Performativer Journalismus – liegt auf der Bühne die Zukunft?
Beim Urban Journalism Salon präsentieren Journalisten ihre Geschichten live vor einem Publikum. Die Musikindustrie macht es vor: nicht mehr Plattenverkäufe, sondern Auftritte erwirtschaften die Gewinne. Kann das auch für den Journalismus funktionieren? In Berlin wurde es ausprobiert.
Journalismus gehört auf die Bühne. Das ist die Idee der Journalisten Mark Heywinkel (Vocer), Jens Twiehaus (Medium Magazin) und der Autorin Rabea Edel. Recherchen und Geschichten werden so „performativ, erlebbar und hautnah“, sagt Heywinkel. Auch das Publikum soll mit neuen Interaktionsformen beteiligt werden. Das Ziel sind Geschichten zum Anfassen und Mitmachen. Obwohl auch traditionelle Medienhäuser Podiumsdiskussionen oder Lesungen veranstalten, ist Journalismus speziell für die Bühne eine neue und mutige Idee.
Der erste Salon am 1. August in Berlin zieht knapp vierhundert Besucher an. Ein junges, hippes Hauptstadtpublikum ist gekommen, von dem wohl mehr als zwei Drittel selbst in den Medien tätig sind. Veranstaltungsort ist die Galerie Lehrter Siebzehn, eine Fabriketage in Berlin-Moabit mit hohen, unverputzten Decken. Vor der post-industriellen Szenerie des Projektraums mit Ausblick auf Bahntrassen steht eine kleine Bühne mit Scheinwerfern. Dort haben die zuvor ausgewählten Journalisten jeweils zwanzig Minuten Zeit für ihren Auftritt.
„Ich präsentiere euch heute Abend ein lebendiges Magazin“, mit diesem Satz eröffnet Moderatorin Eva Schulz den ersten Urban Journalism Salon. Ganz im Sinne eines lebendigen Magazins sind die Beiträge der Autoren und Autorinnen Ressorts zugeteilt. Für das Auslandsressort liest Hanno Hauenstein Auszüge aus einem Artikel über den Wasserkonflikt zwischen Israel und Palästina vor, der zuvor im Revue Magazin erschienen ist. Er unterbricht seine Lesung und ergänzt den Text mit Recherche-Anekdoten und präsentiert Bilder von seinen Interviewpartnern und Orten, die er bereist hat. Erst vor kurzem ist er aus Israel zurückgekehrt und erklärt in der anschließenden Fragerunde die Stimmung in Israel und Palästina.
Experimenteller ist Thilo Kasper’s (Putsch Berlin) performative Infografik. Der Designer stellt in einer Mischung aus Familienaufstellung und Laientheater den Untergang des Printjournalismus nach. Zuschauer übernehmen auf der Bühne und im Publikum die Rollen von Bloggern, Printmedien oder Facebook und bewerfen sich gegenseitig mit Inhalten, hier in Form von Bonbons. Es ist eines der wenigen Formate, die tatsächlich nur auf der Bühne funktionieren. Leider bleibt der Informationsgehalt der lebendigen Grafik gering und wiederholt gängige Branchen-Stereotype. Trotzdem gibt es tosenden Applaus.
Ein Höhepunkt des Abends ist Teresa Bückers Vortrag für das Wirtschaftsressort. Sie stellt das Projekt Edition-F vor, das sich mit Wirtschaftsthemen aus einer weiblichen Perspektive beschäftigt.
In einem Quiz präsentiert die Journalistin Zitate aus traditionellen Wirtschaftsmedien, die weibliche Führungskräfte beschreiben. Diese Zitate müssen vom Publikum derjenigen Person zugeordnet werden, die beschrieben wurde. Gekonnt seziert Bücker in ihren Kommentaren die lächerlichen und problematischen Stereotype, mit denen Frauen in der Wirtschaft zu kämpfen haben.
Für kurze Zeit erscheint am Abend der Hashtag #ujournalism sogar auf der Trendliste bei Twitter. Doch gerade via Twitter ernten viele der Vorträge auch harsche Kritik. Zu Recht, denn es darf bezweifelt werden, dass das Ablesen eines erschienenen Textes die immer wieder beschworene Zukunft des Journalismus sein soll. Auch die angepriesene neue Interaktivität des Urban Journalism Salon’s ist wenig innovativ. Publikumsfragen, Einspieler und Bilderreihen gehören zum Standardrepertoire vieler Podiumsdiskussionen. Trotz solider Geschichten fehlen den Vorträgen und dem Abendformat das Szenische und damit ein Alleinstellungsmerkmal.
Impulse aus dem Dokumentar-Theater oder dem politischen Kabarett hätten den Abend sicher bereichert: Warum lädt ein Journalist nicht die O-Ton-Geber seiner letzten Recherche ein? Auch wenn viele, der Vorträge hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben zeigt sich, dass performativer Journalismus Potenzial hat. Für journalistische Making-Of-Geschichten könnte der Salon eine interessante Plattform werden. Auch für kleine, ausschließlich online erscheinende Medienprojekte ist die Bühne ein Weg, die Reichweite zu vergrößern.
Karl Kraus hat einmal polemisch über Journalisten geschrieben: „Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können: das macht den Journalisten.“ Wohl das Gegenteil war beim ersten Urban Journalism Salon der Fall: Einen zukunftsweisenden Gedanken haben, aber dafür noch keine Form: Das ist journalistisches Experimentieren.
Aufzeichnung des Urban Journalism Salon von ALEX: