09.03.2021

Journalismus & Netz | Februar: Platforms Down Under

Im Februar waren wir wieder für Euch auf Tauchfahrt im Netz unterwegs und haben die wichtigsten Diskussionen, Highlights, Entwicklungen und Erkenntnisse zusammengetragen.

Das Thema des Monats: Australien vs. Plattformen

Wenn sich am anderen Ende der Welt ein Tech-Konzern, ein paar Politikerïnnen und eine Handvoll Verlage um ein neues Mediengesetz streiten, dann interessiert das in Deutschland normalerweise niemanden. Im vergangenen Monat war das anders: Die wichtigste Geschichte aus Journalismus & Netz im Februar spielt Down Under.

Denn der Streit um das australische Mediengesetz ist nur geografisch weit von uns entfernt. Der grundlegende Konflikt geht weit über Australien hinaus. Er liefert einen Vorgeschmack, was weltweit passieren könnte, wenn Regierungen versuchen, Facebook und Google zu regulieren und die Medienbranche zu stützen. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass der australische Ansatz zum Exportschlager werden könnte. Über allem schwebt die Frage: Wie können die Macht und vor allem das Geld im Netz neu verteilt werden, sodass ein paar Krümel des gewaltigen Kuchens der Tech-Plattformen im Journalismus landen?

Um zu verstehen, was in Australien geschah und warum der Konflikt auch Menschen in Deutschland betrifft, muss man zurück ins vergangene Jahr blicken: Im April beginnt die Australian Competition and Consumer Commission (ACCC) im Auftrag der Regierung mit dem Entwurf des News Media and Digital Platforms Mandatory Bargaining Code. Das Gesetz hat drei wesentliche Bestandteile:

  1. Facebook und Google müssen Verlage dafür bezahlen, dass sie auf deren Inhalte verlinken. Später könnte das Gesetz auch für andere digitale Plattformen gelten, zunächst ist es auf diese beiden Konzerne beschränkt.
  2. Facebook und Google müssen mit den Verlagen über die Höhe der Vergütung verhandeln. Einigen sie sich nicht, startet ein Schiedsverfahren. Dabei legen beide Seiten einen Vorschlag vor, und ein Ombudsmann wählt eine der beiden Summen. Diese Entscheidung ist bindend.
  3. Facebook und Google müssen Verlage mindestens 28 Tage im Voraus informieren, wenn sie Änderungen an ihren Algorithmen vornehmen. Nur wenn ein „dringendes öffentliches Interesse“ besteht, dürfen sie diese Frist unterschreiten.

Die beiden Tech-Konzerne wehren sich monatelang erbittert. Google droht damit, sich ganz aus Australien zurückzuziehen. Facebook kündigt an, Nachrichteninhalte komplett von seiner Plattform zu verbannen. Doch der Widerstand ist zwecklos. Die Lobbyarbeit des australischen Nachrichtengiganten News Corp und dessen Eigentümers Rupert Murdoch erweist sich als mächtiger.

Das Gesetzgebungsverfahren schreitet unaufhaltsam voran. Mitte Februar geht der Media Bargaining House durchs Repräsentantenhaus – und binnen 24 Stunden überschlagen sich die Ereignisse. Erst schließt Google einen Multimillionen-Dollar-Deal mit den größten australischen Verlagen. Dann macht Facebook seine Drohung wahr und blockiert sämtliche Nachrichteninhalte.

Fünf Tage lang können Menschen in Australien auf Facebook nicht auf Medien verlinken. Australische Verlage können gar nicht mehr posten. Die Aufregung ist gewaltig, und das Chaos auch: Facebooks Machine-Learning-Systeme stellen erneut unter Beweis, dass KI Intelligenz nur im Namen trägt. Unter anderem wurden die Facebook-Seiten von mindestens drei Gesundheitsbehörden gesperrt, die Informationen zur Corona-Pandemie veröffentlichten. Auch Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs und lokale Feuerwehr-Seiten waren betroffen. Facebook blockierte zwischenzeitlich sogar seine eigene Seite. Nach dem Debakel um die neuen WhatsApp-Nutzungsbedingungen schießt sich Facebook das zweite üble PR-Eigentor des Jahres.

