04.10.2013

„Das war eigentlich eine Schnapsidee“

Stefan Sichermann, Chef der Grimme-Online-Award-gekrönten Online-Satire-Zeitung „Der Postillon“, im Gespräch mit Ben Schwan über Journalismus, Humor und die Frage, wie man sein eigenes Medium etabliert.

torial: Herr Sichermann, die Verlage in Deutschland klagen, dass sich im Internet kein Geld verdienen ließe, während Sie mit dem „Postillon“ mittlerweile sogar redaktionelle Zuarbeiter finanzieren können. Lohnt sich Satire online mehr als harter Journalismus? Oder anders gefragt: Was machen Sie richtig, was Verlage falsch machen?

Stefan Sichermann: Naja. Man könnte eher sagen, dass ich (neben gelegentlichen Honoraren) den zweifelhaften Luxus habe, nur mich selbst finanzieren zu müssen, während in den Zeitungsredaktionen bislang dann doch ein paar Leute mehr arbeiten. Insofern machen die Verlage schon alles richtig: Auf maximale Reichweite setzen, und Mitarbeiter rausschmeißen. Journalistisch schön ist das nicht.

torial: Wie kam es zur Gründung des „Postillon“?

Sichermann: Das war eigentlich eine Schnapsidee, als mir langweilig war. Mein damaliger Kollege meinte, ich soll doch mal einen Blog aufmachen. Irgendwann habe ich dann nachgegeben. Da ich aber nichts persönliches schreiben wollte und damals viel „The Onion“ gelesen habe, dachte ich mir, ich versuche es mal mit einer Satirezeitung.

torial: Hatten Sie erwartet, dass die Seite derart einschlägt? Wie hilfreich ist die Verwendung sozialer Medien?

Sichermann: Nein, das habe ich natürlich nicht erwartet. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass es ein paar Jahre gedauert hat, bis der Postillon wirklich ein paar Leser beisammen hatte. Soziale Medien spielen eine sehr große Rolle. Der größte Teil des Traffics kommt über Facebook, was aber auch daran liegt, dass viele Leser den Postillon quasi über Facebook abonniert haben.

torial: Können Sie vom „Postillon“ leben? Und wenn ja, wie?

Sichermann: Ja. Ich kann mich nicht beklagen. Ich verzichte aber auch auf übertriebenen Luxus wie beispielsweise ein Auto.

torial: Eines Ihrer Vorbilder ist, Sie haben es erwähnt, der amerikanische Onion, der allerdings neben seinen Online-Aktivitäten noch ein Print-Blatt verlegt und, so hört man, noch immer recht gut absetzen kann. Muss der „Postillon“ auch ein gedrucktes Pendant erhalten?

Sichermann: Die Print-Ausgabe von The Onion ist meines Wissens ein anzeigenfinanziertes Gratisblatt. Ich glaube nicht, dass die da allzu viel Geld damit verdienen. Ein Print-Postillon hätte durchaus Charme, ist aber allein schon aus logistischen Gründen derzeit nicht in Planung.

torial: Neben der Website existiert auch noch ein professionell gemachter YouTube-Kanal des „Postillon“. Wie entsteht der?

Sichermann: Moderator Thieß Neubert und ich managen das. Wir haben talentierte Schauspieler, professionelle Kameraleute und nehmen uns viel Zeit für die Vorbereitung. Demnächst wird auch Postillon24 dank der Kooperation mit einem großen Internetkonzerns mit zwei O im Namen finanziell abgesichert sein.

torial: Journalisten, die bislang für Verlage schreiben, stellen sich oft die Frage, ob es Sinn macht, alleine loszuziehen und den Leser direkt zu erreichen. Ist das ein tragfähiges Modell, Ihren Erfahrungen nach?

Sichermann: Das ist schwierig, weil man eine enorme Reichweite braucht, bis die Werbeeinnahmen zum Leben reichen. Das bekommt nicht jeder zusammen. Wichtig wäre es aber sicherlich, wenn Journalisten zumindest beginnen, sich damit zu befassen, wie man im Internet-Zeitalter überlebt. Ich wundere mich, dass die meisten noch nicht einmal eine eigene Webseite betreiben.

torial: Wie läuft Ihr Werbeverkauf? Bringt eine automatisierte Vermarktung etwas oder muss da jemand zum Telefon greifen, um Reklame einzuwerben?

Sichermann: Meine Vermarktung ist weitgehend automatisiert. Das heißt, ich nutze Werbenetzwerke wie Google Adsense, AdVice oder Populis. Für Akquise fehlt mir die Zeit. Glücklicherweise melden sich Werbekunden aber nicht selten von allein.

torial: Sie persiflieren mit dem „Postillon“ Medien. Ist das einfacher als ein reines Humorprojekt?

Sichermann: Sie interviewen mich. Ist das einfacher, als reine Artikel zu schreiben?

torial: Wir danken für das Gespräch.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: Ideen, Chancen, Risiken, JOURNALISMUS & NETZ

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