07.05.2015

5 Jahre Flattr: Erinnerung an eine gescheiterte Revolution

Das Aussperren des nicht-zahlenden Publikums gilt als Ultima Ratio für die Finanzierung von Online-Inhalten. Dass das so ist, geht auch auf eine kollektive Fehlentscheidung großer Verlage zurück: die Verweigerungshaltung gegenüber Flattr, das vor fünf Jahren eine kleine Revolution anzetteln wollte.

Flattr-Sticker

Flattr überall: vor fünf Jahren versprach der Dienst vielen eine ökonomische Revolution im Netz (Bild: Flattr auf Flicks, Lizenz: CC/by/2.0)

Rückblick: wir schreiben das Jahr 2010, es ist Frühjahr, und ein Hauch von Revolution liegt in der Luft. Der schwedische Piratebay-Aktivist Peter Sunde hatte mit Flattr einen Bezahldienst für Onlineinhalte vorgestellt. Das Prinzip war simpel, zwar nicht ganz neu, aber dennoch genial. Man zahlt zwei Euro oder auch mehr ein. Gefällt einem ein Netzartikel, klickt man den dort eingebauten Flattr-Button. Am Ende des Monats wird ein Teil des eingezahlten Betrags an jeden „geflatterten“ Artikel ausgeschüttet.

Der Darling der deutschen Blogosphäre
Nutzer*innen konnten so ihre Lieblingsblogs für gute Arbeit belohnen und auf die Art zukünftige Inhalte anregen. Für viele Blogger*innen bot Flattr als niedrigschwelliger Erlöskanal die Aussicht, das erste Mal jenseits von Google-Werbung echtes Geld mit Inhalten zu verdienen.

Vor allem in Deutschland eroberte der Mikro-Bezahldienst die Herzen der Blogosphäre. Ein Blog nach dem anderen beteiligte sich. Überall wurde Flattr mit monatlichen Erfolgsmeldungen über die ersten größeren und kleineren Erlöse gefeiert. Im Juni 2010 wurde die restriktive Beta-Phasenpolitik gelockert. Für Juni 2010 berichtete das Blog Netzpolitik.org über Einnahmen in Höhe von 577 Euro, der Blogger Stefan Niggemeier über 353 Euro und das Gemeinschaftsblog Carta über 201 Euro. Die ökonomische Revolution im Netz, so schien es, war zum Greifen nahe.

Bezahlmauern statt Flattr-Erlöse
Irgendwann aber blieben die Erfolgsmeldungen aus. Und fünf Jahre später ist gar keine Rede mehr von Flattr. Ein Medium nach dem anderen entscheidet sich heute für eine andere Spielart von Paid Content: das Einziehen von Paywalls. Als erste überregionale Zeitung machte Ende 2012 Die Welt den Anfang, im März 2015 führte auch die Süddeutsche ein eigenes Modell ein. Und immer wieder gibt es Andeutungen neuer Verlage, eventuell bald auch eine Bezahlmauer einzuführen. Zuletzt haben das die neuen Spiegel-Chefredakteure angedeutet. Das freiwillige Bezahlen für besonders gute Artikel ist keine ernsthaft diskutierte Option mehr. Wieso ist Flattr gescheitert, das vor fünf Jahren so hoffnungsvoll gestartet ist?

Während Blogs den innovativen, schwedischen Bezahldienst gefeiert hatten, hielten sich die großen Verlage sehr zurück. Der Dienst tauchte zwar als Berichterstattungs-Objekt auf, bis auf die taz und den Freitag haben sich allerdings alle größeren Medien Flattr verweigert. Hätten Spiegel online, Zeit online & Co. sich auf das Experiment eingelassen, den Flattr-Button eingebaut und einen Teil ihres jeweiligen Publikums zu Flattr-User*innen gemacht, hätte das vielleicht den Durchbruch im Massenmarkt gebracht. Die großen Medienhäuser hätten aus dem zarten, stetig wachsenden Pflänzchen Flattr einen großen, starken Baum machen können.

Ein Erlösmodell auf dem Silbertablett
Vielleicht hätten die eigenen Leser*innen die neue Bezahloption ignoriert, vielleicht wäre aber doch ein relevanter Teil aufgesprungen. Die taz mit ihrer kleinen Online-Gemeinde hatte es Ende 2010 auf knapp 1.500 Euro geschafft. Was geschehen wäre, wenn die wirklich Reichweiten-starken Verlage den Bezahldienst eingebaut hätten, werden wir nie wissen. Sie haben Flattr schlicht keine Chance gegeben. Und das war eine gewaltige, kollektive Fehlentscheidung.

Gut bezahlte Medienmanager*innen und Berater*innen philosophieren seit Jahren angestrengt, wie sich auch im Netz Inhalte zu Geld machen lassen. Den Verlagen, denen meist nur die zwei Optionen Werbe-Finanzierung und Bezahlmauer einfällt, wurde mit Flattr ein alternatives Erlösmodell auf dem Silbertablett präsentiert. Sie haben einfach Nein gesagt, ob das nun aus vermeintlich rationalen Gründen geschah, aus Ignoranz oder aus Angst vor einer neuen Entwicklung.