Schließlich lenkt Facebook ein – oder ist es vielmehr die australische Regierung, die Zugeständnisse macht? Genau wie Google schließt Facebook jedenfalls einen gesichtswahrenden Kompromiss mit den großen Verlagen. Dafür wird das Gesetz geändert: Google und Facebook können den Auflagen komplett entgehen, wenn sie „signifikant zur Nachhaltigkeit der australischen Medienbranche beitragen“ – also mehrere hundert Millionen Dollar zahlen.

Letztendlich sieht keine der drei Seiten besonders gut aus:

  • Australien hat versucht, Plattformen mit einem absurden Gesetz zu erpressen, das de facto Links bepreisen will und damit an den Grundprinzipien des freien Netzes rüttelt. Es ist ein Leistungsschutzrecht auf Steroiden, das Plattformen dafür verantwortlich macht, Verlagen ein funktionierendes Geschäftsmodell zu liefern.
  • Google hat als Erstes gezuckt, weil es abhängiger von Nachrichteninhalten ist als Facebook. Statt auf Prinzipien zu beharren, die es sonst immer hochhält, ist es den leichten Weg gegangen: Ein Problem ist kein echtes Problem, wenn man es mit Geld bewerfen kann und es dann verschwindet.
  • Facebook hatte weniger zu verlieren und den Aufstand gewagt – dabei allerdings jede Menge Fehler gemacht. Die Kommunikation war mies, und jede Menge Inhalte wurden zu Unrecht geblockt.

Im Ergebnis können vermutlich trotzdem alle gut damit leben. Australien kann sich feiern lassen, den Tech-Giganten Zugeständnisse abgerungen zu haben. Google und Facebook sind aus der Erpressung halbwegs glimpflich davongekommen. Statt für Links zu zahlen, schreiben sie die Regeln, nach denen sie Geld ausschütten, nun doch selbst. Und die Verlage freuen sich über 130 bis 160 Millionen Euro pro Jahr – in der Jahresbilanz von Google und Facebook fällt das kaum ins Gewicht, für die Medienbranche ist es eine gewaltige Summe.

Trotzdem bleibt der Prozess fragwürdig – und das Ergebnis ebenfalls: Produkte wie „Google News Showcase“ und Facebooks News-Tab sind keine langfristige Lösung. Denn die Plattformen entscheiden, mit wem sie verhandeln und wem sie Geld überweisen. Das rettet den Journalismus nicht – und es hilft auch den meisten Journalistïnnen kaum. Schließlich sind die Einnahmen nicht zweckgebunden. Die Verlage können das Geld investieren, wie sie wollen.

Im Fall von News Corp kommt es wohl eher Murdoch und Aktionärïnnen zugute, als wirklich in Journalismus zu fließen. Das zementiert die Dominanz des Medienmoguls. Zu seinem Imperium zählen widerliche Boulevardzeitungen und Fernsehsender wie Fox News, die mit Sicherheit genauso zur Verrohung des öffentlichen Diskurses beitragen wie Hass und Hetze auf Facebook.

Dennoch könnten andere Länder nachziehen. Kanada plant bereits ein ähnliches Gesetz. Microsoft und europäische Verlage fordern vergleichbare Verhandlungsmechanismen für Europa. Es ist der Versuch, Macht und Geld im Netz umzuverteilen, um Medienvielfalt zu gewährleisten und faire Verhandlungen zwischen Verlagen und Digitalkonzernen zu ermöglichen. Das ist ein wichtiges Ziel, doch der australische Weg führt in die Irre.

Klar ist, dass das Thema sobald nicht verschwinden wird. 2021 dürfte ein Jahr werden, in dem viel über das Verhältnis zwischen Silicon Valley und Medien gesprochen werden wird. Auch in Deutschland: Im Mai will Facebook auch hierzulande einen eigenen News-Tab auf Facebook geben. Das Programm gibt es bereits in den USA und Großbritannien, Australien kommt bald dazu.

