22.09.2015

„Es fühlt sich super an, 24 Stunden am Tag zu senden“

In der deutschen Medienlandschaft ist Rocket Beans TV eine Ausnahmeerscheinung. 40 Mitarbeiter produzieren in Hamburg-Eimsbüttel einen deutschsprachigen Livestream-Kanal, der seit Jahresbeginn rund um die Uhr zu Themen wie Games, Kino und Fußball sendet. Auf Twitch hat Rocket Beans TV mehr als 200.000 Follower, im Juni wurde der Kanal mit dem Deutschen Webvideopreis ausgezeichnet. Geschäftsführer Arno Heinisch und Senior Producer Michael Petrescu sprechen mit torial über Entstehung und Arbeitsweise von Rocket Beans TV.

Michael Petrescu

Michael Petrescu

Arno Heinisch

Arno Heinisch

Eines eurer Youtube-Videos wurde letzte Woche zum viralen Hit. Darin interviewt eine eurer Redakteurinnen den Fußball-Weltmeister André Schürrle, denkt aber, es handele sich um einen eSportler. Überrascht vom Erfolg?

Heinisch: Dass das Interview so einschlägt, konnte keiner von uns ahnen. Einen viralen Erfolg kann man nicht am Reißbrett planen, aber wir freuen uns natürlich riesig über das mediale Echo.

Bis Ende 2014 habt ihr für MTV die Computerspielsendung „Game One“ produziert. Wie kam es zum Wechsel vom Fernsehen ins Internet?

Heinisch: Im Dezember zog die Viacom-Gruppe bei Game One den Stecker. Wir standen dann vor der Entscheidung, ob wir wirklich einen eigenen Sender wagen sollen – und wir haben uns dafür entschieden. Ein anderes, rein pragmatisch denkendes Unternehmen hätte wohl gesagt: Ok, von den 25 Mitarbeitern müssen jetzt leider zehn gehen, wir besetzen die Stellen mit Leuten, die genau zum neuen Anforderungsprofil passen. Wir haben gesagt: Wir machen mit euch allen diesen Sender! Und das, obwohl keiner unserer 25 Mitarbeiter – inklusive mir – Erfahrung damit hatte.

Wie war der Übergang?

Heinisch: Natürlich gab es anfangs Schwierigkeiten, was aber nicht schlimm ist. Wenn wir einen Fehler machen und beim zweiten Mal nicht mehr, bindet das die Zuschauer noch stärker an uns. Sie sehen einfach, wie dieses Projekt organisch wächst und von Tag zu Tag besser wird, sowohl bei den Produktionsabläufen wie auch beim Programm. Es fühlt sich super an, 24 Stunden am Tag zu senden, und es war genau die richtige Entscheidung. Seit Mitte September haben wir auch die offizielle Sendelizenz. Allerdings ist es nicht ganz einfach, 24 Stunden und sieben Tage die Woche zu bestücken, das merkt man dem Sender manchmal auch an. Wir versuchen aber, unser Angebot kontinuierlich zu verbessern. Seit Januar haben wir auch 15 neue Mitarbeiter eingestellt.

Wie sind die Aufgaben bei Rocket Beans TV verteilt?

Petrescu: Die meisten unserer rund 40 Mitarbeiter besetzen neben der Redaktion die Produktionsabteilung, die sich um Dispositionen, Budgets und Organisatorisches kümmert. Neben unserem Geschäftsführer Arno sind unsere vier Hauptmoderatoren Nils, Simon, Etienne und Budi ebenfalls Gesellschafter. Unsere Redaktion konnten wir wie gesagt komplett aus der MTV-Ära übernehmen, sie musste sich aber auf neue Arbeitsbedingungen einstellen. Damals lieferten die Redakteure jede Woche kurze Beiträge ab, jetzt übernehmen sie teils selbst die Moderation und arbeiten an sehr langen Live-Strecken. Darüber hinaus gibt es noch die Grafik, Mitarbeiter in PR und Marketing und die Sales-Abteilung, die wir gerade inhouse aufbauen. Und natürlich die Leute von der ausführenden Technik, die sich um vorproduzierte Beiträge und um die Live-Strecken kümmern.

Die Moderatoren Nils Bomhoff, Etienne Gardé, Daniel Budiman und Simon Krätschmer (v.l.)

Die Moderatoren Nils Bomhoff, Etienne Gardé, Daniel Budiman und Simon Krätschmer (v.l.)

Heinisch: Rocket Beans TV bildet auch aus, sowohl redaktionell als auch in der Regie. Im Moment haben wir zwei Azubis und zwei Volontäre.

Wie finanziert ihr euch?

