21.11.2017

Addendum arbeitet grundsätzliche Themen mit großem Besteck auf

Journalisten haben immer weniger Zeit für eine gründliche und umfassende Recherche. Diesen Trend gibt es nicht nur in Deutschland. In Österreich will die von Dietrich Mateschitz gegründete Plattform Addendum dieses Problem bekämpfen, indem es nur ein Thema pro Woche publiziert – das aber umfassend recherchiert ist. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Homepage von addendum.org - des österreichischen Portals für investigative Recherche

Homepage von addendum.org – des österreichischen Portals für investigative Recherche

Im April 2017 wurde bekannt, dass der österreichische Multimilliardär Dietrich Mateschitz die Medienplattform Addendum gegründet hat. Addendum ist lateinisch und bedeutet „das Hinzuzufügende“. Daraus hat die Redaktion den Untertitel „das, was fehlt“ gemacht. Ende September ist das erste Projekt erschienen, seitdem jede Woche ein weiteres. Inzwischen gibt es also genügend Material für eine erste Bewertung.

Der Anspruch
Addendum-Herausgeber Michael Fleischhacker sieht das Problem darin, dass die Informationen immer mehr werden, aber auch immer unvollständiger. „Das beunruhigt und irritiert die Medienkonsumenten. Sie haben den Eindruck, dass da etwas fehlt.“ An dieser Stelle will Addendum mit investigativem Journalismus ansetzen. Nur ein Thema pro Woche, das dafür aus vielen unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird. Jeden Tag erscheint ein neuer ausführlicher Artikel, manchmal sind es zwei. Addendum will durch seine groß angelegten Recherchen eine gemeinsame, solide Faktenbasis herstellen, die zu einer „qualifizierten, ruhig auch kontroversiellen politischen und gesellschaftlichen Debatte beitragen“ soll, so Fleischhacker.

Die Macher

Hinter Addendum steckt der österreichische Multimilliardär und RedBull-Erfinder Dietrich Mateschitz. Anfang 2017 hat der die gemeinnützige Quo Vadis Veritas-Privatstiftung gegründet, der die Quo Vadis Veritas Redaktions GmbH gehört, die wiederum Addendum betreibt. Mit dem Lateinischen haben sie es also in Salzburg: Quo vadis veritas bedeutet „wo gehst Du hin, Wahrheit?“. Als Quo Vadis Veritas (QVV) im April die Gründung von Addendum bekannt gab, gab es eines der seltenen öffentlichen Statements Mateschitz’, in dem er seine Motivation beschrieb: Addendum solle „dem Vertrauensverlust in Institutionen, Politik und Medien entgegenwirken, der nicht zuletzt auf einseitige und wegen Ressourcenmangel unvollständige Berichterstattung durch die ‘vierte Säule im Staat’ zurückzuführen ist.“

Mateschitz haftet der Ruf an, rechts der Mitte zu stehen. Über die österreichische Flüchtlingspolitik hat sich Mateschitz sehr kritisch geäußert. In der Tat war das Thema „Asyl – Ein Konzept von gestern?“ das erste Addendum-Thema. Dort stellt die Redaktion fest, dass es kein Asylrecht gibt, sondern nur das Recht, Asyl zu beantragen. Trotzdem verzichtet Addendum darauf, hier (populistische) Urteile zu fällen. Offizielle Aussagen, inwieweit Mateschitz Einfluss auf die Redaktion nimmt, sind nicht zu bekommen. Zwischen den Zeilen klingt es aber so, als mische er sich nicht ins Tagesgeschäft ein.

Die QVV versuchte in der Pressemitteilung zum Start gleich den Vorwurf auszuräumen, Addendum diene Mateschitz’ Geschäftsinteressen: „Agiert wird in dieser Organisation vollkommen unabhängig sowohl von Red Bull als auch von ServusTV“. Zum Fernsehsender ServusTV gibt es allerdings schon einige Verbindungen. Zum einen gibt es zu jedem Projekt  eine 45-minütige TV-Reportage, die ServusTV sendet. Zum anderen moderiert Addendum-Herausgeber und Chefredakteur Michael Fleischhacker auf dem Mateschitz-Sender die Sendung „Talk im Hangar-7“. Fleischhacker war früher Chefredakteur beim bürgerlich-konservativen Traditionsblatt „Die Presse“. Danach versuchte er in Österreich nzz.at, einen Online-Ableger der liberalen Neuen Zürcher Zeitung aus der Schweiz aufzubauen – allerdings erfolglos. Von allen drei Stationen hat er Kollegen zu Addendum mitgebracht.

