Vorratsdatenspeicherung „Stasi de luxe“ für unsere Sicherheit?
Im Herbst wird die Vorlage für eine neue Version des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) vorgelegt. Das alte Gesetz wurde vom BVerfG im März letzten Jahres gekippt, jedoch nur weil keine konkrete Konzeption zur Datensicherheit vorlag und die Hürden für staatlichen Zugriff zu gering waren.
Die allgemeinen Bedenken bezüglich massiven Eingriffs in die Privatsphäre speziell aller Internetuser, in das informelle Selbstbestimmungsrecht und die Sinnhaftigkeit einer solchen Speicherung von Daten zu Ermittlungszwecken spielten dabei keine Rolle und werden insofern auch kaum als Kriterien für die Novelle herhalten.
Die letzte Verordnung zur VDS wurde im Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD und gegen Grüne, FDP und Linke verabschiedet. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat im Herbst letzten Jahres eine zweiwöchige Pflichtspeicherung auf Vorrat vorgeschlagen – für die Gegner inakzeptabel. Im Gespräch ist auch das sogenannte „Quick-Freeze-Verfahren“, d.h. eine anlassbezogene Speicherung bereits vorhandener Daten.
Besonders für Journalisten stellt die VDS ein konkretes Bedrohungsszenario dar. Wenn mittels Verbindungsdaten genaue Kommunikations- und Bewegungsprofile möglich sind, ist kein ausreichender Schutz für Informanten und Recherchewege mehr gewährleistet, was de facto einen Eingriff in die Pressefreiheit bedeutet. Auch der Deutsche Journalisten Verband und Reporter ohne Grenzen sehen die Pressefreiheit und den Informantenschutz in Gefahr und schreiben an die Bundesjustizministerin:
http://www.afmedien.com/news/djvgegenvorratsdatenspeicherung.php
Die Debatte um die VDS ist keines der üblichen Scharmützel um Netzfreiheit, sondern eine echte Schlacht – hier werden tatsächlich Weichen gestellt. Insgesamt gibt es dafür kein ausreichendes Empfinden auf breiter gesellschaftlicher Ebene. Einer überschaubaren Gruppe engagierter Gegner bei den Netzaktivisten und Journalisten steht ein bürgerliches Lager gegenüber, bei dem das Thema kaum angekommen ist. Auch die damit befassten Politiker, die sich für VDS einsetzen wirken in ihrer Argumentation eher naiv. Alle Argumentationen für die VDS, die ich gefunden habe, sind von ihrem Wesen her so, dass sie auch in der Vergangenheit für das Briefgeheimnis hätten gelten müssen.
Was ist VDS, was bedeutet sie für uns und was birgt sie für Gefahren?
Im Folgenden eine Zusammenfassung grundsätzlicher Informationen:
Was ist VDS? (Quelle Wikipedia u.a.)
In der politischen Diskussion wird der Begriff Vorratsdatenspeicherung mittlerweile synonym zur Speicherung von Telekommunikationsdaten für Strafverfolgungszwecke verwendet. Telekommunikationsanbieter sollen verpflichtet werden, Verkehrsdaten ihrer Kunden, Standortdaten und eindeutige Geräteidentifikationen für einen bestimmten Zeitraum zu speichern (Mindestspeicherfrist 6 Monate), damit Polizei und Nachrichtendienste darauf zugreifen können.
Begründung für VDS?
Die Vorratsdatenspeicherung wird mit der Notwendigkeit zur Kriminalitätsbekämpfung und der Terrorismusbekämpfung begründet. Zur Begründung wird auf die beträchtliche Zunahme elektronischer Kommunikation in den letzten Jahren hingewiesen. Sowohl wissenschaftliche Untersuchungen, als auch praktische Erfahrungen in mehreren Mitgliedstaaten zeigten, dass Daten über die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel ein notwendiges und wirksames Ermittlungswerkzeug für die Strafverfolgung, insbesondere in schweren Fällen, wie organisierter Kriminalität und Terrorismus, darstellten. Deswegen müsse gewährleistet werden, dass diese Daten den Strafverfolgungsbehörden für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung stehen. Zum Schutz des Lebens potenzieller Opfer von Terroranschlägen und anderer Straftaten müssten alle verfügbaren Mittel ausgeschöpft werden. Auch zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch, organisierter Kriminalität, Rechtsradikalismus und Phishing sei eine Vorratsdatenspeicherung erforderlich.
So wie hier wird argumentiert:
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,781503,00.html
Kritik an VDS
Im Juni haben vierzehn Personen aus Zivilgesellschaft, „Netzgemeinde“, Journalismus, Recht und Wissenschaft einen Offenen Brief an die Abgeordneten der FDP-Fraktion des Deutschen Bundestages zum Thema Vorratsspeicherung von Internet-Verbindungsdaten geschickt. Die Rolle der FDP ist insofern wichtig, weil sie bis dato die Pläne der Bundesregierung, nämlich eine verpflichtende Speicherung aller Internetverbindungsdaten für 6 Monate, ablehnt.
