09.04.2019

Netzwelt-Rückblick März: 30 Jahre WWW, Urheberrechtsreform ist durch, Mord live im Netz

In der März-Ausgabe des Netzwelt-Rückblicks geht es um 30 Jahre World Wide Web, die Verabschiedung der umstrittenen EU-Urheberrechtsreform, das Massaker von Christchurch und zwei ungewöhnliche Vorstöße von Facebook-Chef Mark Zuckerberg.

30 Jahre WWW: Kein Grund zum Feiern

Am 12. März ist unser geliebtes World Wide Web, kurz WWW, 30 Jahre alt geworden (Wohlgemerkt: das www ist 30 geworden, nicht das Internet…). Im März 1989 stellte der britische Physiker Tim Berners-Lee die erste Website online: info.cern.ch. Heute gibt es etwa 1,6 Milliarden Websiten und täglich werden es mehr.  Daniel Berger stellt auf Heise die Meilensteine der www-Entwicklung vor und spannt dabei auch den Bogen zur EU-Urheberrechtsreform (um die es hier auch gleich gehen wird). t3n.de-Chefredakteur Stephan Dörner findet die www-Idee zwar toll, zählt aber zahlreiche Entwicklungen auf, die den offenen Charakter des Webs untergraben und kommt daher zu dem traurigen Schluss: 30 Jahre WWW: Leider kein Grund zum Feiern.

Mark Zuckerberg, der neue Datenschutz-Prediger?

Wegen seiner Datensammelwut und den ständigen Datenschutzpannen bzw. Skandalen (zuletzt: FB speichert Passwörter im Klartext und FB macht Konten über Handynummer auffindbar) steht vor allem Facebook im Zentrum der Kritik. Im März sorgte Facebook-Chef mit zwei Initiativen für Aufsehen. Am 6. März veröffentlichte er auf dem firmeneigenen Blog seine Vision von einem sozialen Netzwerk, das die Privatspähre besser schützt, z.B. durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung oder sichere Server-Standorte. Das Medienecho war aber eher verhalten, die New York Times vermisste in Zuckerbergs Post Aussagen auf drängende Fragen zum Thema Privatsphäre, vor allem auf die Frage, ob Facebook sein grundlegendes Geschäftsmodell ändern wird, das darauf beruht, die unzähligen detaillierten Nutzerdaten an Werbetreibende weiterzugeben, damit diese möglichst zielgruppengenaue (Facebook)-Werbung schalten können?
Am 30. März legte Zuckerberg dann vier Ideen, um das Internet zu regulieren nach:

  1. eine übergeordnete Einrichtung, die über den Umgang mit schädlichen Inhalten (z.B. Terror-Propaganda oder Hate-Speech) entscheidet
  2. Gesetze für den Schutz von Wahlen, speziell darüber, wer Anzeigen schalten darf
  3. eine einheitliche internationale Datenschutzgesetzgebung
  4. Portabilität von Daten zwischen Netzwerken

Simon Hurtz stellt die vier Vorschläge auf sueddeutsche.de vor, erläutert den Kontext und analysiert sie. Sein Kollege Helmut Martin-Jung bewertet das Zuckerbergsche Vorschlagspaket in seiner Gesamtheit, fühlt sich aber eher an eine Märchenstunde erinnert.

EU-Parlament verabschiedet umstrittene Urheberrechtsreform

Teilnehmende an der Demonstatrion gegen die Urheberrechtsreform der Europäischen Union

Teilnehmende an der Demonstatrion gegen die Urheberrechtsreform der Europäischen Union. Foto:Dennis Deutschkämer unter einer CC-by/4.0-Lizenz

Das bestimmende Netzthema im März war die Verabschiedung der Urheberrechtsreform im Europäischen Parlament am 26.3. Selten war eine Richtlinie so umstritten wie diese, der Streit darüber zog sich Monate hin, wir haben auch an dieser Stelle regelmäßig darüber berichtet. Letzten Endes setzten sich die Befürworter der umstrittenen Reform durch – ungeachtet der massiven europaweiten Demonstrationen: Es wird also sowohl ein europaweites Leistungsschutzrecht (Artikel 15, ursprünglich Artikel 11) eingeführt, als auch die Haftungspflicht von Internet-Plattformen für die Inhalte, die Nutzer hochladen (Artikel 17, ursprünglich Artikel 13). Speziell die Haftungspflicht hat enorm stark polarisiert. Kritiker sagen, dass Internet-Plattformen diese Haftungspflicht nur mit Hilfe von Uploadfiltern umsetzen können, was wiederum zu einer Überwachungsstruktur im Internet führen könnte. Natürlich hat die Richtlinie auch Befürworter, vor allem aus der Verlagsbranche, aber auch der Deutsche Journalistenverband zählt dazu. Wer einen kompletten Überblick über die teilweise sehr verkürzt dargestellte Urheberrechtsreform bekommen will, der sollte die Artikel-für-Artikel-Analyse von Friedhelm Greis auf golem.de lesen.

Attentäter sollten nicht mit weltweiter Aufmerksamkeit belohnt werden

Weltweit in den Schlagzeilen war im März der Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch, wo ein rechtsextremer Australier in einer Moschee 50 Menschen erschoss und sein Attentat live auf Facebook streamte. Facebook brauchte einige Zeit, um das Video zu löschen, da hatten es aber andere Nutzer schon kopiert und an anderer Stelle im Netz hochgeladen. Tomas Rudl erklärt in seinem lesenswerten Essay auf Netzpolitik, warum es keine technische Lösung für rechten Terrorismus gibt.  Täter wie der in Christchurch streben maximale Aufmerksamkeit an, wie der Live-Stream zeigt. Die Wirkung solcher Gräueltaten kann vielleicht reduziert werden, wenn die Täter nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie wollen. Deswegen schlägt Dirk von Gehlen in seinen Digitalen Notizen einen „Ignorestorm gegen den Terror“ vor.

Amy Webb auf der SXSW: die Privatspähre ist tot

Im März steigt im texanischen Austin jedes Jahr das Kreativ-Festival South by Southwest (SXSW). Aus Netzsicht ist vor allem der „Interactive“-Track interessant. Dort stellte Zukunftsforscherin Amy Webb ihren Tech Trends Report 2019 vor. Auf der Website ihres The Future Today Institute hat sie den kompletten 381 Seiten langen Bericht (tl;dr…) zum Download veröffentlicht. Wer sich nicht durcharbeiten kann: Webb sieht die Privatspähre vor dem Aus. Beispiele sind automatische Gesichtserkennung, Sprachassistenten im eigenen Heim, das eigene Smartphone als ständig aktiver Sensor, Pulsmessungen durch Wearables – all diese Daten landen auf den Servern der Techkonzerne. Was sonst noch auf der SXSW besprochen wurde, fasst t3n zusammen.

Whistleblower dürfen sich direkt an die Öffentlichkeit wenden

Leaks wie der Cambridge-Analytica-Fall bei Facebook, die Lux-Leaks oder die Panama Papers sind ohne Whistleblower nicht möglich. Bislang gab es noch kaum Regelungen zum Whistleblower-Schutz in Europa. Am 12. März haben sich die Verhandlungsführer von Parlament, Ministerrat und Kommission der EU auf eine gemeinsame Whistleblower-Richtlinie verständigt. Kernpunkt ist, dass Whistleblower auch dann straffrei bleiben, wenn sie sich direkt an die Öffentlichkeit wenden – „wenn eine unmittelbare Gefahr für die Öffentlichkeit oder Vergeltungsmaßnahmen gegen die Hinweisgeber drohen.“ Einige Staaten, darunter auch Deutschland, hatten anfangs gefordert, dass Whistleblower die von ihnen beobachteten Missstände erst firmenintern melden müssen. Heise Online hat gute Artikel zur Einigung auf die Richtlinie, aber auch zur Vorgeschichte . Wie auch bei der Richtlinie zur Urheberrechtsreform haben die EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

Wie soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk künftig organisiert sein?

Vergangenes Jahr gab es in der Schweiz ein Volksbegehren, das die Abschaffung der Rundfunkgebühr forderte. Es scheiterte zwar deutlich, ist aber dennoch ein Beweis dafür, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter sehr großem Rechtfertigungsdruck steht, auch hierzulande. Vor diesem Hintergrund hat Konrad Weber, Digitalstratege beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) mit Unterstützung von zahlreichen Mitdenkern ein 15 Punkte umfassendes Manifest zur zukünftigen Gestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufgesetzt. Ich persönlich finde Punkt 5 am wichtigsten: „Wir als öffentlich-rechtliche Medien verstehen unser Angebot als Dienst an der Gesellschaft und unsere Produkte als Allgemeingut und erfüllen damit eine andere Aufgabe als private Verleger.“ Auch wenn Manifest ziemlich fundamental klingt, so ruft Konrad Weber auch explizit dazu auf, seine Vorschläge zu hinterfragen und zu diskutieren. Im Interview mit dem Medienpodcast „Unter Zwei“ erzählt Weber, wie die Entwicklung der 15 Punkte verlief, welche Mitstreiter es gab und welche Konflikte es zu überwinden gilt.

Tooltime!

Zum Abschluss habe ich noch sieben nützliche Tipps und zwei praktische Tools:

  • Der international renommierte niederländische Recherchetrainer Henk van Ess hat in einem Twitter-Thread sieben nützliche Tipps zur Suche mit Google aufgeschrieben
  • Das australische Online-Recherche-Netzwerk OSINT Combine hat auf seiner Website das so genannte „Facebook Intersect Search Tool“ veröffentlich. Das Tool ist als Matrix organisiert, bei dem man nach bestimmten Eigenschaften von Facebook-Profilen bzw. Seiten suchen kann, z.B. Personen, die eine bestimmte Seite liken oder Angestellte einer Firma, die eine bestimmte Schule besucht haben. Sehr praktisch, angesichts der sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Standard-Facebook-Suche.
  • Firefox Send ist ein kostenloser Filesharing-Dienst der Mozilla-Foundation, der es erlaubt Dateien bis zu 1 GB ganz ohne Anmeldung zu verschicken. Wer ein Firefox-Konto hat, kann bis zu 2,5 GB verschicken und auch länger zum Download bereitstellen.

Das war der Netzwelt-Rückblick für den März, bis zum nächsten Mal

Bernd Oswald

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, JOURNALISMUS & TECHNIK, NEU
  • Über Bernd Oswald

    Bernd Oswald, Jahrgang 1974, ist Autor und Trainer für digitalen Journalismus. Mich fasziniert es, wie die Digitalisierung (nicht nur) den Journalismus verändert: mehr Quellen, mehr Transparenz, mehr Interaktion, ganz neue Möglichkeiten des Geschichtenerzählens, vor allem visuell und mit Daten. Über diese Phänomene schreibe, blogge, twittere und lehre ich seit 2009.

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