Journalismus&Netz im Oktober: Bönisch verlässt SZ, neue Newsrooms, Verifikations-Tools
Im Journalismus&Netz-Rückblick für den Oktober geht es um den Abgang von Julia Bönisch bei der SZ, die Medientage München, neue Newsrooms in drei großen Häusern, wie Medien über den Anschlag von Halle berichtet haben und viel Neues aus der Verifikations-Welt.
Julia Bönisch verlässt die SZ
Bei der Süddeutschen Zeitung war es in den letzten Monaten sehr unruhig. Julia Bönisch, Chefredakteurin von sueddeutsche.de und Mitglied der Chefredaktion der SZ, hatte mit einem Gastbeitrag im Journalist, in dem sie mehr Management-Qualitäten in Redaktionen gefordert hatte, erhebliche Teile der (Print-)Belegschaft gegen sich aufgebracht. Von einem „Vertrauensbruch“ war die Rede, dann war Bönisch mehrere Wochen lang absent. Das klang schon sehr nach Trennung und nun ist es auch so gekommen: Julia Bönisch hat die SZ Ende Oktober „mit sofortiger Wirkung“ velassen. Der Spiegel blickt nochmal auf den Fall Bönisch zurück.
Journalisten müssen sich besser auf die Jugend einstellen
Auch bei Meedia gibt es eine Essay-Reihe mit dem Titel “Werteorientierte Digitalisierung”. Dort schreibt Formatentwickler und Journalist Patrick Stegemann (Doku „Hass im Netz“), dass es seiner Meinung nach keinen „digitalen Journalismus“ gebe und Journalisten gut beräten wären, in die Kultur der Generation Z (grob gesagt: U20) einzutauchen. Besonders die zweite Hälfte des Textes ist interessant, in der Stegemann Journalisten rät, „Gesprächsanlässe zu bieten, Teil von Gesprächen zu sein.“ Und das kleinteiliger als bisher, denn unsere Gesellschaft agiere zunehmend in Gruppen und kleineren Kulturen.
Neue Newsrooms bei ARD, BR und Welt
Der digitale Wandel manifestiert sich in vielen Redaktionen auch in neuen Gebäuden, die oft neue, große Newsrooms haben und verschiedene Ausspielwege unter einem Dach vereinen. Der Bayerische Rundfunk baut noch, (Richtfest war gerade), bei ARD aktuell ist das neue Nachrichtenhaus schon fertig und nimmt in Kürze seinen Betrieb auf. Die Welt hat schon länger einen trimedialen Newsroom, vergrößert sich aber im kommenden Jahr noch mal. Jens Twiehaus hat für Turi hinter die Kulissen des aktuellen Welt-Newsrooms geblickt.
MedienMagazin-Special zu den Medientagen München
Ende Oktober fanden in München zum 33. Mal die Medientage statt. Meine Kollegen vom B5-MedienMagazin haben sich einige Themen herausgepickt, unter anderem
– Europäische Alternativen zu Facebook
– Was die Politik von Rezo lernen kann
– KI in der Redaktion
Diese und noch weitere Themen kann man in der Sendung vom 29.10. nachhören.
Facebook nimmt Breitbart in News-Tab-Dienst auf
Facebook hat in den USA mit dem Test des so genannten „News Tabs“ begonnen: Neben Nachrichten, die der Facebook-Algorithmus auswählt, soll es auch eine Reihe von Medienhäusern geben, die manuell ausgewählte Inhalte zum News Tab beisteuern – und dafür von Facebook bezahlt werden. Für Aufsehen sorgte nun, dass das rechtslastige Portal „Breitbart“ des ehemaligen Trump-Beraters Steve Bannon auch dabei sein wird. Andrej Reisin dokumentiert die Breitbart-bei-Facebook-Debatte auf tagesschau.de.
Wie Medien über den Anschlag von Halle berichtet haben
Rechtsradikalem Gedankengut hängt offenbar auch der Attentäter von Halle an. Für die deutschen Medien war der Anschlag vom 9. Oktober eine Breaking-News-Situation. Der Flurfunk Dresden hat sich angeschaut, wie eine Reihe von regionalen und nationalen Medien (live) berichtet haben, was dabei gut und was weniger gelungen ist – oder total daneben war.
ARD-ZDF-Onlinestudie: Netznutzung wächst weiter
Der Vollständigkeit halber erwähne ich die neueste Ausgabe der ARD-ZDF-Onlinestudie, die seit 1997 das Nutzungsverhalten im Internet untersucht. Die richtig – vor allem für Journalisten – zentrale Erkenntnis ist nicht dabei. Die (mobile) Netznutzung nimmt weiter zu, die Multimedia-Nutzung auch.
Internationale Studie: Journalisten setzen stärker auf Technologie
Interessanter und tiefgehender ist da die Studie „The State of Technology in Global Newsrooms“. Das International Center for Journalists (ICFJ) hat Journalisten aus 149 Ländern gefragt, wie die Digitalisierung ihre Arbeit verändert. Zentrale Erkenntnisse:
– Mehr Journalisten nutzen Fact-Checking- und Verifikations-Tools
– Mehr Journalisten sichern bzw. verschlüsseln ihre Kommunikation, um sich und ihre Quellen zu schützen
– Journalisten nutzen neue Formate und Plattformen, um die Interaktion mit ihren Nutzern zu steigern
Das ICFJ hat eine Zusammenfassung, wichtigste Ergebnisse in Grafiken und natürlich den kompletten Bericht veröffentlicht.
Tooltime 1: Leitfäden von First Draft
Viel Neues gibt es für Fortbildungswillige. Das FirstDraft Center hat im Oktober eine Reihe von praktischen Leitfäden gestartet: Der erste erklärt, was Journalisten beachten sollten, wenn sie über heikle Themen wie Extremismus, Verschwörungstheorien oder gefälschte Inhalte berichten, aber auch, wie man eine verantwortungsvolle Überschrift schreibt. Der zweite Leitfaden erläutert, welche Fragen bei der Verifikation von Netz-Inhalten zu klären sind – und wie bzw. mit welchen Tools man das am besten macht. Alle Leitfäden werden auf dieser Seite gesammelt.
Tooltime 2: Die Familie der InVID-Verifikations-Tools
Auf einen sehr interessanten Beitrag bin ich im Blog der Deutschen Welle gestoßen. DW-Innovations-Manager Jochen Spangenberg stellt dort die drei Verifikationstools des von der EU finanzierten InVID-Projekts vor. InVID steht für „In Video Veritas.“ Am bekanntesten dürfte das InVID-Verification-Plugin sein, eine Art „Schweizer Messer“ für die Video-Verifikation. Es zeigt unter anderem die Metadaten eines Videos an, zerlegt das Video in Keyframes (die man dann direkt für eine umgekehrte Bildersuche verwenden kann) und bietet ein Vergrößerungsglas, um einen genaueren Blick auf Bilddetails zu werfen. Mittlerweile wird das Plugin unter dem Namen WeVerify weiterentwickelt.
Neben dem Browser-Plugin gibt es aber auch die InVID-Verfication-App, die eine tiefere Video-Analyse ermöglicht. Drittes Pferd im Stall ist das Visual Analytics Dashboard, mit dem man Geschichten, die sich im Netz stark verbreiten und die Netzwerke dahinter analysieren und visualisieren kann. Wer das Dashboard testen will, muss beim Entwickler WebLyzard einen Test-Zugang beantragen.