01.07.2015

Ein Jahr Correctiv: „Die Realität war sehr gnädig zu uns“

David Schraven und Markus Grill von Correctiv blicken ein Jahr nach der Gründung in die Zukunft des ersten gemeinnützigen Recherchebüros Deutschlands.

Die Investigativjournalisten David Schraven (links) und Markus Grill leiten das Recherchebüro Correctiv gemeinsam. In den kommenden Monaten werben sie verstärkt um Mitglieder.

Die Investigativjournalisten David Schraven (links) und Markus Grill leiten das Recherchebüro Correctiv gemeinsam. In den kommenden Monaten werben sie verstärkt um Mitglieder.

Es ist voll geworden in der Berliner Redaktion von Correctiv. Hier, wo Gründer David Schraven ein Jahr zuvor Kisten schleppte und den Baustaub wegwischte, sitzen nun bärtige Programmierer vor Bildschirmen. Redakteure diskutieren stehend neben ihren Schreibtischen, 16 Festangestellte sind es insgesamt. In der Ecke: ein kleines Kabuff mit Glastür. Chefredakteur Markus Grill residiert hier – separat, wie es Chefredakteuren gebührt; bescheiden, wie es sich für ein Startup gehört. Auch wenn man, wie Grill, vom großen „Spiegel“ kommt.

Correctiv, das erste gemeinnützige Recherchebüro Deutschlands, hat in seinem ersten Jahr Bücher veröffentlicht, eine Ausstellung auf den Weg gebracht, einen Comic, es gab Veranstaltungen, Zeitungsartikel, Multimedia-Reportagen. Die Hälfte der drei Millionen Euro Anschubfinanzierung der Brost-Stiftung ist aufgebraucht. Wie geht es weiter? Zeit, nachzufragen.

Vor einem Jahr haben Sie gesagt: „Correctiv, das wird ein geiles Ding!“ Was ist es nun?
David Schraven: Es ist so gekommen. Wir haben geschafft, was wir uns vorgenommen haben.

Keine anfänglichen Fehler, aus denen Sie gelernt haben?
Schraven: Unser Konzept ist bis jetzt besser aufgegangen als geplant. Das Crowdfunding funktioniert extrem gut. Damit hatte ich so nicht gerechnet. Die Gründung des Verlages hat geklappt. Die Realität war, toi toi toi, bis jetzt sehr gnädig zu uns.

Was hat Correctiv im deutschen Journalismus verändert?
Markus Grill: Mir fällt besonders auf, wie stark interessiert alle großen Medien sind, mit uns zu kooperieren. Wir rennen offene Türen ein. Alle großen Namen der Branche wollen uns Geschichten abnehmen oder gemeinsam mit uns recherchieren.

Sehen Sie in Kooperationen nicht die Gefahr, dass sich findige Verlagsmanager denken: Oh super, die von Correctiv liefern kostenlos Artikel. Nun kann ich bei meiner Redaktion noch eine Stelle einsparen?
Schraven: Dafür sind wir viel zu wenige.
Grill: Wir haben nicht so einen Output, dass irgendwer eine Stelle einsparen könnte.
Schraven: Die Diskussion könnten wir führen, wenn wir so eine Art Konkurrenz-dpa wären: 2000 Leute, die pausenlos Geschichten rausfeuern.

Was Sie hingegen rausfeuern sind neue Produkte. Typischerweise setzen Startups Schwerpunkte, Correctiv macht Artikel, Bücher, öffentliche Aktionen, Multimedia. Auf welchem Produkt liegt der Fokus?
Schraven: Auf Recherche. Das ist unser Produkt. Wir haben ein Thema im Fokus. Alles andere basiert darauf. Deswegen haben wir bislang auch alles hingekriegt.

Welchen Rat haben Sie für andere Gründer?
Schraven: Wisst was ihr könnt. Und macht das, was ihr könnt. Seid leidenschaftlich und plant viele Niederlagen ein. Kündigt nur das an, was ihr halten könnt. Redet nicht nur – liefert. Dann kann euch nichts entmutigen.

