Journalismus & Netz | Januar: In da Club
Hallo zusammen! An dieser Stelle übernehmen Simon Hurtz und Alex Sängerlaub die Kolumne von Bernd Oswald und streifen für Euch durch das Netz auf der Suche nach den wichtigsten Erkenntnissen des Monats.
Das Thema des Monats: Clubhouse
Neues Jahr, neue Hypes: Erst ächzten die Signal-Server, weil sich Millionen Menschen registrierten, die vor WhatsApps neuen Nutzungsbedingungen flüchten wollten. Die Panik, die das Pop-up auslöste, war übertrieben – aber die Konsequenzen waren real.
Dann sprach plötzlich die ganze Welt über Clubhouse. Okay, halb Deutschland. Wobei: Wohl eher die halbe deutsche Medienwelt. Denn mehr als drei Viertel der Befragten haben noch nie von der App gehört, allen Datenschutzskandälchen, Sicherheitslücken, Candy-Crush-Possen und Berliner Clan-Talks zum Trotz.
Doch Blase hin oder her, ein Monatsrückblick „Journalismus & Netz“ kommt im Januar nicht ohne Clubhouse aus. Die App ist bereits jetzt ein Einhorn und hat das Potenzial, digitale Kommunikation langfristig zu verändern oder zumindest zu erweitern. Social Audio könnte eines der großen Themen 2021 werden. Facebook und Twitter experimentieren mit eigenen Apps und Audio-Tweets. Dutzende Unternehmen investieren gerade in diesem Bereich. Twitter testet mit Spaces bereits einen relativ schamlosen Clubhouse-Klon, der aber einen großen Vorteil hat: den Social Graph von Twitter. Und wer sich anschaut, was Facebook mit anderen erfolgreichen Formaten wie Snapchats Stories gemacht hat, wird wohl einige der begehrten Clubhouse-Einladungen darauf wetten, dass Facebook und Instagram schon daran arbeiten, die App zu kopieren.
Neben dem fragwürdigen Datenschutz hat Clubhouse eine ganze Reihe an Problemen. Die Entwicklung einer Android-App hat gerade erst begonnen; bis dahin bleibt die durch das Invite-System ohnehin künstlich verknappte Clubhouse-Welt Menschen vorbehalten, die sich ein iPhone leisten können. Zur Exklusivität kommt mangelnde Diversität. Der typische Nutzer ist ein weißer, mittelalter Mann aus Berlin-Mitte, der sich entweder in der Start-up-Szene herumtreibt oder irgendwas mit Medien macht – der Erkenntnisgewinn der Gespräche hält sich meist in Grenzen.
Der größte Investor pflegt einen befremdlichen Umgang mit Journalistïnnen und sperrt Medien aus. Clubhouse repliziert reale Machtstrukturen und hat es monatelang versäumt, Richtlinien für den Umgang mit Hass und Rassismus aufzustellen. Mittlerweile gibt es Community-Standards, doch Tonalität und Inhalte bleiben teils toxisch.
Content-Moderation betrifft nicht nur soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, sondern neben Clubhouse alle Plattformen, auf denen Menschen Inhalte teilen – also auch Plattformen wie Spotify und Substack. Und damit zur letzten großen Herausforderung, die das Social-Audio-Start-up Clubhouse und die Newsletter-Plattform Substack verbinden: Beide werden in den kommenden Jahren gemeinsam mit Facebook, Instagram, YouTube, Snapchat, Twitter, TikTok, Twitch und anderen Milliardenkonzernen um die kreativsten „Creators“ konkurrieren, wie die Unternehmen sie nennen.
All diese Plattformen leben von den Inhalten, die Nutzerïnnen erstellen. Deshalb zeichnet sich ein erbitterter Kampf um die größten Talente ab. Mit Exklusiv-Deals, Trinkgeld-Funktionen, Abo-Modellen und anderen Möglichkeiten der Monetarisierung sollen die Kreativen gebunden werden. Auch deshalb hat Twitter den Newsletter-Dienst Revue gekauft, soll Facebook ebenfalls in das Thema Newsletter investieren, schüttet Snapchat täglich eine Million Dollar aus und will Clubhouse bereits jetzt Modelle einführen, wie seine besten Moderatorïnnen Geld verdienen können.
Social Listening
„Eine kluge Frau hat mir auf @clubhouse_de gerade schlüssig den eigentlichen Fauxpas meiner Clubhaus Plauderei dargelegt und es hat mich überzeugt. Den Namen der Bundeskanzlerin zu verniedlichen war ein Akt männlicher Ignoranz. Dafür meine ehrliche Bitte um Entschuldigung.“ – Tweet von Bodo Ramelow am 24.01.2021.
