10.12.2018

Netzwelt-Rückblick November: Manipulierte Videos, Social Scoring und eine umstrittene Online-Petition

Im November war eine Menge los im Netz: Dieses Mal geht es unter anderem um manipulierte Videos, Social Scoring (nicht nur in China), eine umstrittene Online-Petition, Deutschlands erstes Digitalministerium und ein lesenswertes „Rechtsfluencer“-Porträt.

Bayerns neue Digitalministerin Judith Gerlach

Bayerns neue Digitalministerin Judith Gerlach. Foto: bayern.de

Erstes eigenständiges Digitalministerium entsteht in Bayern

Digitalisierung wurde in der Politik bislang als Querschnittsaufgabe angesehen. Um so mehr Aufsehen erregte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), als er in seiner neuen Regierung ein selbständiges Digitalministerium schuf. Erste Digitalministerin wird Judith Gerlach (33), die bislang eher wenig mit digitalen Fragen zu tun hatte und das auch ganz offen einräumt: „Ja, Digitalisierung ist jetzt sicher nicht mein Spezialbereich, aber ein absolutes Zukunftsthema.“ Der Münchner Merkur stellt die neue Digitalministerin und ihr Verhältnis zu sozialen Medien vor.

Die zehn besten Politiker-Auftritte im Netz

Fürs Erste wird weiter Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt, das digitale Aushängeschild der CSU bleiben. Bär zählt für Wahlbeobachter Martin Fuchs zu den 10 Politiker*innen, von denen man was lernen kann. Fuchs hat sich für sein rein subjektives Ranking, in dem alle im Bundestag vertretenen Parteien (bis auf die AfD) auftauchen, vor allem die Social-Media-Aktivitäten der Politiker*innen angeschaut.

Umstrittene Anti-Migrationspakt-Online-Petition

Je näher der UN-Gipfel in Marrakesch rückte, desto lauter wurde die Berichterstattung über den Migrationspakt, der dort verabschiedet werden soll. Im Netz wird mitunter stark gegen den Pakt agitiert, vor allem von rechts. Die am häufigsten vorgebrachten Vorbehalte habe ich zusammen mit meiner Kollegin Patrizia Kramliczek in einem Faktencheck auf BR24 untersucht. Der Migrationspakt hat auch einen Netz-Aspekt: Es gibt auf der Seite des Bundestages eine Online-Petition, die zum Ziel hat, dass sich Deutschland dem Pakt nicht anschließt. Erst weigerte sich die Bundestagsverwaltung, die Petition online zu stellen. Schließlich wurde sie doch veröffentlicht, wegen einer „Vielzahl von unsachlichen, beleidigenden, agitatorischen“ oder sogar „strafrechtlich relevanten“ Beiträgen wurde das zugehörige Diskussionsforum aber geschlossen. Inzwischen haben mehr als 100.000 Menschen die Petition unterzeichnet, ab 50.000 Unterzeichnern werden die Petenten im Petitionsausschuss angehört.

Porträt eines rechten Meinungsführers

Einer, der sich ebenfalls darauf versteht, Menschen aus dem (äußersten) rechten politischen Spektrum zu mobilisieren, ist Henryk Stöckl. Der 24-jährige erreicht mit seinen Posts hunderttausende Menschen, zum Beispiel mit Livestreams von ausländerfeindlichen Demos in Chemnitz, Köthen oder Kandel. Karsten Schmehl hat sich für Buzzfeed lange mit Stöckl unterhalten und das viel beachtete Porträt „Der Rechtsfluencer“ geschrieben.

Manipulierte Videos 1: Das Weiße Haus und der Fall Jim Acosta

Videos wird nach wie vor eine hohe Beweiskraft zugemessen, noch mehr als Fotos. Doch wie Fotos können auch Videos manipuliert werden. So geschehen bei einem Video von der Pressekonferenz im Weißen Haus, bei der US-Präsident Donald Trump (übrigens ein Vorbild von Henryk Stöckl) dem CNN-Reporter Jim Acosta das Mikrofon entziehen ließ. Weil Acosta dabei die Praktikantin, die ihm das Mikrofon wegnahm, attackiert haben soll, entzog das Weiße Haus Acosta auch seine Akkreditierung. Als Beleg für diese Attacke veröffentlichte Trumps Pressesprecherin Sarah Sanders ein Video, das einen „Schlag“ Acostas auf den Arm der Praktikantin zeigen soll. Schnell wurde allerdings klar, dass das Video an einer Stelle manipuliert wurde. Es wurden an der Stelle, an der es zum Gerangel kommt, drei Frames herausgeschnitten, wodurch der Eindruck entstehen kann, Acostas Armbewegung sei ein Schlag. Der Independent hat das in einem sehenswerten Video sehr anschaulich analysiert.

Manipulierte Videos 2: Wie man Deep-Fakes erkennt

Videos kann man jedoch noch viel tiefgehender manipulieren. Etwa, indem man Gesichter vertauscht oder jemandem die Worte eines anderen in den Mund legt. Solche Manipulationen bezeichnet man als „Deep Fake“, wie man sie in einem Video erkennt, erklärt der Schweizer Journalist Konrad Weber in diesem Blogpost.

