03.04.2013

„Corporate Leaking“ – wenn Medien WikiLeaks spielen

Vor knapp drei Jahren schien sich ein publizistisches Erdbeben zu ereignen. Führende internationale News-Organisationen wie die New York Times, der Guardian oder Der Spiegel veröffentlichten Daten der Whistleblowing-Plattform WikiLeaks. Leaking – das war das große Ding der Zukunft. Der Journalismus sollte eine weitere Revolution erfahren. Aber was ist aus diesen Prognosen geworden? Stefan Mey über die Leaking-Plattformen internationaler Medienhäuser.

Das Wallstreet Journal macht es, Al Jazeera ebenso und hierzulande unter anderem die Zeit und die WAZ: ein Phänomen, das man als „Corporate Leaking“ bezeichnen könnte. Das macht durchaus Sinn, nicht nur für die Medien, die damit profitable Scoops produzieren können. Wenn professionelle Medien WikiLeaks spielen, lösen sie damit eines der größten Probleme bei unabhängigen Leaking-Plattformen: dass es nach dem großen Hype oft an einer soliden Aufarbeitung des Materials mangelt.

Der medienökonomische Wert eines Leaks 

Bevor der ganz große Hype um WikiLeaks losging, beschrieb Julian Assange in einem Interview, wieso er vor größeren Veröffentlichungen am liebsten exklusive Deals mit einzelnen Medien aushandelt: „Der Wert einer Information hängt davon ab, in welchem Ausmaß sie allgemein zugänglich ist. Wenn jeder die Information hat, ist sie wertlos.“ Die Wahrscheinlichkeit einer fundierten Berichterstattung sinke paradoxerweise, je bedeutsamer und größer der Leak ist. Es sei denn, die Medien könnten sich zumindest temporär auf Exklusivität verlassen.

Tatsächlich gab es bei fast allen Leaks ein auffälliges Missverhältnis in der Berichterstattung. Am Anfang stand ein journalistischer Hype um die ungeheuerliche Tatsache der Veröffentlichung, tatsächlich stieg dann aber nur ein kleiner Teil der Journalisten in diese Dokumenten-Flut ein, um sie zu analysieren und für die Öffentlichkeit aufzubereiten. Assanges Lösung sah anfangs vor, dass er ausgewählten Medien Exklusivität zusicherte, der Stern erhielt geheime Vertragsunterlagen zum Mautsystem von Toll Collect, der Spiegel konnte vorab die US-Botschaftsdepeschen auswerten. Als Weiterentwicklung plante Assange, für Sprach- oder Weltregionen in einer Art Abonnement auf Zeit das Vorrecht auf Wikileaks-Veröffentlichungen zu versteigern.

Corporate Leaking als Lösung 

Eine alternative Lösung des Problems stellt Corporate Leaking dar. Das Phänomen folgt einem Entwicklungspfad, den viele partizipative Web-Formate durchlaufen haben. Auch Blogs, Foren und Wikis wurden anfangs ausschließlich in der nicht professionellen und nicht kommerziellen Netz-Community genutzt, später haben professionelle Organisationen das Format aufgenommen und in das eigene Web-Angebot integriert. Corporate Blogging wird etwa von der FAZ betrieben, aber auch von Siemens und Greenpeace. Ähnlich verhält es sich mit dem Leaking. Geheime Dokumente entgegenzunehmen und zu veröffentlichen, war anfangs eine Sache klandestiner Hackergruppen – sei es WikiLeaks, das historische Vorbild Cryptome oder die vielen kleineren Regionalplattformen wie Balkanleaks. Irgendwann fanden professionelle Medien Gefallen und versuchten sich auch daran.

Al Jazeera Transparency Unit

Transpareny Unit: der Postkasten von Al Jazeera

Wenn Medien geleakte Dokumente direkt entgegennehmen, bedeutet das: Es ist automatisch eine Redaktion da, die sie auswerten kann. Eine Gruppe von RedakteurInnen kann sich nur mit der Analyse und Aufbereitung der Dokumente beschäftigen. Und es gibt genügend ökonomische Anreize dafür, da sie den Leak exklusiv haben und den Aufwand durch höhere Verkaufszahlen refinanzieren können.

Angebote aus der Hackerszene

Aus der Hackerszene kommt Hilfestellung für Organisationen, die eine eigene Leaking-Plattform aufbauen wollen. Das ehemalige WikiLeaks-Mitglied Daniel Domscheit-Berg wollte ursprünglich eine Weiterentwicklung von WikiLeaks in die Welt setzen. Mittlerweile beschränkt sich OpenLeaks aber darauf, Organisationen das nötige Know-how zur Verfügung zu stellen. Sie sollen in die Lage gebracht werden, selbst die technischen und sozialen Anforderungen an eine sichere und sinnvolle Leaking-Plattform zu verstehen. Die Medien können eine voll arbeitsfähige „Referenz-Installation“ von OpenLeaks nutzen, sie könnten aber auch eine eigene technische Lösung entwickeln.

Screenshot GlobaLeaks

GlobaLeaks: eine quelloffene Leaking-Software für Medien und andere Organisationen

Eine offene Lösung bietet auch die Organisation GlobaLeaks an, die gleichzeitig die Übersichtsseite LeakDirectory betreibt. Die italienischen Hacker arbeiten an einer kostenlosen und quelloffenen Software, die es Einzelpersonen und Organisationen ermöglicht, einen eigenen Leaking-Postkasten anzubieten.

Corporate Leaking durch professionelle Medien steckt noch in den Kinderschuhen. Zu neu ist das Format, und trotz der vorhandenen Hilfestellungen ist die technologische Schwelle noch sehr hoch. Die Liste der „Mainstream Media Whistle Blowing Sites“ auf LeakDirectory wird aber mit der Zeit sicher immer länger werden.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: Dynamik am Markt, JOURNALISMUS & NETZ, NEU, Neue Formate
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  1. torial Blog | Media-Leaks: Postfächer für Whisteblower sind noch lange nicht Mainstream 07 01 16