01.03.2019

Netzwelt-Rückblick Februar: Reguliert Facebook, Streit um EU-Urheberrechtsreform, Wirbel um Framing-Gutachten der ARD

In der Februar-Ausgabe unseres Netzwelt-Rückblicks geht es um mehrere Ansätze, Facebook die Daumenschrauben anzulegen, den hitzigen Streit um die EU-Urheberrechtsreform, den Wirbel um das Framing-Gutachten der ARD und den Hype um die Kurzvideo-App Tik Tok. 

Fraunhofer-Institut veröffentlicht Fake-News-Erkennungssoftware

Mit einer neuen Software will das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE) Fake News zu Leibe rücken. Das Klassifikationstool des FKIE analysiert Texte einerseits nach sprachlichen Merkmalen wie Satzbau oder Wortwahl, andererseits nach Metadaten, denn gerade von Bots gesendete Nachrichten weisen oft Metadaten-Muster auf. Grundlage dafür, ob eine Nachricht als Fake News bewertet wird oder nicht, sind zwei Korpora genannte Töpfe, die die Nutzer der Software selbst füttern müssen: Im ersten Topf legt man Meldungen ab, die man als Fake News einschätzt, im zweiten Topf eine in etwa gleich große Menge von wahren Nachrichten zum gleichen Thema. Die Software gleich die Inhalte aus beiden Töpfen ab und lernt so daraus. Das Klassifikationstool ist als Frühwarnsystem gedacht und wird nach Angaben des FKIE in Unternehmen und Behörden eingesetzt.

Dem Kampf gegen Desinformation hat sich auch Suchmaschinen-Gigant Google verschrieben – behauptet der Konzern jedenfalls. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat Google das Whitepaper „How Google Fights Disinformation“ vorgestellt. Google spricht von drei zentralen Strategien im Kampf gegen Desinformation: 1. Informationen von hoher Qualität bevorzugt anzeigen (gerade in kritischen Situationen wie Breaking News), 2. „bösartige Akteure“ stoppen 3. den Nutzern mehr Kontextinformationen liefern. Außerdem fördere Google aktiv Qualitätsjournalismus, unterstütze Fakten-Checker und arbeite mit Wissenschaftlern zusammen, heißt es in der Zusammenfassung von Heise.

Britisches Parlament schießt sich auf Facebook ein

Auch das britische Parlament hat nach zweijähriger Arbeit einen Bericht zu „Disinformation and ‘fake news’“ (Link zum Originaldokument) vorgelegt, der im Wesentlichen ein Anti-Facebook-Bericht ist. Facebook hat nach Einschätzung des britischen Parlaments „vorsätzlich und wissentlich“ gegen Datenschutz- und Wettbewerbsrecht verstoßen. Zu dieser Einschätzung kommen die Parlamentarier wohl unter dem Eindruck des „Cambridge Analytica“-Datenskandals, bei dem der Entwickler einer Umfragen-App vor rund fünf Jahren Informationen von Dutzenden Millionen Facebook-Nutzern an die Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica weitergegeben hatte. Die Abgeordneten fordern, dass soziale Netzwerke sich nicht länger hinter der Behauptung verstecken dürften, nur eine „Plattform“ und nicht für deren Inhalte verantwortlich zu sein. Die Abgeordneten beschränken sich aber nicht auf eine Analyse des unbefriedigenden Status Quo, sondern machen insgesamt 51 Vorschläge, wie die Politik mit Tech-Konzernen umgehen sollte. Darunter ist die Forderung nach einem verbindlichen Verhaltenskodex, auf dessen Basis Technologieunternehmen gegen „schädliche und illegale Inhalte“ auf ihren Seiten vorgehen müssten. Eine unabhängige Regulierungsbehörde sollte dies überwachen und hohe Bußgelder verhängen, wenn Unternehmen sich nicht an den Ethikcode hielten. Die ausführlichste Zusammenfassung zu dem Bericht des Ausschusses für Digitales, Kultur, Medien und Sport hat die Welt.
Regulierung ist auch das, was Richard Gutjahr, einem der bekanntesten deutschen Netzjournalisten, vorschwebt. In seinem Rant „Regiert und reguliert endlich“ prangert er den Überwachungskapitalismus von Facebook (das Eisprung-Daten von Zyklus-Apps kauft) und Google (das in Geräte der Marke „Nest“ heimlich Mikrofone einbaut) an und fordert die Politiker auf, diese Konzerne zu regulieren:

