19.02.2015

„Lasst viele Blumen blühen“

Im torial-Interview sagt Hermann-Josef Tenhagen, wie die gemeinnützige Website „Finanztip“ den Verbraucherjournalismus umkrempeln will.

Tenhagen war viele Jahre Chefredakteur von „Finanztest“ und gilt als einer der profiliertesten Finanzjournalisten Deutschlands, mit großer Medienpräsenz. Entsprechend beachtet wurde sein Entschluss im vergangenen Jahr, zusammen mit zwei externen Geldgebern eine neue, kostenlose journalistische Website zu starten. „Finanztip“ arbeitet in Berlin als gemeinnützige GmbH. Im Interview mit torial erläutert Tenhagen die Idee hinter dem Projekt und beantwortet die Frage, ob dies auch ein Modell sein könnte, den Journalismus über die Krise zu retten.

Hermann-Josef_Tenhagen_c_Finanztip

 

torial: Herr Tenhagen, wie oft hat man Ihnen in letzter Zeit schon die Frage gestellt, ob das, was Sie bei „Finanztip“ jetzt machen, Journalismus ist?

Hermann-Josef Tenhagen: Ich glaube zweimal bisher. Die Frage hat man mir bei der Stiftung Warentest aber auch häufiger gestellt, weil es ja immer noch Leute gibt, die glauben, wenn man sich mit Verbraucherproblemen so beschäftigt, dass man den Leuten auch Lösungen anbieten kann, sei das kein Journalismus.

Ich habe kürzlich noch mit dem Magazinredakteur einer großen Hamburger Redaktion gesprochen, der sagte: „Empfehlungen geben, das tun Journalisten doch nicht.“

torial: Wie lange hat es gedauert, bis Sie bei „Finanztip“ mitmachen wollten? Hat man Sie lange umwerben müssen für das Projekt?

Tenhagen: Es hat letztlich zwei längere Gespräche mit den Eigentümern gebraucht. Zuvor gab es einen Mittelsmann, der mir erzählt hatte, da gäbe es in München zwei Leute, die der Meinung seien, die Menschen würden im Finanzjournalismus doch eigentlich nach Lösungen suchen. Da habe ich gesagt: Die haben schon mal recht. Das hört sich interessant an.

Daraufhin habe ich mich mit [den „Finanztip“-Geldgebern, Anm. d. Red.] Robert Haselsteiner und Marcus Wolsdorf getroffen und da ging es um die Frage: Für wen kann man denn solche Lösungen wie preiswert produzieren.

Denn mein Bauchweh bei der Stiftung Warentest und „Finanztest“ war nie die inhaltliche Arbeit.  Die ist fein und super. Viel eher war es die Frage, ob man gerade auch im Internet die Leute erreicht, die es besonders nötig haben solche Informationen zu erhalten, um besser durch den Alltag zu kommen.

Da ist es tatsächlich so, dass User ganz oft die Informationen nicht zur Kenntnis nehmen, wenn sie die nicht kostenlos bekommen können. Weil das Geld vielleicht nicht reicht für so ein Abo oder vielleicht auch weil sie sich gar nicht vorstellen können, dass man solche Informationen auch nutzen kann. Die sagen dann: „Wenn es um Finanzinformationen geht, ist das doch sowieso nur was für Leute, die viel Geld haben.“ Nein, es ist vor allen Dingen auch etwas für Leute, die gerade keine so großen finanziellen Sprünge machen können.

torial: „Finanztip“ gibt es in der jetzigen Form seit dem letzten Jahr. Wie sind die ersten Erfahrungen? War es schwer, Leser zu finden?

Tenhagen: Die Webseite selbst gab es als Ein-Mann-Betrieb schon lange – deshalb auch Finanztip mit einem P. Robert Haselsteiner und Marcus Wolsdorf haben 2013 die Domain gekauft. Die Seite war vorher auf Steuern und Rechtsfragen konzentriert und wurde zu einer Seite mit Finanzinformationen für alle – also auch mit Themen wie Girokonten, Tagesgeldkonten oder Versicherungsprodukte, die man braucht. Wir haben die Webseite komplett neu aufgezogen.

Im Frühsommer, als wir uns einig geworden sind, haben wir dann auch noch einen zweiten Schritt gemacht und gesagt, wir machen eine gemeinnützige GmbH daraus. Es war mir ganz wichtig, dass eine Firma, die Finanzinformationen an jedermann kostenlos weitergibt und deshalb auf ein Affiliate-Modell setzt [„Finanztip“ verdient, wenn Nutzer auf die jeweiligen Testsieger klicken beziehungsweise deren Produkte erwerben, Anm. d. Red.], dass die klar macht, hier will keiner Profit machen. Sondern hier wollen Leute wichtige Informationen kostenlos zur Verfügung stellen – für diejenigen, die sie brauchen.