Zu den teilnehmenden Medienpartnern zählen zum Start unter anderem Die Zeit, der Spiegel und die FAZ, regionale Zeitungen wie die Rheinische Post sowie Fachverlage wie Heise Medien. Insgesamt sind mehr als 100 Medienmarken mit dabei. Genau wie Google will Facebook in den kommenden drei Jahren eine Milliarde Dollar für journalistische Inhalte bereitstellen.

In der Vergangenheit hat Mark Zuckerberg jedoch allzu oft bewiesen, dass er kein inhaltliches Interesse an Journalismus hat und er Facebooks wirtschaftlichen Erfolg höher priorisiert als die Wünsche angeblicher Medien“partner“, die niemals auf Augenhöhe verhandeln.

Dass Verlage auch dann erfolgreich sein können, wenn sie sich unabhängig von den großen Plattform machen, zeigt das Beispiel der neuseeländischen Nachrichtenseite Stuff: Vor sieben Monaten hörte die Redaktion von einem auf den anderen Tag damit auf, Inhalte auf Facebook zu teilen. Der erwartete Einbruch des Traffics blieb aus: Die Reichweite der Seite ist genauso groß wie eh und je – und das Vertrauen der Leserïnnen ist gestiegen.

Medienpolitischer Rückblick

Presserat“ für YouTube

Mit Inkrafttreten des Medienstaatsvertrages, der den alten Rundfunkstaatsvertrag zwischen den Ländern ersetzt, müssen sich erstmals YouTuber mit ihren Inhalten auch vor den Landesmedienanstalten rechtfertigen, wenn sie journalistische Grundsätze nicht einhalten. Das fiel vor allem Rechtspopulisten und Verschwörungsmystikern auf die Füße, die – seit Corona noch mehr als vorher – Desinformationen ins Netz raunen. Hatte YouTube nur wenige Wochen zuvor bereits dem Verschwörungsmystiker Ken Jebsen und seinem Kanal KenFM den Stecker endgültig gezogen, bekamen nun auch der AfD-nahe „Deutschland-Kurier“ und andere Angebote Schreiben von Medienanstalten.

Dabei ging es ausdrücklich nicht darum, Inhalte zu sanktionieren, die einem politisch nicht passen, führt Tobias Schmid, der Chef der nordrhein-westfälischen Medienanstalt gegenüber dem Deutschlandfunk aus: „Dabei gucken wir nicht auf die Frage, ob uns der Inhalt gefällt oder nicht gefällt. Das ist ganz ausdrücklich nicht unsere Aufgabe, um nicht zu sagen, der Meinungsfreiheit verpflichtet, sondern wir gucken schwerpunktmäßig, ob es sozusagen handwerkliche Fehler gibt, Quellen nicht klar gekennzeichnet sind, ob Zitate nicht als solche gekennzeichnet sind, ob Recherchepflichten nicht erfüllt worden sind und ob dadurch möglicherweise ein Eindruck erzeugt wird, der in der öffentlichen Wahrnehmung manipulativ sein kann, ob absichtlich oder versehentlich.“

Habermas im Bundespräsidialamt

Das Schloss Bellevue umwehte am 1. März ein Hauch von Habermas, denn der Bundespräsident lud ein, um über den digitalen Strukurwandel der Öffentlichkeit mit seinen Gästen zu diskutieren. Armin Nassehi, Soziologie-Professor an der LMU in München, brachte es auf den Punkt, als er erklärte, dass die Digitalisierung die Art und Weise, wie wir kommunizieren so radikal verändert hat, wie zuletzt die Erfindung des Buchdrucks (immerhin auch schon über 550 Jahre her). Die Runde, inklusive der Digitalisierungskommissarin der EU Margrethe Vestager und Digitalisierungsexperte Ben Scott, diskutierte die Möglichkeiten der Regulierung durch die Europäische Kommission mit ihrem neuesten Vorhaben dem Digital Services Act, der vor allem Regeln für die Plattformen festsetzen soll.

