09.11.2015

Hashtags, Unique User und Suchtrends: schlaue Zahlen übers Netz

Zahlen zu Netzphänomenen geben Aufschluss über digitale Trends und Kräfteverhältnisse und zeigen: da hat jemand Ahnung. Ein Überblick über Zahlen-Quellen und ihre Tücken.

Screenshot IVW

Das IVW-Ranking: informativ, aber mit Bedacht zu interpretieren

In Artikeln über Internet-Themen sind sie das Tüpfelchen auf dem i: schlaue und möglichst konkrete Zahlen über das jeweilige Netz-Phänomen. Mit ihnen lässt sich etwa schreiben, dass Hashtag X in der letzten Woche so und so viel Mal verwendet wurde, das Webportal Y doppelt so viele Unique User wie ein Jahr zuvor hat, und Thema Z auf Google Trends eine rasante Karriere hinlegt. Das sind die wichtigsten Zahlen und ihre Quellen:

Agof und IVW: Unique User und Visits
Die quasi-offiziellen Zahlen über die Reichweite deutscher Webportale gehören eigentlich zu den genauesten der Welt. Sie werden mit viel Aufwand und sozialwissenschaftlichem Knowhow erhoben. Die IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeverträgen) misst ursprünglich Print-Auflagen von Zeitungen und Zeitschriften. Sie erhebt mithilfe aber auch Visits und Page Impressions: die Besuche auf einem Webangebot und die Zahl der aufgerufenen Einzelseiten. Die sind für jedes erfasste Angebot einzeln abrufbar, etwa zu bild.de, und es gibt verschiedene Kategorien wie klassische Web-Zugriffe und Apps sowie thematische Filtermöglichkeiten.

Deutlich mehr Aufwand betreibt die Agof (Arbeitsgemeinschaft Online Forschung). Die will Unique User ermitteln, dass heißt die tatsächlichen, die auf digitale Angebote zugreifen. In einem komplexen Multimethodenmodell kombiniert sie technische Messungen, Onsite- und Inapp-Befragungen sowie Telefonumfragen. Am Ende ergibt das verschiedene Auswertungen. Bei den Digital Facts werden alle stationären, mobilen und App-Zugriffe zusammengefasst, alternativ verfügbar sind Ranking klassischer Webseiten und mobiler Seiten.

Screenshot IVW - T-online

Beispiel für ein „Multiangebot“: das namensgebende Portal ist nur für einen Teil des Traffics selbst verantwortlich

Was hoch solide klingt, hat allerdings einen Haken. Faktisch führen die Zahlen von IVW und Agof leicht in die Irre. Auffälligstes Beispiel: Das Mail- und Medienportal T-Online.de führt die Agof- und IVW-Rankings seit langer Zeit unangefochten an. Bei der Agof werden zur Zeit 31 Mio. Unique User angegeben, womit T-online fast 60% aller Internetnutzer monatlich erreichen würde. Faktisch ist T-online.de aber mitnichten das erfolgreichste Angebot und generiert vermutlich nur etwa ein Drittel dieser Aufrufe selbst, hinzu kommen 19 weitere Einzelangebote wie autoscout24, mydoc und wetter.info.

Die Regeln von Agof und IVW ermöglichen, dass verschiedene Portale als Gesamtangebot zusammen ausgewiesen werden. Besonders Nachrichtenseiten greifen rege auf diese Option zurück. Im Agof-Ranking gibt es keinen Hinweis auf diese spezielle Zählmethode. Um doch herauszufinden, wie gezählt wird, muss man die IVW-Übersicht konsultieren. Hinter einigen Angeboten steht ein großes A. Das signalisiert, dass es sich um ein solches „Multiangebot“ handelt. Auf den jeweiligen Detailseiten, etwa zu T-online oder zu Computerbild wird dann angegeben, welche Angebote zusammengefasst sind und welche (ab einer bestimmten Schwelle) wieviel beisteuern. Die Agof übernimmt diese Systematik von Multi- und Singleangebot.

Die eigentlich soliden Zahlen von IVW und Agof sind deswegen teilweise mit Vorsicht zu nutzen. In einem Bezahlangebot der Agof werden die Gesamtzahlen auf „Belegungseinheiten“ aufgeschlüsselt, wie sie von den jeweiligen Seitenbetreibern definiert werden. Der Dienst ist allerdings für Journalist*innen kaum bezahlbar, der komplette Datensatz eines Monats kostet 500 Euro. Über den Agof Zählservice lassen sich allerdings einzelne Zahlen kostenlos abfragen.