Das größte Clubhouse-Ei hat sich sicherlich der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow gelegt, der frei von der Leber erzählte, dass er während der Bund-Länder-Treffen zu Corona gerne mal zwischendrin Candy Crush spiele. Obendrauf kam noch, dass er die Kanzlerin im gleichen Gespräch „Merkelchen“ nannte und fertig ist der perfekte Shitstorm. Immerhin: die passende Einsicht Ramelows, und so schließt sich der Kreis, erlangte er auch wieder bei Clubhouse.
Medienpolitik
EU-Kommission: Kommen strengere Regeln für digitale Dienste?
Die Europäische Kommission werkelt dieser Tage an den Feinheiten des „Digital Services Act“, die unter anderem den großen Social-Media-Plattformen bessere und verbindliche Richtlinien auferlegt. Damit wird dann auch die nun mittlerweile fast schon altertümlich anmutende „Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“ aus der Prä-Facebook-Ära, dem Jahr 2000, abgelöst. Was alles regulatorisch auf der Strecke geblieben ist, ahnt, wer sich den Diskussionen um die Löschung von Donald Trumps Accounts auf Twitter und Facebook nach der Capitol-Stürmung widmete: Wer ist zuständig zu entscheiden, wer und was wann gelöscht wird? Die Plattformen? Die Politik? Felix Karrte hat für den Tagesspiegel aufgeschrieben, was der DSA eben schafft, nämlich Desinformationen und Hetze das Geschäftsmodell zu entziehen.
Urheberrecht around the world: Google droht Suchmaschine in Australien abzuschalten
Streit um die Rechte an Inhalten im Netz gibt es nicht nur bei uns: Auch am anderen Ende der Welt wird erbittert ums Urheberrecht gerungen. Nun droht Google der australischen Regulierung damit, seine Suchmaschine ganz vom Netz zu nehmen, sollte das Gesetz so kommen, wie es vorgesehen ist. Googles Drohung erscheint nicht unberechtigt, sieht das Gesetz doch vor, schon beim Verbreiten von Links (ganz ohne Artikelvorschau) Gebühren an die Verlage zahlen zu müssen. Auch am hiesigen Entwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der 2019 von der EU-Kommission beschlossenen Urheberrechtsrichtlinie, die nun in nationales Gesetz gegossen werden muss, hagelt es Kritik von allen Seiten.
Must read
Audrey Tang über den richtigen Umgang mit Corona
„Wir handeln nach drei Prinzipien: fast, fair and fun – schnell, fair und unterhaltsam“, sagt die taiwanesische Digitalministerin Audrey Tang auf die Frage hin, was die taiwanesische Coronastrategie ausmache, im Interview mit The New Institute (abgedruckt von der Augsburger Allgemeine). Und bei „fun“ hat Taiwan ordentlich was in petto, denn Corona-Desinformationen werden von der Regierung von einem kleinen roten, humorigen Hund (Shiba Inu) abgeräumt, der Fakten und Regeln im Umgang mit dem Virus für Soziale Netzwerke erklärt. Der wird auch gleich viel öfter geklickt und geteilt als jeder Verschwörungsmythos, sagt Tang. Was es bedeutet, eine durch und durch digitale Visionärin im Amt einer „Digitalministerin“ zu haben, belegt das Interview: Open Source als Gemeinwohl, Breitband als Menschenrecht, Demokratie als Technologie – Gedanken, die man von Dorothee Bär auch gerne mal gehört hätte.
Lügen haben Trump’sche Beine
Bislang haben nur wenige Medien aufgearbeitet, was sie selbst bei der Berichterstattung über Trump falsch gemacht haben. Dafür hat die Washington Post penibel die Lügen des US-Präsidenten mitgezählt. Das Ergebnis: 30.753 Lügen in vier Amtsjahren, davon knapp die Hälfte allein in 2020. Wie viel das penible Auflisten gebracht hat? Schwer zu sagen. Vielleicht lässt sich das Fazit gut in einen Satz des ZEIT-Autoren Tobias Haferkorn gießen: „Eine Kultur, die sich vor allem auf die Entlarvung des Falschen konzentriert, bringt deshalb nicht schon etwas Richtiges hervor.“
Mediatheken-Empfehlung des Monats
Years & Years: Schöne neue Welt?
Die britisch-amerikanische BBC-HBO-Produktion, mit Emma Thompson in der Rolle der populistischen Politikerin Vivi Rook, ist noch bis Mitte März in der ZDF Mediathek zu sehen. Die dystopische Kurzserie, die eine britische Familie in den Jahren 2019-2034 begleitet, erhält allerlei genial gemachte, viel zu reale politische Dystopien. Ob Transhumanität, Überwachungskapitalismus, Populismus & Medien oder die Flüchtlingskrise, schafft es die sehr dichte Serie viele Themen unserer Zeit mit Spannung herunterzubrechen auf den Alltag der Familie Lyons aus Manchester.