Anti-Fake-News-Gesetz in Frankreich

Frankreich bekämpft Fake News neuerdings mit einem Anti-Fake-News-Gesetz. Konkret werden Anbieter von Internet-Inhalten verpflichtet, ihre Identität offenzulegen. Drei Monate vor einer Wahl sollen sich Kandidaten gegen erfundene, gefälschte oder hetzerische Informationen zur Wehr zu setzen können – mit richterlicher Hilfe. Bei so einem Gesetz ist natürlich auch der Zensur-Vorwurf nicht weit, wie die FAZ berichtet.

Was die EU-Urheberrechtsreform für YouTube bedeutet

Wo wir schon in der EU sind: Die Urheberrechtsreform, über die ich im September berichtet habe, erregt weiterhin die Gemüter, speziell die Angst vor so genannten Upload-Filtern. Im Zentrum der Diskussion steht Video-Gigant YouTube. Dessen Chefin Susan Wojcicki hat mit einem Blogpost kürzlich Befürchtungen geweckt, die Plattform könne künftig nur noch Inhalte von wenigen großen Firmen akzeptieren. Warum das nicht zu befürchten ist, wo man als Nutzer aber trotzdem aufpassen muss, erklärt Friedhelm Geis in einer Analyse zur Urheberrechtsreform auf Golem.

Wenn das Leistungsschutzrecht kommt, könnte Google News Geschichte sein

Die YouTube-Mutter Google war im November auch wieder in den Schlagzeilen, dieses Mal mit dem Gedankenspiel, seinen Nachrichtenaggregator Google News europaweit abzuschalten, sollte die EU das Leistungsschutzrecht einführen (worum es auch im September-Rückblick ging). Eine richtige Drohung, wie viele Medien zugespitzt geschrieben haben, war das aber nicht, schreibt Martin Holland auf heise.de.

Freedom from Facebook – gefällt Facebook gar nicht

Facebook kommt 2018 kaum aus den Negativschlagzeilen heraus: Jüngstes Beispiel ist ein Enthüllungsartikel der New York Times über die Methoden des Konzerns, Kritiker wie die Initiative „Freedom from Facebook“ unglaubwürdig zu machen.  Simon Hurtz hat sich den NYT-Artikel für die SZ angeschaut und die wichtigsten Punkte zusammengefasst.

Nicht nur China scort seine Bürger

Daten über seine Bürger nicht nur zu erfassen, sondern auch zusammenzuführen, ist eine große Verlockung für Staaten. Über Social-Scoring-Projekte in China ist schon viel geschrieben worden, aber auch in Venzuela gibt es mit der so genannten „Vaterlandskarte“ ein ähnliches Projekt. Und auch hierzulande gibt es staatliche Überlegungen, Personendaten zu zentralisieren: Zum einen in einem digitalen Bürgerportal, zum anderen für Asylbewerber. Die Privatwirtschaft hat es ihren Kredit-Scoring-Systemen (die Schufa ist der bekannteste Anbieter) vorgemacht.  Sonja Peteranderl stellt diese – wenn auch unterschiedlich gelagerten – Überwachungs- und Scoring-Projekte in ihrem WIRED-Artikel vor.

Warum der Bitcoin-Kurs in den Keller geht

Was war das Anfangs des Jahres für ein Hype, als ein Bitcoin mehr als 10.000 US-Dollar wert war. Seit Jahresbeginn hat die bekannteste Krypto-Währung aber mehr als 70 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Auf sz.de nimmt sich Victor Gojdka in seinem Kommentar „Bitcoin ist klinisch tot“ drei zentrale Bitcoin-Versprechungen vor und erklärt, warum sie nicht eingelöst worden.

Byebye Cebit

Und auch meine letzte Linkempfehlung für heute handelt von einem Niedergang: Die deutsche IT-Messe Cebit ist von Knall auf Fall eingestellt worden. Die für Juni 2019 geplante Ausgabe findet nicht mehr statt. In den letzten Jahren waren sowohl Aussteller- als auch Besucherzahlen stark zurückgegangen. Heißt im Klartext: Die Cebit war nicht profitabel genug. Sascha Lobo macht sich in seinem Blog Gedanken darüber, warum in Deutschland eine Messe zu einem Zukunfstthema zusperrt, wo andere Messen zu ähnlichen Themen im Ausland durchaus erfolgreich sind.

Ok, da waren einige Negativnachrichten dabei (ich kann auch nix dafür…). Darum baue ich zum Schluss noch was Nettes und vor allem Konstruktives ein. Die Datenjournalismus-Freaks von Journocode haben wieder einen schönen Adventskalender gebaut: Jeden Tag gibt es ein kleines datenjournalistisches Zuckerl. Wohl bekomms!

Je näher das Jahresende rückt, desto inflationärer werden die Netzwelt-Ausblicke auf 2019 werden. Aber den ersten Social-Media-Ausblick mit Einschätzungen von Falk Hedemann, Tobias Gillen oder Jens Schröder kann man noch ganz gut lesen…

Danke für die Aufmerksamkeit in diesem Jahr und auf ein Neues in 2019!

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, NEU
  • Über Bernd Oswald

    Bernd Oswald, Jahrgang 1974, ist Autor und Trainer für digitalen Journalismus. Mich fasziniert es, wie die Digitalisierung (nicht nur) den Journalismus verändert: mehr Quellen, mehr Transparenz, mehr Interaktion, ganz neue Möglichkeiten des Geschichtenerzählens, vor allem visuell und mit Daten. Über diese Phänomene schreibe, blogge, twittere und lehre ich seit 2009.

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