Similar Web: vollständig, doch methodisch schwach

Screenshot Similar Web - Google.de

Was Agof und IVW nicht können, liefert Similar Web und lässt methodisch jedoch doch zu wünschen übrig

Neben dem selbst verschuldeten Zahlensalat haben IVW und Agof noch ein weiteres Manko: einige der wichtigsten Onlineangebote werden nicht erfasst, da sie sich nicht an den Messungen beteiligten. Das sind vor allem die großen US-amerikanischen Angebote Google, Facebook, Wikipedia und Amazon.

Behelfsweise muss man auf Daten zurückgreifen, die aufgrund ihrer Erhebungsmethode eher als vage zu bezeichnen sind. Oft werden die Angaben von Similar Web verwendet. Der britische Dienst liefert Zahlen zu Visits für deutsche Webseiten, aber auch für Google.de und Google.com, Facebook, Twitter und Wikipedia. Auf Grundlage dieser Daten erstellt beispielsweise der Zahlen-Experte Jens Schröder seine regelmäßige Rangliste der am meisten genutzten sozialen Netzwerke. Hinzu kommen weitere Detail-Angaben zu den Webseiten. Schaut man sich die deutsche Rangliste, zeigt sich das Dilemma von Agof und IVW. Auf den ersten fünf Plätzen laut Similar Web stehen US-Angebote, die in deren Datenbanken schlicht nicht auftauchen. Die Similar Web-Zahlen genügen allerdings keinen sozialwissenschaftlichen Standards, es sind Hochrechnungen. Nach eigenen Angaben werden dafür unter anderem die Daten von 100 Mio. Endgeräten berücksichtigt. Jens Schröder erläutert auf dem Branchenblog Meedia dazu: „Die Vergleiche verschiedener Websites passen zwar meist sehr gut zu Rankings von AGOF oder IVW, die Visits-Zahlen für Deutschland sind allerdings bei großen Websites deutlich zu gering. So lassen sich die SimilarWeb-Visit-Hochrechnungen getrost mit 2 oder 3 multiplizieren, um in etwa auf die Messungen der IVW zu kommen.“

Google Trends - VW-Suche

Google Trends gibt Einblicke in die Entwicklungen von Suchanfragen

Erfolg auf Google
Was auf der großen Suchmaschine passiert, versucht Google Trends abzubilden. Es gibt eine Rangliste mit „Trendgeschichten“, zu denen die zeitliche Entwicklung der Suchanfragen dargestellt wird, allerdings in relationalen und nicht in absoluten Zahlen. Es wird angegeben, in welchen Bundesländern das jeweilige Suchinteresse am höchsten war. Darüber hinaus wird zu Such-Begriffen der zeitliche Verlauf der Anfragen dargestellt, bei VW etwa von 2004 bis Oktober 2015.

Absolute Zahlen liefert der Google Keyword Planer, für den ein Konto beim Adwords-Programm erforderlich ist. Der Dienst richtete sich primär an Firmen, die Textanzeigen auf Google schalten wollen. Klickt man auf „Tools“, kann man einzelne Suchbegriffe abfragen. Dann wird angezeigt, wie oft dieser in Deutschland oder anderswo frequentiert wird. Nach „Griechenland“ etwa wurde im August, dem letzten verfügbaren Monat, etwa 800.000 Mal gesucht. Angezeigt wird auch ein „vorgeschlagenes Gebot“ für eine Textanzeige auf Google. Bei „Private Krankenversicherung“, einem der am stärksten auf Google umkämpften Begriffe, sind es beispielsweise knapp 11 Euro pro vermitteltem Klick. Die Angaben sind allerdings eher als Richtwerte zu betrachten, da sich der tatsächliche Anzeigenpreis in komplexen Versteigerungen ergibt.

Web 2.0 und Social Media
Verschiedene Einzel-Rankings versuchen, den Erfolg auf Social Media und im Web 2.0 Plattform-übergreifend zu ermitteln. Eines davon sind die Likemedien-Top-100 von 10000 Flies. Autor ist Jens Schröder, der zuvor die mittlerweile eingestellten Deutschen Blogcharts erstellt hatte. Für die einzelnen Plattformen mit Inhalten von meist nicht-professionellen Autor*innen gibt es meist separate Zahlendienste.