Heinisch: Wir haben sieben Monetarisierungssäulen. Keine dieser Säulen würde den Sender allein tragen – die 40 festangestellten Mitarbeiter sind schon von den Lohnkosten her ein riesiger Posten, das wird auch von Monat zu Monat mehr. Die erste Säule sind freiwillige Spenden. Die Zuschauer können uns unterstützen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie Content bekommen, der ihnen das auch wert ist. Wenn Zuschauer nichts spenden wollen oder können, dann freut es uns, wenn sie unser Angebot weiterempfehlen. Und wenn sie beim nächsten Amazon-Einkauf unseren Affiliate-Link nutzen, der sie keinen Cent mehr kostet, uns aber ein paar Prozent von Amazon bringt.
Eine weitere Säule ist die Werbung auf Twitch, von der wir einen Umsatzanteil erhalten. Twitch bietet zusätzlich eine Subscriber-Option, bei der man fünf Dollar im Monat zahlt und ein paar Zusatzfunktionen erhält, zum Beispiel im Chat. Auf Twitch haben wir mittlerweile über 200.000 Follower und eine ordentliche Zahl von Subscribern, die aber nicht öffentlich ist. Werbeeinnahmen erzielen wir auch über unsere Mediathek auf Youtube.

Wo kommt das Geld sonst noch her?

Heinisch: Wir haben einen Merchandise-Shop, in dem es Tassen, T-Shirts und viele andere Produkte gibt. Unsere siebte Monetarisierungssäule ist die eigene Vermarktung. Wie Michael bereits erwähnte, bauen wir seit Januar eine eigene Sales-Abteilung auf, in der inzwischen drei Leute arbeiten. Wir haben Deals mit Vodafone, Microsoft, Logitech oder auch Volvic. Da ist viel Potenzial für weitere Einnahmen, die wir dann wieder ins Wachstum des Senders stecken können. Zwei Dinge sind allerdings wichtig: Wir funktionieren über Glaubwürdigkeit und Transparenz. D.h. wir passen ganz genau auf, dass wir keinen Sell-Out betreiben und gehen nur Kooperationen ein, die inhaltlich und markentechnisch zu unserem Sender passen. Dabei bestehen wir immer auf unserer redaktionellen Freiheit.

Wie kennzeichnet ihr diese Inhalte?

Heinisch: Wir kennzeichnen grundsätzlich alle unsere Sendungen, die Branded Content enthalten. Wenn uns Logitech mit Gaming-Hardware unterstützt, dann blenden wir ein, dass es sich um Produktplatzierung handelt. So lange wir das transparent kommunizieren, nimmt es die Community auch gut an. Bei „Gadget Inspectors“, das von Vodafone unterstützt wird, testen wir Dinge wie Oculus Rift oder Google Glass. Wir haben da komplette redaktionelle Freiheit und sagen auch deutlich, wenn wir ein Gadget für untauglich halten. Unsere Community honoriert es sehr, dass wir nicht irgend etwas anpreisen, was wir nicht gut finden.

Wie sieht eure Zielgruppe aus?

Heinisch: 65 Prozent unserer Zuschauer sind zwischen 25 und 38 Jahren alt und überwiegend männlich. Viele stehen am Ende ihres Studiums oder schon mitten im Beruf, oft begleiten sie uns schon seit langem. Wir haben aber auch viele jüngere Zuschauer. Das merken wir auch während der Besucher-Slots – jeden Tag kommen zwischen zehn und 30 Besucher aus ganz Deutschland, die sich unser Studio in Hamburg anschauen wollen.

Die Fußballsendung „Bohn Jour“

Die Late-Night-Show „Bohn Jour“

Wie ist euer Programm strukturiert?

Heinisch: Pro Tag haben wir sechs bis zehn Stunden Live-Programm. Der Rest sind entweder Live-on-tape-Produktionen, die erstmalig ausgestrahlt werden, und natürlich auch Wiederholungen. Wir starten unser tägliches Live-Programm mit der Morning-Show „Moin Moin“. Anders als bei klassischen Fernsehsendern läuft die Morning-Show aber nicht zwischen 6 und 9 Uhr, sondern zwischen 10:30 und 11:15 Uhr. Über den Tag verteilt haben wir dann verschiedene Let’s-Play-Strecken oder Reruns. Abends folgt unsere Primetime-Programmierung. Am Montagabend haben wir unsere wöchentliche Live-Fußballshow „Bohndesliga“ und später noch eine Call-in-Sendung, am Dienstagabend die Talkshow „Almost Daily“, am Mittwochabend eines unserer Leuchtturm-Formate, die Late-Night-Show „Bohn Jour“, nach der noch Musiker oder DJs auftreten. Am Donnerstagabend gibt es unser Kino-Magazin „Kino+“, am Freitagabend laufen unterschiedliche Event-Programmierungen, z.B. das Rollenspielformat „Pen & Paper“ oder exklusive Events zu Spielneuerscheinungen wie „Call of Duty“ oder „FIFA 16“. Am Wochenende laufen voraufgezeichnete Erstaustrahlungen und Wiederholungen.

