14.02.2017

Willkommensjournalismus – wie Formate wie Marharba, NewsforRefugees und WDRforyou Geflüchteten das Ankommen erleichtern wollen

Constantin Schreiber machte den Anfang. Mit seiner Sendung Marhaba – Ankommen in Deutschland, startete der Auslandsjournalist auf n-tv die erste arabischsprachige Sendung im deutschen Fernsehen, die sich explizit an Geflüchtete wendete. In fünfminütigen untertitelten Beiträgen spricht Schreiber über Grundgesetz, Religionsfreiheit und die Rolle der Frau, aber auch weichere Themen wie zum Beispiel Essensgewohnheiten – unaufgeregt, sachlich, differenziert. Seitdem hat sich eine ganze Zahl von Angeboten entwickelt, die geflüchteten Menschen in ihrer Sprache hiesige Werte, Gewohnheiten und Institutionen erklären wollen. Der SWR startete im Oktober 2015 News for Refugees. Ein Angebot in Arabisch, Englisch, Dari und Deutsch, das auf Facebook bislang über 95.000 Menschen gefällt.

Der WDR lancierte im Januar 2016 WDRforyou – das aktuell wohl erfolgreichste Angebot seiner Art. Innerhalb eines knappen Jahres hat es das Nachfolgeformat des Migrationsmagazins Cosmo-TV mit seiner kleinen Redaktion auf über 200.000 Facebookfans gebracht und damit sowohl die traditionsreiche Lindenstraße, als auch den Muttersender ARD hinter sich gelassen. Zwar hat das viersprachige Onlineformat auch eine Website, aber die Konzentration auf Social-Media-Kanäle ist, wie beim Angebot des SWR, Teil des Programms. Schließlich zählen Smartphone und Facebook für Flüchtlinge zu den wichtigsten Informationsquellen. Für die Formate dient Facebook nicht nur als Verteiler, sondern auch als Feedbackkanal. „Wenn wir uns im Ton oder Thema vergriffen haben und nicht auf Augenhöhe kommunizieren, dann kriegen wir es um die Ohren gehauen“, erläutert Isabel Schayani, Redaktionsleiterin von WDRforyou. Wie beim Format des SWR haben viele Redakteure und Moderatoren selbst einen Migrationshintergrund. Aber eine Ansprache für eine so außergewöhnlich breite und heterogene Zielgruppe zu entwickeln, sei ein stetiger Lernprozess, „wenn wir hören, ihr seid von oben herab, dann überlegen wir sofort, wie können wir es anders machen“, so Schayani.

WDRforyou

Inhaltliche Schwerpunkte des Angebots sind einerseits harte Fakten zur rechtlichen Situation der Geflüchteten und andererseits die humorige Annäherung an deutsche Gepflogenheiten und kulturelle Unterschiede. Da geht es etwa um die möglichen Missverständnisse zwischen deutscher Direktheit und arabischer Höflichkeit, um die deutsche Vorliebe für Mineralwasser, Mülltrennung und Verkehrsampeln. Man könnte einwenden, dass auch viele deutschstämmige Verkehrsteilnehmer Fußgängerampeln eher als Empfehlung behandeln und auch Syrer oder Afghanen von diesem Konzept schon einmal gehört haben dürften. Jedoch gelingt es der Redaktion, an hiesige Gepflogenheiten überwiegend mit selbstironischem Abstand heranzuführen. Zu Hauswarten einer ominösen Leitkultur werden sie jedenfalls nie. Daneben gibt es kurze Beiträge zu Diskriminierung im Fitnessstudio oder Erfolgsgeschichten gelungener Integration. Die politische Situation in den Heimatländern der Flüchtlinge wird nicht behandelt. Weil das die Kapazitäten und den Auftrag der kleinen Redaktion übersteigt, aber auch, weil sonst Konflikte unter der breiten Zielgruppe vorprogrammiert wären, erläutert Schayani.

