26.01.2015

Kommentar: YouGeHa als publizistischer Ritterschlag für Youtuber

Videoblogger sind zu einer publizistischen Macht im Netz geworden. Als Kollegen ernstgenommen werden sie von Journalisten deswegen noch lange nicht. Bei Textbloggern war und ist das nicht anders. Die Aktion Youtuber gegen Hass (YouGeHa) hat gezeigt: Anerkennung hin oder her, viele Youtuber erkennen ihre publizistische Verantwortung und nehmen sie auch wahr.

Die ironische "Pegida-Hymne" des Youtubers SRSLY (Screenshot)

Die ironische „Pegida-Hymne“ des Youtubers SRSLY (Screenshot)

Irgendwann waren sie da. Sie tauchten auf aus den Ecken des Internet. Erst waren es hunderte, dann tausende Textblogs zu allen denkbaren Themen. Aus Massenmedien werden Medienmassen,  meinte der Netz-Philosoph Peter Glaser halb spöttisch, halb ernst. Für professionelle Journalisten war das nicht leicht. Sie haben Volontariate und Journalistenschulen absolviert, mit Blogs aber konnte jeder Schüler und jede Schülerin tendenziell das gleiche wie sie machen: sich mit  massenmedialen Mitteln an der öffentlichen Deutung und Vermittlung der Wirklichkeit beteiligen.

Blogger und der Journalismus
Die leidige Diskussion, ob Blogger nun Journalisten sind oder nicht, ist ein Untoter in der Debatte über das Netz. Zuletzt tauchte er bei der Frage auf, ob der Netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl Anrecht auf eine Presse-Akkreditierung im Deutschen Bundestag hat. Als wirklich gleichrangig werden sie bis heute nicht akzeptiert.

Folgerichtig tun sich Journalisten auch mit der Anerkennung von Videobloggern schwer. Geistern Youtuber durch die Kulturteile von Printmedien, dann meist als Teenager-Kuriositäten. Oder sie werden als unkritische Promo-Maschinen für die Makeup-, Technik- oder Onlinegame-Industrie belächelt. Meist aber tauchen sie auf dem Radar von Journalisten gar nicht auf. Bei Textblogs ließ sich noch leicht fragen, ob die denn wirklich nennenswerte Leserschaften erreichen. Bei Youtubern liegen die Zugriffsraten Beitrags-genau offen. Viele von ihnen kommen mit ihren Videos auf Klickzahlen, von denen die meisten Profijournalisten nur träumen können.

Die ganze Palette
Gronkh, der prominenteste unter ihnen, hat mehr als 3 Millionen Abonnenten angesammelt. Er testet und kommentiert in seinem Youtube-Kanal Computerspiele. LeFloid macht klassisches Infotainment, seine letzen fünf Beiträge wurden durchschnittlich jeweils 1 Million Mal angeklickt. Die Youtuberin daarum gibt Makeup- und Stylingtipps. Mr. Wissen2go erklärt auf hohem Niveau aktuelle politische Entwicklungen. Es gibt die ganze Palette: Anspruch und Nonsens, Aufklärung und Beauty-Themen.

Auch im professionellen Medienbetrieb bewegt sich bekanntermaßen nicht alles auf dem Niveau von FAZ und Arte. Die Leser und Zuschauer erwartet statt dessen auch Unterhaltung auf Trash-Niveau und immer wieder neue Körperoptimierungs-Tipps für Frauen und Männer. Niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, den Redakteuren des Frauenmagazins Brigitte oder des Fitnessmagazins Men’s Health den Journalisten-Status abzusprechen.

Gekauft oder ehrlich?
Und hier wie dort wird die Grenze zwischen Inhalten und Anzeigen immer mal wieder dreist überschritten. Der eine oder andere Youtuber lässt sich Beiträge von Onlinegame-Herstellern sponsern und kassiert frech für Product Placement. Allerdings lässt sich bei manchen kostenlosen, gedruckten Magazinen sogar das Titelblatt als Anzeige buchen. Und in einigen Print-Kaufmedien wird Artikelkauf schlicht euphemistisch „Produktionskostenzuschuss“ oder „Advertorial“ genannt und längst nicht immer entsprechend gekennzeichnet. Dass die Bereitschaft, Werbung und Inhalte zu vermischen, bei Youtubern ausgeprägter ist, ist noch nicht einmal gesagt. Auch das taugt also nicht als Kriterium, Videobloggern das Journalistische abzusprechen.

YouHeGa: wahrgenommene Verantwortung
Bleibt nur noch eines: das Rollenverständnis. Sind sich Youtuber ihrer publizistischen Verantwortung bewusst? Spätestens seit letzter Woche hat sich die Frage erledigt. Sie sind es. Am Montag begann die gemeinsame Aktion YouGeHa (Youtuber gegen Hass). Fünf Tage lang setzten sich Videoblogger auf ihren jeweiligen Kanälen kritisch mit Pegida auseinander. Mehr als 60 dokumentarische, satirische oder emotionale Videos sind allein in der offiziellen Gruppe zusammengekommen.

Die Berliner Youtube-Neustarterin Anna Molly ist mit einer Kamera durch den Berliner Bezirk Neukölln gezogen und hat Muslime zu Wort kommen lassen. Der Comedian SRSLY hat Pegida eine „offizielle“ Hip-Hop-Hymne gewidmet, hinter ihm Ausrisse aus der BILD-Zeitung. Und der Beitrag, in dem LeFloid Pegida mit „Panische Europäer gegen die Intellektualisierung des Abendlandes“ übersetzt hat, wurde knapp eine Million Mal geschaut, und 10 Tausend Kommentare setzen sich unterhalb des Videos damit auseinander. Kaum ein klassischer Journalist kommt mit seinen Äußerungen auf solche Resonanzraten. Mit „YouGeHa“ hat sich die Videoblogger-Gemeinde selbst einen Ritterschlag verpasst.

Schmerzhaft, aber wahr: Youtuber sind Journalisten
Gerade für ältere Journalisten wird es schwer bleiben, die junge Konkurrenz als annähernd gleichwertig zu akzeptieren. Das sind Leute, die halb so alt sind, nie auf einer Journalistenschule waren und doch ein kleines Massenmedium betreiben und von ihren Fans als glaubhaft empfunden werden. Die Verweigerungshaltung ändert aber nichts: auch Youtuber sind Journalisten. Sie beteiligen sich an der Deutung und Vermittlung der Realität. Sie tun das auf schlaue, manchmal auch dümmliche Art, sie sind ehrlich oder unehrlich, langweilig oder witzig – so wie ihre doppelt so alten Kollegen in professionellen Redaktionen eben auch.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, NEU

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