Wie stemmt ihr ein solch umfangreiches Programm?

Heinisch: Wir haben mittlerweile eine Hauptregie, eine zweite Regie und eine mobile Regie. Wir können also Live-Programm senden und parallel Inhalte produzieren, die beispielsweise am Wochenende ihre Erstausstrahlung haben. „Kino+“ ist auch eine Live-on-tape-Produktion, die wir vormittags aufzeichnen und abends ausstrahlen. Genauso läuft das auch bei „Almost Daily“, es sei denn, wir bringen ein Live-Special. Am 8. September ging es zum Beispiel um das Thema „Ängste und Depressionen“, wir hatten den Diplom-Psychologen Michael Thiel zu Gast und die Zuschauer konnten vorab Fragen per Twitter einreichen. Ich finde es großartig, wenn wir neben Gaming und Quatsch auch mal ernste Akzente setzen und schwere Themen bearbeiten.

Eure wichtigsten Plattformen sind Twitch und Youtube. Wie ergänzen sich die?

Petrescu: Der Content ist nahezu identisch. Auf Twitch geht es neben dem Live-Aspekt auch ums gemeinsame Erleben. Zuschauer tauschen sich live aus und beteiligen sich am Content. Youtube ist für uns wie eine Mediathek, wie ein Archiv, in dem jede Minute Content landet. So können Zuschauer alles nachholen, was sie möglicherweise auf Twitch versäumt haben. Für Youtube schneiden wir aber auch Highlights der Sendungen zusammen.

Wie kommuniziert ihr mit euren Zuschauern?

Petrescu: Wir haben schon allein deshalb viele Feedback-Kanäle, weil wir inzwischen auf vielen Plattformen unterwegs sind. Wir blenden gerne mal Zuschauer-Tweets ein und fahren auf Facebook diverse Aktionen, zum Beispiel Umfragen. Auch in unsere eigene App haben wir ein Abstimmungssystem integriert, mit dem die Zuschauer Einfluss auf unsere Inhalte nehmen können. Bei unserem Rollenspiel-Abend „Pen & Paper“ gibt es mehrere Weggabelungen, die Zuschauer können abstimmen, welchen Weg das Spiel nimmt. Daneben haben wir noch den Twitch-Chat, der schnell, unkontrolliert, subjektiv und oft auch ziemlich rauflustig ist. Mit Reddit haben wir aber auch eine Plattform, auf der die Zuschauer bestimmte Themen tiefer diskutieren und teils auch sehr lange Posts verfassen. Jeder dieser Feedback-Kanäle hat also seine ganz eigene Dynamik.

Der Rollenspiel-Abend "Pen & Paper"

Der Rollenspiel-Abend „Pen & Paper“

Ihr sendet aus drei nebeneinanderliegenden Häusern und da wiederum aus verschiedenen Zimmern. Das verbreitet WG-Atmosphäre…

Petrescu: Ich glaube schon, dass die Marke Rocket Beans über Transparenz und Nahbarkeit funktioniert. Darüber, dass man sich mit dem Zuschauer auf Augenhöhe trifft und keine Trennscheibe wie beim klassischen Fernsehen hat. Wir haben unsere drei Häuser im Vorfeld kräftig verkabelt, der Gedanke dabei war, dass wir sie wie eine Puppenstube öffnen. Weil hier so viel parallel läuft, passieren auch viele Dinge, die bei einem klassischen Sender vielleicht gar nicht passieren würden. Manchmal geht der Moderator einfach vom Talk-Studio in den Keller, wo gerade ein Let`s-Play-Video produziert wird. Da stellt er sich dann neben den Let`s-Play-Redakteur und gibt Tipps oder zieht ihn mit Kommentaren auf.

Zusammengefasst: Wo seht ihr die Hauptunterschiede zum klassischen Fernsehen?

Heinisch: Rocket Beans TV ist vom Aufbau wie ein klassischer linearer TV-Sender mit Vollprogramm und einer dazugehörigen Mediathek, aber es erinnert auch an einen Radiosender, der ja ebenfalls einen hohen Live- und Sprech-Anteil hat. Ein weiter er Unterschied ist: Wir arbeiten sehr transparent und interaktiv, versuchen alles Feedback aufzunehmen und mit der Community zu wachsen. Wir wollen uns mit jedem Tag verbessern, aber natürlich auch unsere Reichweite steigern.