Geschäftsführer von Addendum ist Niko Alm, bis vor kurzem Parlamentsabgeordneter der liberalen NEOS-Partei. Zuvor hatte Alm das amerikanische Lifestyle-Magazin Vice nach Österreich gebracht. Einige seiner damaligen Mitarbeiter haben jetzt auch bei Addendum angeheuert. Insgesamt stehen inzwischen 40 Mitarbeiter auf der Payroll. Allesamt aus dem Mateschitz-Säckel finanziert, denn Addendum verzichtet auf Werbung und Abonnement-Gebühren.

Die Themenauswahl

Auszug aus dem Bundesheer-Projekt. Insgesamt gab es 13 Teile.

Auszug aus dem Bundesheer-Projekt. Insgesamt gab es 13 Teile.

Die Addendum-Redaktion widmet sich sehr grundsätzlichen Fragen: Asyl, Terrorismus, Glücksspiel, Demokratie, Staat, Bundesheer, Platzverbrauch, Verantwortung, Justiz. Alles Themen, „die die Grundlage für den politischen Diskurs bilden“, wie es Geschäftsführer Alm formuliert. Und bei diesen Themen will die Addendum-Redaktion unter anderem durch Zahlen, Daten und Fakten den Tiefgang liefern, den andere Medien nicht leisten können. Die Redaktionsmitglieder schlagen in einem Exposé Themen vor, eine Konferenz befindet darüber, welches Thema wann mit welchen Aspekten umgesetzt wird. Wie viele das sind, schwankt zwischen sieben und 20. Beim Bundesheer ging es zum Beispiel um die österreichische Neutralität, die Kommandostruktur, die Aufgaben der Armee und wie sich verändern, die Frage Berufsheer oder Wehrpflichtigenarmee, die Strategie, den Streit um den Eurofighter und Auslandseinsätze. Hier bekommt man wirklich einen guten und detaillierten Einblick in den Zustand und die Herausforderungen der österreichischen Armee (gar nicht so viel anders als bei der Bundeswehr).

Bei einigen Themen, z.B. bei „Ist Demokratie wirklich so eine gute Idee?“ und „Wozu Staat?“ fällt auf, dass die Redaktion ihre umfangreiche Recherche oft aus einer staatskritischen Sicht heraus angeht und viele unbequeme Fragen stellt: Brauchen wir für eine Demokratie Wahlen? Ist Österreich noch ein Staat? Sind wir noch neutral? Eine Antwort auf diese Fragen liefert Addendum aber nicht, dafür jede Menge Fakten. Auf Basis dieser Fakten soll sich der Leser selbst ein Urteil dazu bilden. Insofern finden sich keine Ansatzpunkte dafür, in Addendum ein populistisches Projekt oder die Schaffung einer „Gegenöffentlichkeit“ zu sehen.

Die Machart
Addendum stellt drei Kriterien an jedes „Projekt“, wie die Themen hier heißen:

  1. das Thema wurde noch nie in dieser Vollständigkeit dargestellt
  2. es muss einen investigativen Mehrwert geben
  3. es muss einen visuellen Mehrwert geben.

Um diesen Anspruch befriedigen zu können, arbeitet ein interdisziplinäres Team an jedem Projekt. Dazu zählen:

  • investigativ arbeitende Journalisten. Das Team um Ressortleiter Rainer Fleckl bietet auch verschiedene Wege für eine vertrauliche Kontaktaufnahme an, u.a. über eine Seite zum anonymen Upload von Dokumenten. Besonders interessiert sich die Redaktion dabei für Korruption, Betrug, Geldwäscherei und Machtmissbrauch.
  • fachliche Experten, z.B. Juristen oder Ökonomen, die zum Teil angestellt sind, zum Teil als externe Experten an den Themen mitarbeiten.
  • das Datenteam, das sich um Datenvisualisierungen kümmert.
  • das Social-Media-Team
  • TV-Gestalter, die die ServusTV-Reportage zum wöchentlichen Addendum-Projekt schreiben

Allerdings ist Text die dominierende Darstellungsform. Andere Elemente wie Datenvisualisierungen, als Video mit Hintergrundmusik umgesetzte Zeitleisten, Auszüge aus Originaldokumenten, kurze Video-Interviews, Fotos oder Info-Kästen fließen als Auflockerung ein. Erklärende Grafiken würden zur Komplexität vieler Themen gut passen, haben aber (noch) Seltenheitswert. Der visuelle Mehrwert, der im Selbstverständnis so prominent propagiert wird, ist also nicht immer gegeben. Dennoch ist das Layout übersichtlich und auch mobil gut zu nutzen.