Wikipedia
Die große, nicht-kommerzielle Online-Enzyklopädie liefert eigene Zahlen. Unter jedem Lexikon-Eintrag findet sich ein Link zur Abrufstatistik, tageweise abrufbar. Dann gibt es noch eigene Statistik-Übersichten. Auf einer deutschen Statistik-Seite lässt sich beispielsweise die Zahl aller Einträge und der registrierten und aktiven Nutzer*innen ablesen. Und stats.wikimedia.org bietet eine Übersicht über alle Wikipedia-Sprachversionen. Im Eintrag zur deutschen Wikipedia finden sich unter anderem Zahlen zu monatlichen Seitenaufrufen und zu neu angelegten Artikeln pro Tag.

Screenshot Topsy - TTIP

Topsy zählt und sammelt Tweets

Twitter
Topsy gibt an, wie oft ein Begriff auf Twitter verwendet wird. Die Suche lässt sich nach Sprachen filtern und auch auf die Verwendung von Hashtags anwenden sowie auf andere Twitter-Kategorien wie Mentions oder Links. Eine Liste mit den erfolgreichsten deutschen Twitterer*innen erstellt bietet Twittercounter.

Youtube
Ein Ranking deutscher Youtube-Kanäle findet sich auf Socialblade.com. Auf den jeweiligen Detailseiten ist zu jedem Kanal auch die Zahl der Video-Aufrufe aufgelistet sowie eine Schätzung der Einnahmen, die aber auf kaum mehr als kompenten Spekulationen beruhen dürften. Socialblade bietet auch Rankings für Instagram an, allerdings ohne Filtermöglichkeiten nach Ländern. Eine Alternative zu Socialblade ist Vidstatsx.

Facebook
Social Bakers erstellt Facebook-Account-Ranglisten für alle Länder, so auch für Deutschland. Die Zahlen können auf einzelne Branchen und Themen herunterzubrochen werden, etwa auf Politiker. Das deutsche Fanpagekarma generiert thematische Sub-Rankings für verschiedene Themengebiete wie Bundestags-Politiker oder Verlage an.

Schlaue Zahlen
Mit den Zahlen zu den größten Digitalangeboten oder auch zur Themenentwicklung auf Google, Twitter und Wikipedia lässt sich eine eigene These überprüfen oder belegen. Schaut man genauer auf die Erhebungsmethoden, zeigt sich, dass sie nicht sozialwissenschaftlichen Standards genügen. Das allerdings hält auch die großen Qualitätsmedien meist nicht davon ab, sie unbekümmert zu nutzen.

Die oft eher analog sozialisierten Redakteur*innen, die die Texte am Ende abnehmen, wissen zwar nicht immer, was die verwendeten Zahlen genau bedeuten. Gerade dann denken sie aber: der oder die Autor*in hat anscheinend richtig Ahnung vom Netz.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: Suchen & Finden

0 Kommentare zu diesem Artikel


  1. Leider nicht ganz aktuell; die Angebotsbestandteile können analog zur IVW auch in der AGOF über das Auswertungstool „TOP“ dargestellt werden. Die AGOF hingegen übernimmt nicht die Multi/Single Systematik.

  2. Da hab ich aber andere Informationen. An der Übernahme der Multi-Angebot/Single-Angebot-Systematik der IVW durch die AGOF hat sich auch mit dem letzten AGOF-Update nichts geändert, der Einführung der „Digital Facts“, die Desktop- und mobile Besucher zusammenzählen. Weiterhin gilt: will man wissen, was hinter einem Anbieter im öffentlich verfügbaren Agof-Ranking steht, muss man zur IVW-Seite gehen und kann sich dort informieren, ob es sich um ein Single-Angebot oder ein Multi-Angebot mit x Bestandteilen handelt. (Siehe auch: http://www.internetworld.de/onlinemarketing/zahlen-studien/digital-facts-grosser-zahlensalat-1040008.html)

    Und tatsächlich kann man über das Auswertungstool TOP mehr erfahren. Das ist aber so teuer, dass die Nutzung für Journalisten kaum praktikabel ist. (Es sei denn, man macht eine kostenlose Einzelabfrage, was möglich ist.)

    Und selbst dann wird man nicht immer schlauer. Als ich bei einem vorherigen Artikel (http://get.torial.com/blog/2015/06/mailmedien-tonline-web-de) herausfinden wollte, wie viele Unique User das Einzelangebot T-online.de nutzen, hat sich herausgestellt, dass dazu bei der AGOF schlicht nichts in Erfahrung zu bringen ist, da T-online dies nicht als „Belegungseinheit“ bei der AGOF angelegt hat.