Petrescu: Ein wichtiger Unterschied ist auch Fremd-Content. Game One haben wir damals ausschließlich selbst produziert. Dank Rocket Beans TV haben wir jetzt Sendefläche en masse – das gibt uns die Möglichkeit, auch Content von Leuten aus unserem Umfeld einzubinden, den wir schätzen und selbst schauen. Wir können diesen Partnern teilweise eine viel größere Reichweite bieten, sie erschließen durch uns neue Zuschauerschichten. Wir nutzen Fremd-Content bis jetzt vor allem in den Bereichen, in denen wir noch keine Spezialisten sind. Wir haben zum Beispiel ein Tabletop-Format und auch Kooperationen im eSports-Bereich.

Heinisch: Vielleicht haben wir ja sogar irgendwann die Mittel, gezielt Fremd-Content in Auftrag zu geben. Im Moment sind das alles noch Kooperationen aus unserem erweiterten Netzwerk.

Arno Heinisch ist Geschäftsführer von Rocket Beans Entertainment. Er arbeitet seit über 15 Jahren in der TV-Unterhaltungsbranche, u.a. für diverse Light-Entertainment-Formate für ProSieben und SAT.1 sowie als Chefredakteur und Mitglied der Geschäftsleitung bei Schwartzkopff-TV Productions. 2003 gründete Heinisch als Geschäftsführender Gesellschafter die Riesenbuhei Entertainment GmbH. Deren Formate wurden mehrfach für den Grimme-Preis nominiert, z. B. „Pimp My Fahrrad und die MTV-Sendung „Game One“. Im Oktober 2011 gründete Arno Heinisch zusammen mit mehreren Game-One-Moderatoren die Rocket Beans Entertainment GmbH, in der Riesenbuhei Entertainment Gesellschafter ist.
Michael Petrescu ist Senior Producer / Head of Programming als Projektleiter für Rocket Beans TV. Für Riesenbuhei Entertainment arbeitet der Bremer bereits seit 2008, u.a. als Producer von „Game One“.

0 Kommentare zu diesem Artikel


  1. Super Typen

  2. Ja, doch, wirklich super Typen. Ich glaube, die schaffen das! Ja, ich glaube an die – die schaffen das!

  3. Adam Smith bekräftigte einst die Selbstregulierung des Marktes und für Popkultur ist immer Platz. Durch die Interaktivität entsteht eine Fantreue wie zu Fußballclubs. Mark my words.

  4. Toller Artikel! Respekt an Arno und Michael sowie das ganze RBTV Team für die tolle Leistung bisher! Ich hoffe dass es noch lange weiter geht! Tschakka!

  5. Gunnar, Eigenlob stinkt 😉

  6. Interessantes Interview. Aus dem Experiment, das am 15. Januar begonnen hat, ist in Bestzeit ein richtig toller Websender geworden. Das interessante Programm nimmt täglich an der tollen Auswahl und Qualität zu.

    Inzwischen schränkt bei mir der Tagesplan meine Zeit etwas ein, aber ich habe meine wöchentlichen Formate, die ich immer wenn möglich direkt auf Twitch aber spätestens über Youtube verfolge.

    Wer den Sender oder die Sendungen der Rocketbeans GmbH noch nicht kennt, muss unbedingt mal reinschauen und kann Nerdfernsehen in Perfektion genießen, wie es sonst nirgendwo existiert.

  7. Eigentlich schmeiß ich ja den Laden alleine!

  8. Meeting um 21:30 Uhr. Anwesenheit ist verpflichtend, Etienne.

  9. wenn ihr jetzt hier euer slack machen wollt…ist ok, but I have to charge! 🙂

  10. Eigentlich ist das eher ein wirtschaftliches Porträt gewesen. Nur ganz kurze Fragen, keine Provokationen…

  11. Habt ihr einen 247 Sender?

  12. Jungs, jetzt reisst euch am Riemen!
    Lasst die anderen doch auch mal kommentieren 😉

  13. Wow! Schon beeindruckend, was aus dem Plan B für ein toller Plan A geworden ist :).
    Es ist ein unglaublich tolles Gefühl, zu erleben wie ein so unglaubliches Wagnis am Ende für alle gut aus geht.

    SofiaKatsTV … Äääh RBTV is the best 😉

    *Fernglas wieder raushol und Notizen über Bohnen mach*

  14. PegenGaming4K ohne 4K

    Toller Typ, dieser Gunnar!