ist in Sachen Youtube schon mehrere Schritte weiter. Als Mr.Wissen2go gibt er seit rund drei Jahren hier den netten Referendar, der seinen 140.000 Followern bei der Vorbereitung für die Geschichtsklausuren unter die Arme greift, aber auch ISIS, AfD oder den Irak-Konflikt erklärt. Deshalb wurde Drotschmann, der als Autor auch für unterschiedliche ARD-Anstalten arbeitet, im Januar als Moderator für ein Geschichtsformat vom MDR angeworben.
Hier soll er einerseits junge Zuschauer zum einschalten bewegen und andererseits den Youtube-Kanal des Senders verjüngen. Kein unkluger Zug. Denn das jugendliche Youtube-Publikum kommt mit Kompetenz und Wissensvorsprung ganz gut klar und weiß freundliche Belehrung durchaus zu schätzen. Im Unterschied zu Anbiederung und unglaubwürdiger Augenhöhe.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, NEU, Neue Formate

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