Dass jemand wie Sie, Herr Grill, vom „Spiegel“ in so ein Startup geht, ist ein Erfolg für Correctiv. Was reizt Sie, dass Sie dafür den Luxus des großen Traditionshauses aufgeben?
Grill: Na, Luxus nicht. Ich gebe viel Etabliertheit auf, würde ich sagen. Reizvoll ist für mich die Arbeitsatmosphäre, die hervorragenden Journalisten hier und eine ganz andere Art zu arbeiten. Wir denken nicht in einem Printprodukt, das einmal die Woche erscheint. Wir denken in Online, in Kooperationen, in Print, TV, Radio – es ist ein komplett anderes Arbeiten als bei einem Wochenmagazin. Ich habe enorme Freiheiten.

Leute, die Informationen haben, klopfen sicher erst bei den großen Häusern wie dem „Spiegel“ an. Kommen Sie an manche Infos nicht ran, weil Correctiv noch unbekannt ist?
Schraven: So arbeiten wir nicht. In großen Häusern läuft es oft so, dass Informanten zu dir kommen und Themen abladen. Wir überlegen uns Themen selbst, denken nicht darüber nach welcher Informant uns was gibt, sondern wie das Feld strukturiert ist. Und dann schauen wir, wie wir an die relevanten Daten kommen. Mit denen bauen wir die Geschichte auf und erst dann treten wir an Informanten heran.
Grill: Wir identifizieren Themen, die nicht bekannt, aber relevant sind. Wir machen uns nicht abhängig davon, dass uns irgendein Informant irgendwas gibt und uns vielleicht für seine Zwecke instrumentalisiert.
Schraven: Wenn du von dieser Seite kommst, hast du auch einen anderen Stand bei Informanten. Die wissen, wenn du die Daten schon hast, dass du dich wirklich für ihr Thema interessierst. Dann werden die rappelig, wollen reden und dann kriegst du sie.

Ihr Slogan lautet „Recherchen für die Gesellschaft“. Erreicht man mit Themen wie TTIP ein Massenpublikum?
Schraven: Was ist denn Massenpublikum? Was ist eine relevante Größe etwas zu verändern? Eine relevante Größe ist, wenn ein großer Kreis von Menschen, die Einfluss nehmen können, merken, es ist notwendig, dass sich was ändert. Durch Öffentlichkeit stellst du dieses Gefühl her. Bei dem TTIP-Ding ist es relativ egal, ob es eine Milliarde Leute lesen und verstehen oder hunderttausend. Wenn die Information zum Wandel öffentlich vorliegt, wird der Druck so groß, dass sich was ändern muss.

Man muss nur die richtige Community treffen?
Schraven: Man muss nicht jedes Mal eine Massendemo auslösen.

Die Brost-Stiftung hat Correctiv mit drei Millionen Euro ermöglicht. Läuft es irgendwann ohne die?
Schraven: Ohne die? Ich weiß nicht. Wir brauchen sie noch. Aber wir wollen uns auf viele Beine stellen. Mehrere Stiftungen unterstützen uns schon. Die Schöpflin-Stiftung ist dabei, die Rudolf-Augstein-Stiftung auch, die Bundeszentrale für politische Bildung. Wir haben Einzelspenden, Crowdfundings, Buchverkäufe über eine Tochterfirma. Damit wir langfristig unabhängig werden, wollen wir dieses Jahr noch 5000 Mitglieder erreichen, die uns unterstützen.

Vor einem Jahr war von 30.000 Mitgliedern die Rede innerhalb von zwei Jahren.
Schraven: Innerhalb von drei bis fünf Jahren! Das halte ich immer noch für möglich. Du brauchst den Anlauf, um bekannt zu werden. Wenn wir dann 5000 haben als Community halte ich es für möglich, dass wir in den Jahren darauf auf 30.000 wachsen.