„Stoppt die Steuerschlupflöcher innerhalb der EU und schafft Möglichkeiten, die Tech-Giganten mit Sammelklagen von Databreach- oder Hatespeech-Opfern zu überziehen, bis die Verantwortlichen in Menlo Park und Mountain View endlich gelernt haben, nicht mehr nur über Verantwortung zu reden, sondern diese auch zu praktizieren.“

Deutsche Behörden gehen gegen Facebook vor

Ein erster Schritt zu mehr Regulierung sind die Auflagen, die das Bundeskartellamt Facebook macht. Konkret ist die Zusammenführung von Nutzerdaten aus verschiedenen Quellen für Facebook nur noch dann möglich, wenn der Nutzer vorher zugestimmt hat. Dabei geht es zum einen um die Daten aus Apps, die zum Facebook-Konzern gehören, also etwa Instagram oder Whatsapp, zum anderen um Nutzerdaten, die beim besuch von Websiten oder Apps von Drittanbietern entstehen. Facebook darf diese Daten zwar weiter sammeln, aber eben nicht mehr ohne vorherige Zustimmung  dem entsprechenden Facebook-Nutzerkonto zuordnen. Wie das Kartellamt die Entscheidung konkret durchsetzen will, steht unter Punkt 10 der „Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes“ (pdf). Netzpolitik.org-Chefredakteur Markus Beckedahl begrüßt die Entscheidung des Bundeskartellamts zwar grundsätzlich, ihm geht sie aber nicht weit genug, wie er in seinem Kommentar schreibt:

„Besser wäre gewesen, das Kartellamt hätte die Zusammenführung von Daten komplett untersagt. Weil Nutzerinnen und Nutzer nie richtig gut im Bilde sind, was Facebook genau mit den Daten macht und welche Konsequenzen das hat.“

Auch aus Bayern bekommt Facebook Gegenwind, zumindest indirekt: Dem Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht (BayLDA) ist Facebooks „Custom-Audience“-Programm, das dafür da ist, Werbung möglichst genau auf bestimmte Zielgruppen zuschneiden zu können, ein Dorn im Auge. Genauer gesagt: Die Praxis von Unternehmen, ihre Kundendatenliste auf Facebook hochzuladen und das Custom-Audience-Programm so mit wertvollen Nutzerdaten zu füttern. Das BayLDA hatte einen Webshop dazu aufgefordert, seine Kundendatenliste auf Facebook zu löschen. Der weigerte sich – und unterlag vor Gericht, das urteilte: Wer Listen mit Kunden- oder Abonnentendaten bei Facebook hochlädt, um Menschen aus der eigenen Datenbank mit Werbung zu erreichen, braucht deren Einwilligung. Im Interview mit Netzpolitik.org erklärt Kristin Benedikt, Referatsleiterin beim BayLDA, die Hintergründe des Verfahrens, außerdem gibt es dort eine Anleitung, wie man herausfindet, welche Firmen die eigenen Kontaktdaten in eine „Custom Audience“ geladen haben.  

EU-Urheberrechtsreform erhitzt weiter die Gemüter

Ein netzpolitischer Dauerbrennner ist ja die EU-Urheberrechtsreform. Am 13. Februar einigten sich Rat, Kommission und Parlament der EU auf einen Kompromiss, der Betreiber von Internetplattformen verpflichtet, Inhalte vor der Veröffentlichung auf mögliche Rechtsverstöße zu prüfen, was in der Praxis nur mit so genannten Uploadfiltern zu bewerkstelligen sein dürfte. Auf Initiative von Deutschland und Frankreich wurden Plattformen ausgenommen, die jünger als drei Jahre sind, weniger als 10 Millionen Euro Umsatz machen und weniger als 5 Millionen Besucher pro Monat haben. Auch das Leistungsschutzrecht für Verlage ist weiter in dem Gesetzentwurf enthalten. Die EU-Kommission bezeichnete Gegner der Reform als „Mob“, was das Diskussionsklima nicht unbedingt entspannte, wie Simon Hurtz auf sueddeutsche.de schreibt. Netzpolitik hat eine gute Chronologie der Debatte und wer die letzten fünf Jahre auf dem Mond gelebt hat, der wird durch diesen sehr guten Hintergrundartikel von irights.info auf den Stand der Dinge gebracht.

