25.03.2015

Patient No. 105: Paid Content und die Tageszeitungen

Jetzt hat es auch die Süddeutsche getan: eine Bezahlmauer vor SZ-Artikeln soll den Digitaljournalismus aus München ökonomisch voranbringen. Das Qualitätsblatt ist in puncto Bezahlinhalte eher ein Nachzügler. Andere haben den Schritt schon vor Monaten und sogar Jahren vollzogen und verweisen auf erste Erfolge.

Auch die Süddeutsche hat jetzt eine Paywall

Eher soft als knallhart: auch die Süddeutsche hat jetzt eine Paywall

Für „Ende März“ war der Start angekündigt. Die Verantwortlichen hatten große Erwartungen geweckt. Mit der Einführung der Paywall sollte sich die Onlinerepräsentanz der Süddeutschen gleich auch konzeptionell ein bisschen neu erfinden. Jetzt ist es so weit.

Gewählt wurde ein eher sanfter Weg, um Nutzer zum Zahlen zu bringen: zehn „Autorentexte“ pro Woche lassen sich frei aufrufen. Ein eingeblendeter Zähler erinnert einen daran, wie viele Texte man schon gelesen hat. Nach dem zehnten Artikel erscheint eine digitale Bezahlmauer. Man kann sich zwischen einem Jahresabo entscheiden. Das kostet in den ersten beiden Monaten monatlich 19,99 Euro, danach werden es 29,99 Euro. Alternativ gibt es einen 24-Stunden-Zugang à 1,99 Euro und für Einsteiger einen zweiwöchentlichen, kostenlosen Testzugang. Studenten zahlen monatlich 5 Euro weniger, und regulären Abonnenten der Prinz-SZ werden 7,50 Euro berechnet.

Darüber hinaus heißt es in der Titelzeile jetzt nicht mehr Süddeutsche.de, sondern „Süddeutsche Zeitung“. Print und online sollen endlich zusammenwachsen, heißt es. Die neue Digital-SZ ist in drei Bereiche unterteilt: das klassische, tagesaktuelle Online-Angebot, die kompletten Inhalte der Zeitung und das überarbeitete SZ-Magazin in digital. In einem Erklärvideo preist SZ-Digitalchef Stefan Plöchinger den neuen Webauftritt an: „Es ist in der Summe ein digitales Angebot, das Sie in der Qualität und der Tiefe auf keiner anderen Seite finden werden.“

Die Dreifaltigkeit des Paid Content
Die Süddeutsche hat sich mit der Einführung der Paywall Zeit gelassen. Viele kleine und kleinste Regionalzeitungen sind schon länger dabei, die Bild-Zeitung hat eine Bezahlmauer und – auf der anderen Seite des ideologischen Spektrums – auch das Neue Deutschland. Insgesamt 105 Zeitungen mit Bezahlmodell zählt der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Sie alle folgen der heiligen Dreifaltigkeit des Paid Contents: ein knallharter Bezahlzwang auf der einen und zwei abgestufte Modelle auf der anderen Seite.

(1) Freemium: die Königsklasse der Netzökonomie

63 Tageszeitungen haben sich für das Lieblings-Erlösmodell im Internet entschieden, das in einer ähnlichen Form auch von Mail-Anbietern wie Gmx oder sozialen Netzwerken wie Xing angewendet wird: Freemium. Das Angebot wird auf verschiedene Versionen heruntergebrochen. Eine Basisversion ist kostenlos verfügbar, für „Premium“-Dienste wird hingegen Geld verlangt. Bei den Tageszeitungen sind das meist exklusive oder besonders aufwändig erstellte Inhalte. Neben vielen sehr kleinen Regionalzeitungen hat laut Angaben des BDZV auch die Leipziger Volkszeitung, die Berliner Morgenpost, das Handelsblatt und das Neue Deutschland ein solches Modell eingeführt. Irgendwann zog auch die Bild-Zeitung nach. Viele Artikel der Boulevardzeitung sind kostenlos. Exklusive Geschichten, Interviews und Fotos sind Bezahlnutzern vorbehalten, beispielsweise ein Service-Artikel zu „Deutschlands Top-Sparkassen.“

(2) Metered Modell: nur die treuen Leser zahlen

37 Tageszeitungen haben sich wie die Süddeutsche für ein Verbrauchs-abhängiges Modell entschieden, unter anderem der Kölner Stadtanzeiger und die Welt. Mithilfe von Cookies im Browser der Nutzer wird gezählt, wie viele Artikel in einem bestimmten Zeitraum schon gelesen wurden. Ab einer bestimmten Anzahl senkt sich die Paywall, und für das Lesen des nächsten Artikels ist ein Bezahl-Account erforderlich. Damit sollen nur die besonders passionierten Leser zur Kasse gebeten werden, gelegentliche Nutzer werden nicht ausgesperrt. Die Bezahlmauer ist allerdings durchlässig. Auch wenn das monatliche Kontingent verbraucht ist, lassen sich die Artikel über Links von Suchmaschinen und von sozialen Netzwerken aufrufen. Und für minimal technisch versierte Nutzer lässt sich das Artikel-Zählwerk im eigenen Browser ausstellen oder manipulieren. Bei Welt online lassen sich monatlich 20 Artikel frei lesen, beim Kölner Stadtanzeiger sieben. Die Süddeutsche ist mit zehn kostenlosen Artikeln pro Woche vergleichsweise großzügig.