Wer spendet? Leute, denen einzelne Themen wichtig sind oder Menschen mit einem generellen Weltverbesserer-Gen?
Schraven: Die meisten unserer Unterstützer sind ältere, bürgerliche Menschen. Der typische Apotheker. Das finde ich erfreulich, das sind Menschen, die sich sehr ernsthaft Gedanken über Journalismus und Öffentlichkeit machen. Unsere Monatsbeiträge beginnen bei 5, 10 Euro und wir haben Leute, die geben bis zu 600 Euro.

Den Apotheker erreichen sie wohl nicht via Facebook. Wie kommen die auf Correctiv?
Schraven: Über unsere Veranstaltungen zu Auskunftsrechten in ganz Deutschland. Wir erklären denen, wie sie selbst an Informationen kommen können, das finden viele Leute gut und geben Geld.
Grill: Lokalredakteure der örtlichen Zeitung unterrichten wir morgens, nachmittags dann die Bürger, mitorganisiert von der Zeitung.

Correctiv stürzt sich öfters ins Lokale. Was können wir da noch erwarten?
Grill: Wir planen eine mobile Einsatztruppe. Wenn in der Stadt etwas schief läuft und die örtliche Zeitung Unterstützung braucht das aufzuklären, überlegen wir, eine mobile Lokalredaktion zu bilden, die für ein, zwei Wochen hinfährt und mit den Kollegen vor Ort recherchiert.

Fallschirm-Korrespondenten wie sie CNN in den Gaza-Streifen schickt, wenn es knallt?
Schraven: Nee, die Idee ist so: Nehmen wir an, eine Lokalredaktion ahnt, dass mit einem Bauprojekt was nicht in Ordnung ist. Die haben aber nicht das Fachwissen, um an die Dokumente zu kommen. Wir wissen das aber, fahren mit zwei, drei Leuten hin und besorgen ihnen die Dokumente. Auch unsere Mitglieder sollen die mobile Lokalredaktion rufen können. Wir holen ’nen Bulli und dann geht es los. Ich finde das sehr geil, ich hätte da auch Bock drauf. Früher wollte ich mir immer eine Druckmaschine kaufen und in einen Bulli packen, wo du dann deine eigene Zeitung druckst, die Tür auftrittst und rufst: ‚Extrablatt‘!

Aus Ihnen spricht die journalistische Unternehmungslust. Bei Krautreporter war der Elan irgendwann weg. Was machen Sie anders?
Schraven: Wenn du relevante Geschichten machst, die Leuten nahe gehen, kriegst du Feedback und willst mehr davon. Orchideen-Themen betreffen halt keine Leute.
Grill: Wir behandeln relevante Themen, bei denen die Leute merken: Sie werden informierter und klüger, wenn sie uns lesen.
Schraven: Bei unserer Diskussionsveranstaltung zu TTIP war die Bude voll.

Sie bereiten Themen öffentlichkeitswirksamer auf. Die Anfrage ans Auswärtige Amt zum MH17-Abschuss haben Sie an die Außenwand des Ministeriums projiziert – ein bisschen wie Greenpeace. Das würde die „Spiegel“-Redaktion nicht machen. Wo verläuft die Grenze zwischen Aktivismus und Journalismus?
Schraven: Moment mal, das war keine aktivistische Sache. Wir haben eine Frage ans Auswärtige Amt gestellt. Die haben wir auch per Mail und Fax geschickt.
Grill: Wir haben eine Frage gestellt, auf die wir keine Antwort bekommen haben.
Schraven: Und dann ging es darum: Wie transportiere ich das Thema über soziale Medien? Bei Twitter kannst du in 140 Zeichen kaum was erzählen, über das Bild von der Projektion und den Link zur Geschichte viel mehr. Hätten wir das gebloggt, hätten wir 3.000 erreicht. So haben wir über soziale Medien satt mehr als 100.000 erreicht. Wir müssen uns als Journalisten überlegen, wie wir heute an unser Publikum kommen. Die Projektion ist ein Weg, deshalb war das eine zutiefst journalistische Aktion.