Framing-Gutachten der ARD sorgt für Wirbel

Für viel Wirbel sorgte das Framing-Gutachten der ARD. Die ARD hatte bei der Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling ein Gutachten in Auftrag gegeben, wie man die Vorzüge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Erkenntnisse der Framing-Theorie kommunizieren kann. Beim Framing geht es darum, dass jede Wortwahl eines Kommunikators beim Zuhörer bestimmte Assoziationen oder Gefühle auslöst. „Staatsfunk“ ist ein negativer Deutungsrahmen, „öffentlich-rechtlicher Sender“ ein neutraler und „gemeinsamer, freier Rundfunk ARD“ eher ein positiver. Das bereits zwei Jahre alte Gutachten war eigentlich als „Denkanstoß und Diskussionsgrundlage“ für interne Zwecke gedacht, fand aber den Weg an die Öffentlichkeit. Offenbar ist das Gutachten aber schon mehr als das gewesen, weil sich einige Formulierungen daraus in der 2018er-Public-Value-Kampagne der ARD wiederfinden, wie Stefan Niggemeier nach gründlicher Lektüre des 89 Seiten umfassenden Gutachtens auf seinem Übermedien-Blog schreibt (allerdings auch, dass die ARD dieser Sichtweise widerspricht). Elisabeth Wehling hat auf Ihrer Website eine Klarstellung zur aktuellen Debatte veröffentlicht, in der sie erklärt, was genau ihr Auftrag war, nämlich

„die Kommunikation der öffentlich-rechtlichen ARD als Institution zu analysieren und auf Basis der wissenschaftlichen Erfahrung aufzuzeigen, welche Alternativen zu welchen Worten mit welchen Bedeutungsinhalten besetzt sind.“

Der Zeit gab Wehling ein Interview, in dem sie sich gegen den Vorwurf wehrt, „Gehirnwäsche“ betreiben zu wollen und klarstellt, dass Ihre Vorschläge nicht als Handlungsanweisung gedacht waren. (Transparenzhinweis: Ich arbeite als Freier Mitarbeiter für den Bayerischen Rundfunk, der zur ARD gehört.)

Tik-Tok-Video @alenaandrii

@alenaandrii hat auf Tik Tok ein schwungvolles Posaunen-Schranktür-Duett veröffentlicht. Im Socialmediawatchblog gibt’s das Video dazu (Link im Text oder auf das Bild klicken).

Tik-Tok-Hype kommt auch in Deutschland an

Bei Teenagern ist gerade die App Tik Tok total in, vor allem in Asien gehen die Nutzerzahlen durch die Decke (Eigentümer ist die chinesische Firma Bytedance), aber auch in Europa erfreut sich die Video-App zunehmender Beliebtheit. Weltweit sind es mehr als 500 Millionen monatlich aktive Nutzer, mehr als bei Snapchat oder Twitter. Besonders angesagt ist es, dort Musik zu machen – oder so zu tun.  Und das alles in 15 Sekunden. Der Social-Media-Watchblog hat einen ausführlichen FAQ-Artikel geschrieben, in dem er der App, das Potential attestiert, sich auch in Deutschland etablieren zu können. Schlagzeilen hat Tik Tok gerade auch damit gemacht, weil die App-Betreiber in den USA zu einer Geldstrafe von 5,7 Millionen Dollar verurteilt worden sind. Grund: Schon Kinder unter 13 Jahren nutzen die App und haben dazu persönliche Daten angegeben und Videos hochgeladen. Die App speicherte diese Daten ohne Erlaubnis der Eltern. Deswegen hat Tik Tok jetzt generell unter 13-jährige Nutzer ausgeschlossen.

Memes zur EU-Urheberrechtsreform

Zum Abschluss komme ich nochmal auf die EU-Urheberrechtsreform zurück, allerdings auf spaßige Art. Netzpolitik hat die Memes zu den Protesten gegen die Reform gesammelt. Im Zentrum stehen der CDU-Politiker Axel Voss, Berichterstatter des Europaparlaments bei der Urheberrechtsreform und der Artikel 13 (Uploadfilter-Gefahr), der zur Kreation einiger Songs geführt hat.

Das war’s für den Februar, wir lesen uns wieder im März.

 

 

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: Gesetze, Regeln, Urteile, JOURNALISMUS & NETZ, NEU
  • Über Bernd Oswald

    Bernd Oswald, Jahrgang 1974, ist Autor und Trainer für digitalen Journalismus. Mich fasziniert es, wie die Digitalisierung (nicht nur) den Journalismus verändert: mehr Quellen, mehr Transparenz, mehr Interaktion, ganz neue Möglichkeiten des Geschichtenerzählens, vor allem visuell und mit Daten. Über diese Phänomene schreibe, blogge, twittere und lehre ich seit 2009.

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  1. torial Blog | Netzwelt-Rückblick März: 30 Jahre WWW, Urheberrechtsreform ist durch, Mord live im Netz
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