Der Brief ist sehr detailliert, aber argumentativ perfekt und erschöpfend:
Ich fasse kurz die Kritikpunkte zusammen und vereinfache dabei:
– VDS bedeutet jedenfalls eine nie dagewesene Möglichkeit für den real existierenden totalen Überwachungsstaat. Folge ist, dass Menschen vor privaten und politischen Äußerungen im Netz grundsätzlich zurückschrecken werden (u.a.a.Seelsorge- und Beratungsangebote und „Whistleblower“ betroffen). Außerdem stellst VDS auch das Ende der informellen Selbstbestimmung dar.
– VDS nutzt nicht. In einer Studie des Bundeskriminalamts vom November 2005 wurden 381 Straftaten vor allem aus den Bereichen Internetbetrug, Austausch von Kinderpornografie und Diebstahl erfasst, die in den vergangenen Jahren aufgrund fehlender Telekommunikationsdaten nicht aufgeklärt werden konnten. Diesen 381 Fällen stehen jährlich 6,4 Millionen Straftaten gegenüber, von denen laut Kriminalstatistik Jahr für Jahr 2,8 Millionen unaufgeklärt bleiben. Die durchschnittliche Aufklärungsquote ließe sich demnach „von bisher 55 % im besten Fall auf 55,006 % erhöhen“.
http://netzpolitik.org/2011/vorratsdatenspeicherung-aufklaerungsquote/
– VDS nutzt wenn dann erst danach. Die Speicherung von Verkehrsdaten sei notwendigerweise vergangenheitsbezogen und könne daher im Wesentlichen nur der nachträglichen Aufklärung bereits begangener Straftaten dienen. Eine abschreckende in Wirkung durch ein höheres Entdeckungsrisiko ist nicht nachweisbar und in Staaten, in denen eine Vorratsspeicherung erfolge, nicht zu beobachten.
– VDS behindert Ermittlungen: wenn die VDS Fakt ist, werden dadurch gerade schwerstkriminelle Planungen eben kommunikativ ganz aus den überwachten Systemen abgezogen werden, so dass nicht mal mehr eine Überwachung im konkreten Verdachtsfall und nach geltendem Recht möglich ist.
– VDS ist sexy für den Missbrauch. Für Staaten zur Bekämpfung politischer Gegner, für Wirtschaftsspionage, für Erpresser, für Sensationsjournalisten, für Unternehmen zur Überwachung von Angestellten.
– VDS ist teuer: dreistellige Millionenkosten, die letztlich beim Verbraucher landen werden. Zusätzlich werden kleine Anbieter viel stärker belastet als große, was wieder dem Markt und den Verbrauchern schadet.
Es gibt seit 2005 eine EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, die von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden muss. Irland hat dagegen geklagt, ist abgewiesen worden und hat aber weitere Klage vor der EuGH angekündigt, um zu klären, ob VDS mit den EU-Grundrechten vereinbar ist. In mehreren EU-Mitgliedsstaaten ist die Richtlinie nicht umgesetzt, bzw. liegen auch nationale Verfassungsrechtsklagen vor.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die VDS eine grundsätzliche Einschränkung von Meinungsfreiheit, Selbstbestimmungsrecht und Persönlichkeitsrecht, wie wir sie gekannt und immer für unstrittig wichtig empfunden haben, darstellt. Kommunikation hat sich in ihren Möglichkeiten extrem skaliert in den letzten beiden Jahrzehnten. Warum aber deshalb die genannten Rechte und Grundsätze weniger wert sein sollen, bleibt unbeantwortet. Es ist nicht mehr nötig ist, Briefe durch Mitarbeiter eines Staatssicherheitsdienstes „aufdampfen“ zu lassen, aber das digitale Abbild dieses Vorganges ist die VDS und sie ist um nichts weniger moralisch problematisch. Die Argumentationen der Befürworter bleiben vordergründig und noch mal: es scheint meistenfalls so zu sein, als ob die Betroffenen selber nicht verstanden haben, wie heilig die Kuh ist, die sie da zum Schlachthof treiben.
Zusammenfassende Linksammlung und weiterführende Links:
http://www.afmedien.com/news/djvgegenvorratsdatenspeicherung.php
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,781503,00.html
Hier der offene Brief an die FDP:
http://netzpolitik.org/2011/vorratsdatenspeicherung-aufklaerungsquote/
Und wer sich engagieren will gegen die VDS findet hier Kontakte und Aktionen:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/357/157/