07.01.2020

Journalismus&Netz 12/20: Medienstaatsvertrag, Oma die Umweltsau, Desinformation

Warum es höchste Zeit für einen Medienstaatsvertrag wird, warum der WDR bei der Reaktion auf das „Oma, die alte Umweltsau“-Video keine gute Figur abgab und welche Mechanismen hinter vier prominenten Desinformationskampagnen stecken.

Medienstaatsvertrag ausgehandelt

Kaum zu glauben, aber wahr: Der aktuelle Rundfunkstaatsvertrag stammt aus dem Jahr 1991. Das www war da gerade mal zwei Jahre alt, soziale Netzwerke noch nicht mal am Horizont. Am 5. Dezember haben sich die Regierungschef*innen der Bundesländer auf den Entwurf eines Medienstaatsvertrags geeinigt, der den Rundfunkstaatsvertrag ersetzen soll. Der Entwurf regelt das Publizieren im digitalen Zeitalter. Drei Beispiele:

  1. Video-Streamer brauchen nun in der Regel keine Rundfunklizenz mehr.
  2. Journalistisch-redaktionelle Internetangebote, dazu können auch Blogs zählen, müssen künftig „anerkannten journalistischen Grundsätzen“ entsprechen.
  3. Plattformen wie Facebook und Google müssen transparent machen, nach welchen Kriterien sie Inhalte ausspielen.

Gute Zusammenfassungen zu den Inhalten des neuen Medienstaatsvertrages haben Netzpolitik und T3N. Wer einen Blick ins Original werfen möchte, kann das auf der Seite der rheinland-pfälzischen Regierung tun, Ministerpräsidentin Dreyer ist Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder. Weil Medienpolitik Ländersache ist, müssen noch die 16 Landtage zustimmen. In Kraft treten soll der neue Medienstaatsvertrag im Herbst 2020.

KEF schlägt Erhöhung des Rundfunkbeitrags vor

Auch im neuen Medienstaatsvertrag ist geregelt, dass die Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) eine Empfehlung abgibt, wie hoch der Rundfunkbeitrag sein soll. Im Dezember hat die KEF vorgeschlagen, den monatlichen Beitrag von derzeit 17,50 Euro auf 18,36 Euro zu erhöhen. Warum das seiner Ansicht nach zu wenig ist, erklärt BR-Intendant Ulrich Wilhelm, der bis zum 31.12.2019 auch ARD-Vorsitzender war, in einem Interview mit der FAZ.

„Meine Oma ist ne alte Umweltsau“: Ein Aufreger-Video und seine Folgen  

Am 1. Januar hat WDR-Intendant Tom Buhrow Ulrich Wilhelm als ARD-Vorsitzender abgelöst und gleich einen großen Aufreger an der Backe: Der WDR-Kinderchor hatte eine umgedichtete Version des Kinderliedes „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ gesungen, in dem das Umwelt- und Mobilitätsverhalten der Großelterngeneration auf die Schippe genommen wird, unter anderem in der Zeile „Meine Oma ist ne alte Umweltsau“. Was als Satire gedacht war, entfachte im Netz einen Sturm der Empörung, vor allem unter Personen aus dem rechten und rechtsextremen Milieu, die in Morddrohungen gegen mehrere WDR-Mitarbeiter gipfelte.

Der Sender löschte das Video schnell, WDR-Intendant Buhrow distanzierte sich von dem Video. Das kam in der Redakteursvertretung des WDR gar nicht gut an, die von einer „eklatanten Verletzung der inneren Rundfunkfreiheit“ spricht, wie Stefan Niggemeier auf Übermedien schreibt. Auch die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor kritisiert die ihrer Ansicht nach vorschnelle Löschung des Videos und wirft Buhrow vor, vor Rechtsradikalen eingeknickt zu sein und der rechten Empörungskampagne so Legitimität und Reichweite verschafft zu haben.

Gehören radikale Ansichten zur Meinungsvielfalt?

Ebenfalls einen Shitstorm aushalten musste im Dezember TheBuzzard. Nicht von Rechten, sondern weil TheBuzzard in der Absicht, zu einem Thema verschiedene Perspektiven zu präsentieren, vereinzelt rechtsradikale Blogs verlinkt hat. Das war zwar schon vor zwei Jahren, ist einigen Unterstützern der aktuellen Buzzard-Crowdfunding-Kampagne, über die wir im November-Rückblick berichtet hatten, aber erst jetzt aufgefallen, weswegen sie sich von TheBuzzard distanzieren: Darunter Ex-CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz und die Kolumnistin Hatice Akyün. Stefan Niggemeier fasst die Causa auf Übermedien zusammen, Marina Weisband sagt im Deutschlandfunk, dass rechtsradikale Propaganda keine Meinung ist.

„Die Republik“ braucht zwei Millionen Franken in zweieinhalb Monaten

Auch ein anderes Medienstartup hat gerade große Probleme: Das 2018 gestartete Schweizer Online-Magazin Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur namens „Die Republik“ will bis 31. März 2,2 Millionen Franken einsammeln, um seine Kosten zu decken. Falls das nicht klappt, wird das Magazin eingestellt. In einem langen FAQ-Artikel legt die Redaktion selbstkritisch offen, warum das erste Crowdfunding-Geld weg ist und wo die Gründe liegen könnten, warum die angestrebten Wachstumsraten nicht erreicht wurden (unter anderem zu wenig Marketing). Schwierige Zeiten für Startups also, hier genauso wie in der Schweiz.

Correctiv-Serie zu Narrativen der Desinformation

Ebenfalls spendenfinanziert arbeitet Correctiv, wo es gerade keine akuten Finanzprobleme zu geben scheint. Dafür eine neue und interessante Serie: Narrative der Desinformation. In vier Artikeln entlarven die Autor*innen besonders  hartnäckige Desinformationskampagnen, etwa zur Leugnung des Klimawandels, dass die Migration angeblich deutsche Traditionen verdränge, dass Deutschland ein islamischer Staat werde und dass die Meinungsfreiheit in Deutschland nur noch eingeschränkt gelte. Lesenswert! 

Praktisch: Media Innovation Guidebook

Das Media Lab Bayern ist dafür da, Innovationen in der Medienbranche und im Journalismus zu fördern. Zu den geförderten Startups zählt unter anderem das oben erwähnte TheBuzzard. Auf den Medientagen München im Oktober hatte das Media Lab eine eigene Bühne: Das, was 35 Expert*innen auf dem R U Ready Summit an Best Practices und Learnings bei Innovationen in ihren Medienhäusern vorgestellt haben, steht nun thematisch gegliedert im Media Innovation Guidebook. Das 80 Seiten umfassende Buch gibt ganz konkrete Tipps und Checklisten, was man beim Innovieren in Bereichen wie Paid Content, Reader Interaction, Digital Leadership oder Produktentwicklung beachten sollte (Disclaimer: die beiden Texte zu Product Innovation stammen von mir). Das Buch kann auf der Media Lab-Seite heruntergeladen werden.  

Tooltime!

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: JOURNALISMUS & NETZ, NEU
  • Über Bernd Oswald

    Bernd Oswald, Jahrgang 1974, ist Autor und Trainer für digitalen Journalismus. Mich fasziniert es, wie die Digitalisierung (nicht nur) den Journalismus verändert: mehr Quellen, mehr Transparenz, mehr Interaktion, ganz neue Möglichkeiten des Geschichtenerzählens, vor allem visuell und mit Daten. Über diese Phänomene schreibe, blogge, twittere und lehre ich seit 2009.

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