Der Bedarf nach Erklärungen ist hoch

Die Resonanz ist jedenfalls groß – besonders wenn es um rechtliche Fragen geht, etwa zum Bleiberecht, Wohnsitzauflage oder Novellen des Asylgesetzes. So kommt ein kurzer Stream zum subsidiären Schutz auf 175.000 Aufrufe, 4400 Likes und 1500 Kommentare. Interaktionsraten, von denen die allermeisten öffentlich-rechtlichen Formate nicht mal zu träumen wagen und ein Indiz dafür, dass der Bedarf nach Erklärungen hoch ist: „Wenn der Bundestag Asylpaket I oder Asylpaket II verabschiedet, die existenziell eine sechsstellige Zahl von Menschen betreffen, dann sind – jenseits der Beratungsstellen – wir diejenigen, die ihnen das erklären,“ konstatiert Isabel Schayani.

Formatlabor für mobilen Livejournalismus

Während WDRforyou anfangs noch stärker auf Texte setzte, hat sich das Angebot nun fast ausschließlich Richtung Video verschoben. Gerade der Anteil von Livestreams ist im Laufe des Jahres stark angestiegen. Das Spektrum reicht dabei von Kollegengesprächen im Redaktionsbüro über Expertenfragestunden im Livestream bis zu bilingualen Talkshows mit Simultanübersetzung, in denen sich Gesprächspartner in ihrer Muttersprache etwa darüber unterhalten, ob sich die Flucht gelohnt hat oder ob Geflüchtete Konflikte aus ihren Heimatländern mit nach Deutschland bringen. Damit ältere Inhalte nicht im Facebookstream untergehen, haben sie gerade einen Youtube-Kanal eröffnet. Im Messenger Telegram, der bei Iranern und Afghanen populär ist, sind sie schon länger vertreten. Early-Adopter Fleißkärtchen will sich das Team mit seinen medialen Experimenten nicht verdienen. Schayani und ihre Kollegen verfolgen vielmehr einen pragmatischen Ansatz: „Das Wichtigste für uns ist, dass die Inhalte auf der anderen Seite ankommen. Und wenn wir auf eine aktuelle Entwicklung reagieren wollen, streamen wir auch gern.“ Dass dabei nicht immer und auf Anhieb alles rund läuft, ist klar. Etwa wirken bei einer Talkshow nicht alle Simultanübersetzer gleichermaßen professionell, was das Zuhören erschwert. Durchgetaktete Perfektion wie beim Prime-Time-Talk am Sonntag darf man von der kleinen Redaktion mit ihrem begrenzten Budget kaum erwarten. Das ist für die User offenbar auch kein Muss. Für sie gehen Inhalte vor Hochglanzästhetik – wie die Redaktion auch im analogen Feedback feststellt. In der Vorweihnachtszeit hat das Team für einen alternativen Adventskalender jeden Tag andere Geflüchtete Zuhause besucht. Unter anderem Familie Jansen in der Eifel, die seit einem Jahr mit einer syrischen Familie zusammen lebt. „Die kannten jeden unserer Beiträge“, erzählt Schayani. „Und da freut man sich und denkt, du sendest nicht daneben.“

Kein mediales Ghetto

Ein „mediales Ghetto“ wollen sie nicht werden – das ist Isabel Schayani wichtig. Deshalb sind alle Beiträge entweder untertitelt oder bilingual. So werden die Flüchtlinge an die deutsche Sprache herangeführt und deutschsprachige User erreicht. Die ehemalige ARD-Korrespondentin arbeitet wie ihre Kollegen weiterhin für andere journalistische Formate. Eine mögliche Verengung des journalistischen Blicks  werde schon dadurch verhindert, dass WDRforyou Teil der Programmgruppe ist, der etwa auch der Brennpunkt und die Zulieferung zur Tagesschau angehören. „Wir sind keine Insel der Wohlmeinenden, sondern mittendrin in der WDR-Aktualität“, so Schayani.“

Die Zukunft der journalistischen Integrationsangebote ist allerdings noch offen. Denn je länger die Menschen hier sind, desto eher könnte auch die Anfangseuphorie der Intendanten erlahmen. Isabel Schayani ist optimistisch. „Ich denke, dass im Sender klar ist, dass wir gesellschaftlich eine konstruktive Rolle spielen und als kleines Labor zugleich intern für frischen Wind sorgen.“

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, Neue Formate

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  1. Hört sich richtig gut und sinnvoll an. Danke für die Information. Gruß


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  1. Interessante Links und Nachrichten 13.02.2017ff - Aleks Weltweit 19 02 17