22.12.2011

Das externe Gedächtnis – Teil I

Instapaper und Co. – Fliegende Sekretäre für Hochgeschwindigkeitssurfer

Diese Situationen gehören mittlerweile zu den alltäglichen Standarderfahrungen von Journalisten. Digitale Recherchen sind praktizierter Wahnsinn. Man ertrinkt in der Unsumme von Inhalten. Suchanfragen, ungezählte Seiten in wirren Ergebnislisten und auf den interessantesten Seiten wieder weitere lesenswerte Links.

In Hochgeschwindigkeit muss man durch Linkfluten surfen, streift hier und da vielversprechende Artikel. Hat aber kaum Zeit, sie näher zu betrachten. Und spätestens beim parallelen Durchklicken der Newsstreams von Facebook, Twitter oder Google Plus wird dann aus der täglichen Linkflut ein Tsunami.

Die Fülle des potentiell Interessanten ist kaum zu bändigen

Was tun? Wie umgehen mit der Unmenge an Links? Wie attraktive Inhalte schnell organisieren – gerade in der flüchtigen digitalen Welt? Oft sind Artikel, Nachrichten oder verlinkte Videos zwar spannend, passen aber nicht in die aktuelle Arbeitssituation, weil man gerade noch mit einer dringenderen Recherche beschäftigt ist, ein Lektorat fertig werden soll oder die Redaktionskonferenz in zwei Minuten beginnt.
Trotzdem möchte man die Chance haben, den Link später wieder aufzurufen. Möglichst komfortabel, vielleicht sogar offline in Zug oder U-Bahn sitztend. Und zwar am besten noch thematisch sortiert und mit einem knappen Kommentar versehen.

Klar, man könnte sich jetzt ein digitales Dokument anlegen und das Ganze copy-paste-mäßig in eine immer weiter wachsende Liste einfügen. Aber da kann man das Ganze auch gleich per Kugelschreiber auf einen Schmierzettel notieren oder einen Freund anrufen, mit der Bitte sich die URL zu merken, die man ihm vorliest.
Man könnte sich den Link auch in den Betreff einer Mail kopieren und dann an die eigene Adresse senden. Aber wer will schon freiwillig die tägliche Spamflut weiter verschärfen?

Instapaper archiviert Links per Klick

Netzdienste wie Instapaper versprechen Abhilfe. Instapaper will das Problem schnell und unkompliziert lösen. Und es gelingt. Instapaper ist ein Read-Later-Dienst. Ein unspektakuläres, aber ziemlich effektives Netzangebot, um Links klug und unaufwendig zu verwalten. Um Instapaper zu nutzen, muss man sich einmalig und kostenlos unter www.instapaper.com registrieren. Und sofort kann man den Read-Later-Button aktivieren. Das Instapaper Read-Later-Plug-In gibt es für die gängigen Browser und für den mobilen Alltag auch als App.

Von jetzt an kann der Hochgeschwindigkeitssurfer interessante Links mit einem Klick auf seinem Instapaper-Konto zwischenlagern, ohne das Konto dabei aufrufen zu müssen. Alles vollautomatisch. Und wer die App installiert, kann die geparkten Links auch unterwegs lesen. Und zwar komplett – auch offline. Denn die App sychronisiert sich automatisch.

Wer will, kann sein Instapaper-Konto noch weiter aufhübschen. Dazu empfiehlt sich beispielsweise das Anlegen unterschiedlicher Ordner, um die Links bestimmten Themen zuzuweisen. Wissenschaftsjournalisten können digitalen Fundsachen dann mit einem Klick in so sympathischen Ordnern wie Neurologie bei Ratten, Teilchenbeschleuniger und schwarze Löcher oder Sonnenstürme und ihre Folgen unterbringen. Für den digitalen Sportreporter empfehlen sich dagegen Folder mit Titeln wie Schwimm-WM und Anabolika, FIFA-Korruption oder Radsport und Doping. Aber das ist, selbstredend, Geschmacksache.

Für den kommunikativen Journalisten, der davon überzeugt ist, dass es sinnvoller ist, Recherche frühzeitig zu teilen und nicht ängstlich zu bunkern, bietet Instapaper übrigens auch die schnelle Sharingfunktion für Pattformen wie Facebook oder Twitter. Hier kann man dann schnell nach weiteren Tipps fragen, die zum verlinkten Artikel passen und die Recherche so um eine sozial-mediale Dimension erweitern.

Nur eins kann Instapaper nicht. Für den gestressten Autor entscheiden. Entscheiden, ob die 50, 100 oder 500 Links, die sich schnell anhäufen, wirklich wichtig sind. Oder ob man sie nicht doch am Ende alle auf einen Schlag löschen sollte, um wieder Platz zu bekommen für neue potentielle Geschichten. Auf dem Instapaper-Konto und im eigenen Gehirn.

Übrigens gibt es auch eine ganze Reihe Instapaper-Konkurrenten wie zum Beispiel Read-It-Later oder Readability. Aber auch die können einem die schwere Entscheidungen, wann man geparkte Links doch wieder löschen sollte und wann es sich lohnt, sie aufzubewahren, nicht abnehmen. Und lesen können sie die Artikel auch nicht für uns. Noch nicht jedenfalls.

Text: Markus Heidmeier

Bild: flickr/kirsanov

Das externe Gedächtnis I

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & TECHNIK, Organisieren & Archivieren, Suchen & Finden
  • Über Kooperative Berlin

    Die Kooperative Berlin ist ein Redaktionsbüro und Netzwerk für digitale Kulturproduktion. Unter anderem produziert die Kooperative Berlin den täglichen Netzreporter für Dradio Wissen und den wöchentlichen NetScout für Deutschlandradio Kultur, die Werkstatt - Digitale Bildung in der Praxis, das Montagsradio - Netzgespräche zur Zeitgeschichte u.v.a. Markus Heidmeier ist als Netzjournalist bei der Kooperative zuständig für digitale und zeitbasierte Medien, schreibt neben dem DRadio Wissen-Netzreporter unter anderem auch für ZEIT Online und gehört zum Redaktions- und Moderatorenteamteam von Breitband. Jochen Thermann ist als Autor und Dramaturg unter anderem für mehrere Theater, für DRadio Wissen und den Tagesspiegel tätig.

    Alle Beiträge von

Comments are closed.