  3. Die Multi/Single Systematik war kurzzeitig in der Studie enthalten, ist es aber nicht mehr. Stattdessen lassen sich nun die Angebotsbestandteile anzeigen.
    Was nicht dargestellt ist, ist die prozentuale Verteilung der Brutto- oder Nettoreichweite. Dies ist aber auch nicht möglich, da das AGOF-Universum nicht dem der IVW entspricht bzw. die messbaren Einheiten hierfür hinterlegt sind.
    Wichtig zum Grundverständnis ist sicherlich, dass es sich um eine Vermarktungssicht handelt. Und wenn zwei Angebote zusammen vermarktet werden, können diese auch in der Reichweite als Angebot zusammengefasst werden. Dies ist aber kein digitales Phänomen, dies haben sie bei Print auch.
    Sicherlich kein wirklich transparentes System, aber selbst bei „unabhängigen“ Anbietern wie Comscore können Angebotseinheiten zusammengefasst werden.
    Und nur weil die Software für Journalisten nicht praktikabel ist, sollte dies dazu führen Teilwahrheiten abzubilden. Ihre verlinkten Seiten stellen nicht den aktuellen Stand dar.

    • Hallo Hans,
      ich bleib dabei, dass ein Problem existiert.

      Im Artikel geht es um die die öffentlich verfügbaren Zahlen und nicht die Zahlen aus dem Profi-Account der AGOF. Vermutlich ist das der Grund für unseren Dissens.

      Die aktuellen AGOF-Rankings, etwa die Digital Facts, verwenden die Systematik von Multi- und Single-Angeboten, ohne dass es dort einen Hinweis darauf gibt. Viele Journalist*innen greifen auf diese öffentlich verfügbaren Zahlen zurück und wissen nicht, dass teilweise Äpfel mit Birnen verglichen werden und T-online.de trotz No.-1-Platzierung eben nicht die meisten Unique User aller deutschen Webangebote hat.

      Profis aus der Vermarktungsszene wissen sicherlich, mit den Zahlen umzugehen, und haben vielleicht auch diesen AGOF-Bezahlaccount für detailliertere Zahlen. Der Artikel richtet sich aber vor allem an die Angehörigen der schreibenden Zunft, die oft unbekümmert und unkritisch die öffentlich verfügbaren Zahlen verwenden.

      Und klar. AGOF und IVW sind vor allem ein Dienstleister für die Werbevermarktungs-Branche. Ich find aber tatsächlich, dass die AGOF in ihrem Ranking die Info hinzugeben sollten, wann es sich um ein Multi- und ein Single-Angebot handelt und wie man vorgehen kann, um die Zahlen richtig zu „lesen“ – so wie dass die Profis aus der Vermarktungsbranche auch können.

      Und von den Comscore-Zahlen halte ich allgemein nicht sehr viel. Da sind wir uns vielleicht einig 🙂

  4. > Viele Journalist*innen greifen auf diese öffentlich verfügbaren Zahlen zurück und wissen
    > nicht, dass teilweise Äpfel mit Birnen verglichen werden und T-online.de trotz No.-1-
    > Platzierung eben nicht die meisten Unique User aller deutschen Webangebote hat.

    > Profis aus der Vermarktungsszene wissen sicherlich, mit den Zahlen umzugehen, und
    > haben vielleicht auch diesen AGOF-Bezahlaccount für detailliertere Zahlen. Der Artikel
    > richtet sich aber vor allem an die Angehörigen der schreibenden Zunft, die oft
    > unbekümmert und unkritisch die öffentlich verfügbaren Zahlen verwenden.

    Was sind denn das für Journalisten? Wo haben die das Recherchieren gelernt? Das ist ja so, als würden Sie sagen: „Aktiengesellschaften sollten ihre Bilanzen gefälligst so veröffentlichen, dass auch Wirtschaftsjournalisten sie verstehen! Die Feinheiten einer Bilanz versteht man ja nur als Buchhalter.“ Wenn Ihre schreibende Zunft die für die Vermarktung bestimmten Daten gerne aufgreifen möchte, dann ist das großartig. Aber dann müssen sie sich schon die Mühe machen, sich damit ein wenig zu beschäftigen.


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