Flattr als Nischendienst
Der einstige Hoffnungsträger führt heute ein Nischendasein. Seit 2012 sucht Flattr sein Heil in der Anbindung an soziale Netzwerke. Neues Wachstumspotenzial wird auf Social Media vermutet, wo kurze Facebook-Posts oder Tweets geflattert werden können. Die ökonomische Revolution im Netz ist heute klar gescheitert.

Und das ist ein Verlust für alle, für Leser*innen, Blogger*innen und auch für Verlage, denen durch eigene Schuld seit fünf Jahren Einnahmen entgehen. Paid Content meint heute das vorsichtige Aussperren von Nutzern und gilt mit der Definition weitgehend als alternativlos. Mit dafür gesorgt hat eine Fehlentscheidung der Verlage. Und das war vielleicht deren größte kollektive Fehlentscheidung nach der Unterschätzung des Internets in seinen frühen Tagen.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: Dynamik am Markt

0 Kommentare zu diesem Artikel


  1. ooooooooooooh, wie traurig.

    Ist Flattr wirklich so ein gutes Produkt, wenn die Masse der Verlage und der Nutzer Flattr nicht nutzt? Anscheinend nicht.

    • Nicht, dass ich Flattr besonders genutzt hätte (fand das Aufteilen eines gewissen Fixbetrags seltsam), aber das Argument ist idiotisch. Die Verlage haben das nichtmal probiert, entsprechend gibt es für eine Entscheidung dagegen keine Grundlage. Eine Entscheidung ohne Grundlage eignet sich nicht dazu, etwas aus ihr abzuleiten. Und wo es nicht angeboten wird, kann es auch nicht genutzt werden – daraus etwas abzuleiten ist eine verwechslung von Ursache und Wirkung. Es wurde ja genutzt, nur von den Großen nicht angeboten.

      Wirtschaftlicher Erfolg und Qualität mögen korrelieren, sind aber nicht dasselbe. Da fallen mir so Sachen wie die Bild und diverse „Musiker“ ein 🙂

  2. ooooooooooooh, wie traurig.

    Ist ein Gehirn wirklich so etwas nützliches, wenn die Masse Menschen es nicht nutzt? Anscheinend nicht.

  3. Fassen wir mal zusammen: Die taz, eine Tageszeitung mit 240.000 Lesern pro Tag und 250 Mitarbeitern erwirtschaftete dank flattr zu ihren besten Zeiten 1.500 Euro pro Monat. Sie könnte damit also einen ganzen Volontär einen ganzen Monat bezahlen.

    Mir ist vollkommen schleierhaft, warum die anderen Verlage nicht auf dieses Modell der Zukunft aufgesprungen sind.

  4. Ich habe Flattr anfangs auch gerne genutzt.
    Aber ich hatte (und habe) ein Problem mit der Aufladung.

    Wenn es nur wenige seriöse (direkte) Wege gibt, das Flattr-Konto aufzuladen – und auf diesen 5-15% des Geldes als Transaktionsgebühr hängen bleiben, dann überlege ich zweimal. (Drittanbieter wie paypal, sofortueberweisung etc. sind ein NoGo – vor allem, wenn es ein piratiges Produkt ist).
    Wenn es dann noch ein Service ist, den ich selten nutzen kann und der noch in der Startphase ist, werde ich nicht 100 Euro aufladen.

    Ich habe kein Problem, Flattr 15% des Guthabens zu überlassen. Aber wenn 15% auf dem Weg verloren gehen und jahrelang keine vertrauenswürdigen Auflade-Wege dazukommen, dann lass ichs bleiben.

  5. Friedemann Brenneis

    Ich halte es für eine ziemlich gewagte These, dass die ökonomische Revolution im Netz gescheitert ist, denn das Gegeteil ist der Fall. Dass Flattr kein Erfolg wurde, liegt vor allem daran, dass es letztlich nur eine Notlösung war/ist um digital im Netz Mikropayment stattfinden zu lassen, aber dabei alle Zahlungen im analogen Geldsystem abgewickelt werden müssen, das mit seinen Gebühren und Transaktionskosten eigentlich viel zu teuer und umständlich dafür ist. Digitales Geld wie Bitcoin hingegen ermöglicht direktes Bezahlen im Netz und der Erfolg von Unternehmen wie ChangeTip zeigt, wie groß das Potential für echtes Micropayment im Netz ist, wenn man sich von Bezahlmodellen löst, die auf anlogem Geld basieren. Die ökonomische Revolution steht daher vielmehr gerade erst am Anfang, aber Deutschland verpasst diesen Trend leider gerade. Selbst einige afrikanische Länder sind, was Bitcoin und sein Potential angeht, schon deutlich weiter als wir. Schade.


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