2.000 deutsche Webradios: Dudelfunk oder journalistische Offenbarung?
Etwa zweitausend Internetradios gibt es hierzulande. Versteckt sich dahinter eine stille publizistische Revolution? Nicht ganz. Meistens handelt es sich eher um digitale Jukeboxen, doch längst nicht alles ist reiner Dudelfunk.
30,5 Millionen deutsche Hörer von Internet-Radio zählte eine repräsentative Studie im Jahr 2014. Knapp über zweitausend Anbieter gäbe es, heißt es weiter. 85% davon senden ausschließlich online und sind nicht nur Ableger klassisch terrestrischer Sender. Nicht schlecht.
Ein Ranking nach Hörerzahlen zeigt allerdings: die neuen Web-Anbieter machen den Platzhirschen des Radio-Geschäfts noch keine ernsthafte Konkurrenz. Auf Platz 1 trohnt Antenne Bayern, ein großer, terrestrisch empfangbarer Privatsender. Auch ansonsten befinden sich in den Top 10 fast ausschließlich die kleinen Schwestern klassischer Radiokanäle. Einziges reines Webradio ist RauteMusik, bei dem sich die Zuhörerschaften von 24 Musik-Spartenkanälen addieren.
Ein ähnliches Bild bietet sich beim hierzulande Ton angebenden Webradio-Aggregator radio.de, über den sich die meisten Internetradios bequem streamen lassen. Auch dort dominieren die terrestrischen Anbieter die Hitlisten. Die stattliche Zahl von insgesamt 19.000 deutschen und internationalen Sendern auf radio.de dürfte aber vor allem durch eine Vielzahl an kleinen und kleinsten Webradios zustande kommen, den berühmten „Long Tail“.
Einen Blick in diesen Long Tail erlaubt eine Gema-Liste von 1.200 lizensierten Webradios. Fast ausschließlich handelt es sich dabei um mehr oder weniger reine Abspielstationen von Musik mit bunt blinkenden Webseiten. Schlager läuft rauf und runter, oft auch Pop oder Techno, manchmal auch Gothic oder Punkrock. Zwischenfazit: Die Möglichkeiten des Webradios werden vor allem genutzt, um sich eine Art digital verbreitete Jukebox für Freunde und Bekannte zu basteln.
Eine kleine Perle: R4H
„Der überwiegende Anteil der Webradios wird von Privatleuten mit dem Ziel betrieben, Musik und Chatgespräche unter ihren Hörern zu verbreiten.“ meint auch Karl Grandt vom Webradio R4H, einer der wenigen kleinen Sender mit publizistischen Zielen. Dass nur sehr wenige Webradiosender ein journalistisches Interesse verfolgen, sei unter anderem auch der Finanzierungsproblematik geschuldet.
R4H (Radio4Health), ein Webradio von und für Menschen mit Behinderung ist einer der wenigen Anbieter mit journalistischen Ambitionen. Der „Radio für barrierefreie Köpfe“ bietet, in viel Musik eingebettet, verschiedene journalistische Formate: thematische Gesundheitssendungen, Nachrichten, Interviews und Berichte zu Behindertenthemen. Höhepunkt ist die Vor-Ort-Übertragung von den paralympischen Spielen alle zwei Jahre, an der auch mal um die 30 Leute und mehr beteiligt sind.
Alle Radiomacher arbeiten ehrenamtlich, der Chefredakteur und auch die etwa 20 Autoren, die über ganz Deutschland verteilt sind. R4H wird von dem gemeinnützigen Flensburger Verein Health-Media e.V.. betrieben – und auch bezuschusst. Gefragt nach der Bedeutung von Werbe-Finanzierung bei R4H muss Grandt lachen: „Das wäre schön, wenn Firmen für kleine Internetradios Geld ausgeben würden. Die meisten Unternehmen haben Webradios als Werbeplattform noch nicht entdeckt.“
Detektor.fm: hoch professionelles Internetradio
Detektor.fm hingegen finanziert sich überwiegend über Werbung. Das Webradio aus Leipzig bettet Hintergrund-Geschichten in Popmusik ein. Neben einem Musikstream gibt es einen Wortstream mit anspruchsvollen journalistischen Formaten, vor allem eine drei-stündige tägliche Livesendung zu Themen aus Politik, Wirtschaft, Kultur oder Internet. Das enge Zeitraster im Radio gelte hier bewusst nicht, erzählt Christian Bollert, der Geschäftsführer von detektor.fm. Gespräche und Beiträge haben keine Zeitvorgabe, sondern seien so kurz wie möglich und so lang wie nötig. Die Beteiligten arbeiten auf allen Ebenen journalistisch, sowohl in der Text- als auch in der Musikredaktion, meint Bollert: „Die journalistische Grundfunktion des Sortierens und Gewichtens ist eine zentrale Aufgabe unserer Redaktion.“ Ein Redaktionskodex stelle sicher, dass Inhalt und Werbung klar getrennt sind.
Klare Markenbildung muss sein
Man sei als Internetradio vor allem dann erfolgreich, wenn man eine Nische konsequent besetze, und das habe man geschafft. Die größte Herausforderung für Onlineradios sei die Sichtbarkeit, man müsse eine klare Marke aufbauen: „Nutzer müssen sich in dem Wust von Tausenden Angeboten bewusst für ein bestimmtes Programm entscheiden, dafür muss das Angebot bekannt sein und für etwas stehen.“
Die Hörer des Leipziger Senders sitzen vor allem in deutschen Großstädten und in Universitätsstädten. Im Dezember kam detektor.fm etwa 80 Tausend Streamsessions, mit Verweildauern pro Hörer von etwas über einer Stunde. Damit finanziert Detektor.fm ein Kernteam aus vier Leuten, die für Redaktion, Musikredaktion, Geschäftsführung und Marketing zuständig sind. Daneben gibt es noch um die 25 Freie, die auf Honorarbasis arbeiten. Das Radio verfügt über zwei Studios in Leizpzig, eines wurde über Crowdfunding finanziert.
Von auch nur annähernd so professionellen Produktionsbedingungen können die meisten anderen Webradio-Macher nur träumen. Vielleicht ist das der Grund, wieso die publizistisch ambitionierten Stationen einige, wenige Nadeln im Heuhaufen aus digitalen Jukeboxen sind. Aber wenn man lang genug sucht, wird man dann doch fündig.
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Es gibt immer mehr Webradios, da es heutzutage so einfach ist einen eigenen Radiosender zu starten. Die Auswahl der Streaminganbieter wird immer größer. https://www.blitz-stream.de ist sehr zu empfehlen.
Toller Beitrag. Wir vom Webradio http://www.es-wird-morgen.de wären gerne mehr wie eine digitale „Jukebox“. Doch leider ist uns noch keine Idee gekommen wie wir unseren Sender monetisieren können. Viele Grüße.