Noch einmal der Rückgriff zu Krautreporter: Die waren in ihrem ersten Jahr ein Netzwerk meist freier Autoren. Wie wichtig ist es, eine klassische Redaktion zu haben?
Grill: Wir könnten keine virtuelle Redaktion sein. Journalismus funktioniert über Austausch, man geht gemeinsam mittagessen und redet über Themen. Wir haben jede Woche Redaktionskonferenzen, bei denen wir den Stand in unseren großen Geschichten besprechen – sodass auch jeder was beitragen kann. Hier gibt es keine Einzelkämpfer.

Welche Themen nehmen Sie sich für die kommenden Monate vor?
Schraven: Grundsätzlich nehmen wir uns Themen vor, die richtig wichtig sind. Das größte Thema der Welt ist der Klimawandel. Wenn wir die nötige Mitgliederfinanzierung kriegen, wollen wir das Geld nutzen, um das größte Thema der Welt zu bearbeiten. Das heißt nicht, wir wollen die siebte Geschichte über die achte Palme in Berlin machen. Wir wollen wissen, wie sich die Gesellschaft durch den Klimawandel ändert.
Grill: Auch das wird ein Thema, das nicht mit einer Veröffentlichung abgeschlossen sein wird.
Schraven: Nächstes Jahr bekommen wir einen Programmierer von der Knight Foundation gestellt – als einzige Redaktion in Europa. Nicht einer, der ein paar Tasten tippt, sondern einer der besten Datenexperten weltweit. Wir holen den, damit der uns die Datentools entwickelt, mit denen wir Klimawandel-Journalismus machen können.

Scheitert die Klima-Recherche oder sogar das ganze Projekt Correctiv, wenn Sie bis Jahresende keine 5000 Mitglieder finden?
Schraven: Nein. Wir können dann nur mehr von dem umsetzen, was wir umsetzen wollen. Mit Hilfe von vielen Menschen, die uns finanziellen Schutz geben, können wir uns auf den Klimawandel stürzen und gleichzeitig lokale Stories stemmen. Das Projekt Correctiv geht in jedem Fall weiter.

Wenn man Schraven und Grill etwas zugute halten kann, dann ist das ihr ungebrochener Elan. Wenn man ihnen etwas vorwerfen mag, dann, dass sie partout keine Antwort finden auf die Nachfrage: Na, was muss denn besser werden? Verwunderlich ist das nicht: Schraven und Grill müssen den Beweis führen, dass sie tausende Geldgeber für ihre Sache gewinnen können. Obwohl das Modell des Recherchebüros so speziell ist. Correctiv – eine Organisation, die ein bisschen Medium, ein bisschen Redaktionsdienstleister und ein klein wenig Bildungsträger ist.

5000 Mitglieder gäben nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern auch wohltuende Gewissheit, dass sich Teile der Gesellschaft für investigativen Journalismus engagieren.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: Dynamik am Markt, JOURNALISMUS & NETZ, NEU
  • Über Jens Twiehaus

    Jens Twiehaus ist freier Medienjournalist in Berlin, studierte Politik und volontierte bei der inzwischen bankrotten Nachrichtenagentur dapd. Er schreibt für „medium magazin“, „Kressreport“ und „turi2“, führt außerdem Video-Interviews. Twitter: @JensTwiehaus

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0 Kommentare zu diesem Artikel


  1. Mein Browser zeigt mir dieses Interview in unlesbarem Einheitsformat an. Mit welchem Browser ist das denn lesbar? Wäre für nen Tipp dankbar!

  2. Is‘ klar:Lokal machen sie alle nur in Kaninchen. Wenn mal was Dickes ist, dann rufen sie den David an. Träumt weiter!


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