Originell ist die Idee, im so genannten Politometer das Abstimmungsverhalten jedes Nationalratsabgeordneten bei jeder Abstimmung zu dokumentieren. So etwas gab es in Österreich bisher nicht.

Vorbildlich ist auch die Transparenz. Die Redaktion zeigt Auszüge aus Originaldokumenten und gibt an, welche Bücher sie für die Recherche gelesen hat. Ab und zu gibt es auch einen Absatz namens „Das hat uns gefehlt“: Hier erklärt die Redaktion, an welchem Punkt sie mit der Recherche nicht weitergekommen ist, etwa beim Projekt Glücksspiel.

Fazit: Addendum analysiert Probleme gut, liefert aber keine Lösungen
Wenn man so will, kann man Addendum als journalistischen Luxus ansehen. Mehrere Wochen lang recherchieren um die zehn Leute ein Thema aus vielen verschiedenen Perspektiven. In diesem Stil können das die wenigsten Medien leisten, schon gar nicht in Österreich, wo im Vergleich zu Deutschland viel weniger investigativer Journalismus betrieben wird. Die Redaktion hält ihr Versprechen, Tiefgang und eine breitere Diskussionsgrundlage herzustellen. Manchmal durchaus provokant. Fragen, wie „Ist Österreich noch ein Staat?“ bieten Diskussionsstoff. Damit es zu der von Chefredakteur Fleischhacker gewünschten kontroversen Diskussion kommt, braucht es aber auch eine ausreichende Zahl an Diskutanten. Zu Nutzungszahlen hält sich die Redaktion leider bedeckt.

Wenn man so ausgiebig recherchiert wie Addendum, ist es verwunderlich, dass die Redaktion ganz viele Probleme benennt, aber so gut wie keine Lösungsvorschläge anbietet.  Das, was (Addendum) fehlt, ist ein konstruktiver, lösungsorientierter Journalismus. Gerade in Österreich. Und auch über Lösungsvorschläge kann man gut diskutieren.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, NEU, Neue Formate
  • Über Bernd Oswald

    Bernd Oswald, Jahrgang 1974, ist Autor und Trainer für digitalen Journalismus. Mich fasziniert es, wie die Digitalisierung (nicht nur) den Journalismus verändert: mehr Quellen, mehr Transparenz, mehr Interaktion, ganz neue Möglichkeiten des Geschichtenerzählens, vor allem visuell und mit Daten. Über diese Phänomene schreibe, blogge, twittere und lehre ich seit 2009.

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0 Kommentare zu diesem Artikel


  1. Einspruch: Es ist nicht die Aufgabe von Journalismus, Lösungen zu bieten. Dafür gibt es die Beraterbranche, deren Aufgabe es wiederum nicht ist, Journalismus zu betreiben.

    • das ist mir zu dogmatisch. Warum sollte Journalismus nicht auch Lösungen bieten können? Oder zumindest über Lösungsansätze berichten? Gerade dann, wenn man Themen so grundsätzlich recherchiert wie Addendum.

    • Es ist natürlich Aufgabe von Journalismus, über mögliche Lösungen zu informieren. Nur sollte er sie nicht propagieren.

  2. Zu unseren Gründen, warum wir keine Lösungen anbieten: wir wollen, dass sich die Leser/Seher/User aufgrund unserer Geschichten eine Meinung bilden, diskutieren und bestenfalls entsteht dann der klassische Wettbewerb um die besten Ideen durch alle Beteiligten: Parteien, NGO/NPOs, Kommentatoren in anderen Medien, jeder, der etwas dazu zu sagen hat.

  3. …da ja bei addendum alle Lateiner sind, sag ich mal dosis facet venenum – wenn man nur über Probleme berichtet und offensichtliche Lösungsansätze ausspart, bzw. nicht darüber berichtet, dass offensichtliche Lösungsansätze nicht verfolgt werden, so ist das durchaus eine potente Methode tendenziös zu berichten. Und andersherum genauso.

  4. Natürlich, darum haben wir zum Beispiel beim Thema Asyl verschiedenen Alternativansätze (rechtlich, ökonomisch, menschenrechtlich, praktisch) gebracht und tun dies auch bei allen Themen. Aber was wir nicht machen: wir sagen nicht „so müsste die Lösung sein“.
    Bsp: https://www.addendum.org/asyl/ (unten sind alle Elemente eines Projekts aufgeführt)


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