Must Read

„Wie wohlhabend sind Sie?“ fragt ein sehr gelungenes datenjournalistisches Projekt von Zeit-Online. Mit Hilfe der Daten, die der Soziologe Olaf Groh-Samberg mit seinem Team für das Bundesarbeitsministerium erhoben hat, haben die Kollegïnnen von Zeit-Online ein interaktives Tool gebaut, mit dem sich jeder selbst zwischen „Armut“ und „Wohlhabenheit“ (Seit wann sagt man eigentlich nicht mehr „Reichtum“?) verorten kann. Dabei wird sehr anschaulich, was viele wahrscheinlich eh schon wussten: Wohlstand ist in Deutschland relativ zementiert, der Aufstieg von einer „Schicht“ in die nächste gelingt immer weniger Menschen. Besonders armutsgefährdet sind alleinerziehende Mütter und Menschen mit Migrationsgeschichte. Obwohl die Zahlen noch vor Corona erhoben wurden, sieht man, wie sich die Wahrscheinlichkeit, arm zu werden, sich für viele Menschen deutlich erhöht hat. Für den Online-Journalismus sollte dieses Projekt eine Erinnerung sein, dass digitales Erzählen eben mehr sein kann, als Pressemeldungen hochzuladen. Mit der Digitalisierung haben sich eben auch für den Journalismus grandiose Möglichkeiten ergeben, Wissen ganz anders aufzubereiten und verständlich zu machen. Bitte mehr davon!

Best of Mediatheken

Treffen sich fünf weiße Biodeutsche und reden über Rassismus: Was wie ein schlechter Einstieg zu einem noch schlechteren Witz klingt, ist leider im Jahr 2021 im WDR versendet worden. Micky Beisenherz, Thomas Gottschalk, Janine Kunze und Jürgen Milski sind zu Gast in dem von Stefan Hallaschka moderierten unwürdigen Fernsehschauspiel aka Stammtischtalk „Die letzte Instanz“. Bevor wir hier uns noch mal durch das unwürdige Gelaber (Warum darf man nicht mehr Zigeunersoße sagen?) arbeiten, soll es um die gelungene Antwort darauf gehen, nämlich um „Die beste Instanz“. Die deutsch-iranische Komikerin Enissa Amani verstand denn überhaupt keinen Spaß und setzte der letzten Instanz des WDR eine prompt eigens produzierte Talkrunde auf YouTube gegenüber, die mit Menschen diskutiert, die wirklich etwas vom Thema verstehen: Die Kommunikationssoziologin Dr. Natasha A. Kelly, Nava Zarabian von der Bildungsstätte Anne Frank, Gianni Jovanovic, der sich für die Rechte von Sinti- und Roma einsetzt, sowie die Journalisten und Autoren Mohamed Amjahid und Max Czollek.

Der Stammtisch des WDR und die spontane Gegenöffentlichkeit bei YouTube stehen dabei stellvertretend für mehrere Probleme, die man gutes Gewissens als „Krise medialer Repräsentation“ bezeichnen kann. Denn im öffentlichen Selbstgespräch der Gesellschaft, gehen gleich mehrere Sichtweisen viel zu oft unter, weil die Strukturen von Sendern und Redaktionen nicht die Realität unserer Gesellschaft widerspiegeln. Ob das Konzept „spontane Gegenöffentlichkeit auf YouTube“ sich nun zu jeder Maischberger- oder Willrunde verwirklichen lässt?

Social Listening

Der Lockdown geht in Monat fünf, die Menschen sind grummelig, die Nerven liegen blank und Jens Spahn hält seine Versprechen nicht ein. Wer sich gerade auf Social Media tummelt, ist vor allem Zeuge von Bernhard Pörksens Beschreibung unserer neuen schönen Öffentlichkeiten, die er in seinem gleichnamigen Buch „Die große Gereiztheit“ nennt. Endlich mal bei Instagram seinen Frust mittels Meme-Tirade in der Story ablassen oder ein paar entfernte Verwandte bei Facebook anblöken, weil die immer noch nicht verstanden haben, welche Regeln nun ab welcher Inzidenz gelten. Wer gesittet ist, tanzt wenigstens nur seine Aggressionen bei TikTok raus. Wir können als prophylaktische Maßnahme für den Rest der Pandemie eigentlich nur den „digital detox“ empfehlen. Gehen Sie doch stattdessen, mal wieder, – jetzt bitte keinen Shitstorm auf Twitter lostreten – Spazieren!

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