Wir sind glasklar allein daran orientiert. Deshalb haben wir auch eine Art „Chinese Wall“ eingezogen mit zwei Geschäftsführern: Mit einem, der fürs Geld zuständig ist und einem für die Inhalte – das bin ich.

Die gemeinnützige GmbH sagt den Leuten von vornherein: Wenn’s gut geht, bekommen die beiden, die das Projekt vorfinanziert haben, unverzinst ihr Geld zurück. Und wir bieten den Menschen hier langfristig ordentliche Jobs, die Spaß machen und die einen befriedigen, weil man etwas Sinnvolles tut. Wenn’s nicht gut geht, sind die Millionen durch den Schornstein und wir müssen uns einen neuen Job suchen.

torial: Wie viel wurde bis jetzt insgesamt in die Hand genommen, wenn Sie das preisgeben wollen?

Tenhagen: Wir haben ja jetzt eine Truppe von gut 20 Leuten hier. Wenn man sich ausrechnet, was die so kosten und wenn man weiß, dass wir derzeit nur einen Teil dieses Geldes jeden Monat wieder einspielen, kommt man auf einen signifikanten einstelligen Millionenbetrag. Den werden wir erstmal brauchen, bis wir hoffentlich – nein, ich meine ziemlich sicher – schwarze Zahlen schreiben. Das wird irgendwann Ende 2016 sein oder auch 2017. Und dann werden wir die investierten Millionen langsam wieder zurückführen.

torial: Wie kommen die Nutzer zu „Finanztip“? Hat das auch viel mit Ihrer Person zu tun? Sie waren zu Zeiten von „Finanztest“ ja häufig in den Medien.

Tenhagen: Im Kern gibt’s hier drei große Quellen. Die eine Quelle ist die Tatsache, dass die Texte natürlich gut bei Google dabei sind. Da hilft dann auch, dass das eine alte Seite ist – und die ist schon ganz ordentlich gelistet.

Dann war natürlich auch ein Teil des Deals, als ich an Bord kam, dass ich meine mediale Präsenz in dieses Unternehmen mit einbringe und schaue, dass wir das hier zum Laufen kriegen. Das hat gut funktioniert.

Quelle Nummer drei ist der von uns aufgebaute wöchentliche E-Mail-Newsletter. Der hatte im Dezember 15.000 Abonnenten und wir liegen jetzt über 60.000. Das sorgt dann dafür, dass regelmäßig Leute vom Newsletter auf unsere Website klicken. Der Newsletter wächst auch wöchentlich um 2000 bis 3000 Abonnenten.

torial: Ihr Modell der Vorfinanzierung einer gemeinnützigen GmbH durch überzeugte Geldgeber – kennen Sie etwas Vergleichbares in Deutschland?

Tenhagen: Nein, da kenne ich nichts.

torial: Es gibt Medienjournalisten, die dem Braten nicht trauen, dass da zwei Manager sind, die im Finanzbereich ihr Geld gemacht haben und einen kleinen Teil davon jetzt im positiven Sinn unter die Leute bringen. Das wirkt auf manchen Beobachter fast zu schön.

Tenhagen: Die beiden sind Unternehmer. Das heißt, die wollen nicht einfach ihr Geld dort lassen, sondern die beiden haben eine vernünftige Idee gehabt und überlegt, wie man diese Idee auch wirtschaftlich tragfähig umsetzen kann. Dabei ist die Herausforderung: „Finanztip“ gerade für Leute ohne große Finanzbildung attraktiv zu machen und gleichzeitig längerfristig selbsttragend zu sein. Und daran arbeiten Robert Haselsteiner und Marcus Wolsdorf.

torial: Eignet sich Ihr Modell auch für andere Medien?

Tenhagen: Es gibt noch andere Menschen, die ähnlich denken. Es gibt eine Reihe von Unternehmern und Unternehmerinnen in Deutschland und anderswo, die persönlich ihre Schäfchen im Trockenen haben – aber denken, bestimmte Dinge müssten doch endlich einmal angeschoben werden. Und dafür geben sie auch Geld aus oder stellen anderen Geld zur Verfügung. Neu ist die Idee ja nicht, so etwas dann auch effizient zu betreiben. Ich will hier jetzt nicht mit großen Namen kommen, aber es gibt ja beispielsweise die Bill-Gates-Stiftung, die so mancher UN-Organisation zeigt, welche Effekte man im Gesundheitsbereich mit bestimmten Summen erzielen kann. Das finde ich super, so etwas ist gut. Und in Deutschland bildet sich das auch langsam heraus.

torial: Können solche Philanthropen die Medien retten?

Tenhagen: Nein, das ist kein Modell, das jetzt die Krise des konventionellen Journalismus lösen würde. Das ist es garantiert nicht. Es ist nur eines von vielen Modellen, mit denen man den Journalismus wieder auf die Füße bekommen kann. Lasst viele Blumen blühen, sage ich dazu.

1 Trackbacks/Pingbacks

  1. Jonet Das Journalistennetz. Seit 1994. » Medienlog 20. Februar 2015 20 02 15