(3) „Harte Bezahlschranke“: wer nicht zahlt, darf nicht lesen

Für ein brachiales Vorgehen, das Aussperren aller zahlungsunwilligen Leser haben sich laut BDZV nur vier kleine Regionalzeitungen entschieden, die größte von ihnen die Braunschweiger Zeitung. Die Startseite mit den Anreißer-Texten sieht normal aus. Klickt man auf einen Artikel, heißt es aber: „Wenn Sie diesen Inhalt vollständig lesen möchten, benötigen Sie einen kostenpflichtigen Zugang zu unseren Webseiten.“ Faktisch kommt seit Ende Januar auch noch die Rhein-Zeitung hinzu. Die hat Ende Januar ihr Verbrauchs-abhängiges Modell abgeschafft und eine harte Bezahlschranke eingeführt, die bei fast jedem Artikel aufploppt. Nur Meldungen von Nachrichtenagenturen mit wenigen Sätzen Länge sind frei verfügbar.

Eine Paywall, die keine ist
Erst in den letzten Wochen hat das BDZV die Trilogie noch um eine weitere Option erweitert. Die hat allerdings nur genau einen Vertreter: die taz. Schon länger erscheint vor Online-Artikeln die Frage, ob man spenden will. Egal, ob man dann zahlt oder nicht, mit einem Klick weiter kommt man auf den Text. Anfang März hat die tageszeitung nachgelegt und auf ihrer Print-Titelseite die Leser und sonstige Fans aufgefordert, nachzulegen. Aus den bis dato knapp 2 Tausend freiwilligen Abonnenten sollen 20 Tausend werden, die monatlich 5 Euro für den Onlinejournalismus der taz zahlen. Aktuell sind es etwas mehr als 2.400 freiwillige Online-Abonnenten.

Eine Zeitung nach der anderen macht mit
Die Welt war im Dezember 2012 die erste überregionale Zeitung mit einer Paywall. Im Juni 2013 kam die Bild-Zeitung hinzu, im Juli 2014 das Handelsblatt, im Januar 2015 das Neue Deutschland. Zuvor eingeführt hatten die meisten schon zahlungspflichtige ePaper.

Bei einigen Zeitungen sind schon Zahlen bekannt: die regional erscheinende Rhein-Zeitung schreibt in einer ersten Bestandsaufnahme, dass die Zahl der Seitenaufrufe natürlich erwartungsgemäß zurückging. Dass im Februar etwa 400 der neu eingeführten Einzelpässe für Artikel verkauft wurden, werten sie aber vorsichtig als Erfolg am Anfang eines neu eingeschlagenen Weges. Der Südkurier spricht im Januar 2015 von mehr als 10.000 Digital-Abonnenten im Rahmen seines Freemium-Modells SK plus.

Sehr zufrieden können sich die beiden Springerblätter Welt und Bild geben. Sie liefern ihre Verkaufszahlen bisher als einzige der 105 Zeitungen an die für Auflagen-Ermittlung zuständige IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern). Die hatte im Frühjahr des letzten Jahres ein Meldeverfahren für Paid Content eingeführt. Die Bild hat mit Stand Februar 2015 knapp 260 Tausend Bezahlnutzer, wobei sich etwa 200 Tausend für ein Angebot von monatlich 9,99 Euro entschieden haben. Eine große Rolle dürfte auch spielen, dass Bezahlabonnennten Zugriff auf eine ausführliche Bundesliga-Berichterstattung haben. Die Welt weist etwa 60 Tausend Bezahlnutzer aus, 36 Tausend von ihnen mit einem Tarif von monatlich 12,99 Euro.

Süddeutsche: Ziel sind 200 Tausend Abonennten
50 Tausend Digitalabonennten bis Ende 2015 hat der SZ-Geschäftsführer Detlef Haaks vor dem Start der Paywall in einem Interview als Ziel ausgegeben. Und langfristig sollen es 200 Tausend zahlende Onlineleser werden. Das wären, rechnet man ein behutsames Absinken der Print-Abozahlen ein, irgendwann halb so viele, wie es klassische SZ-Zeitungsabonnenten gibt. Ein ambitioniertes Ziel für den Nachzügler und Paid-Content-Vertreter No. 105.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: Dynamik am Markt

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